Tino Chrupalla Parteichef mit viel Ballast
Schlechte Wahlergebnisse, interner Streit, keine klaren Themen: Die Lage der AfD ist schwierig. Wie will Parteichef Chrupalla die Wende schaffen? Und reicht dafür der Rückhalt in der Partei?
Die Kameras laufen bereits. Die Mikrofone sind auf Alice Weidel und Tino Chrupalla gerichtet - doch erst mal passiert nichts. Es soll der erste Presseauftritt der neu gewählten AfD-Spitze auf dem Parteitag werden, doch mit Stephan Brandner fehlt noch einer ihrer Stellvertreter.
Weidel wirkt maximal genervt, Chrupalla wippt nervös neben ihr auf und ab. "Ehre deutsches Volk und hüte treulich deinen Handwerksstand", überspielt er lächelnd die ungewollte Pause mit dem Beleg, mittlerweile ein Gedicht auswendig zu können. Vor einigen Monaten war er daran auf die Frage eines Kinderreporters noch gescheitert. Weidels Mundwinkel bleiben unten. Sie seufzt gewollt hörbar laut auf. "Dein Vorstand ist nicht da", pflaumt sie Chrupalla an.
Es sind drei ewig wirkende Minuten, die den vielen wartenden Journalisten sehr deutlich machen, wer von den beiden das Sagen hat. Weidel gibt im Duo den Ton an und das, obwohl sie lange gezögert hatte, ob sie überhaupt Parteichefin werden möchte.
Wiedergewählt mit nur 53 Prozent
Chrupalla hatte seine Ambitionen, im Amt zu bleiben, früh kommuniziert. Belohnt wurde er dafür nicht: 53 Prozent der Delegierten haben ihn denkbar knapp gewählt. Weidel holte trotz ihres unentschlossenen Zögerns 67 Prozent.
Langer Konflikt mit Meuthen
Aus dem Lager des ehemaligen Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen hatten sich einige zuvor erhofft, Chrupalla ganz zu Fall zu bringen. Auch wenn das mit ihren öffentlichen Angriffen nicht gelungen ist, einige ihrer Argumente scheinen dennoch bei vielen Delegierten verfangen zu haben. Vor allem dass Chrupalla als Parteichef bei jeder Landtags- und auch der Bundestagswahl Stimmenverluste zu verantworten habe. Seit er ganz vorne steht, gab es stets schlechtere Ergebnisse als vorher.
Er schiebt das in großen Teilen auf die vielen Konflikte mit Meuthen, auf die Uneinigkeit im Bundesvorstand. Auch deshalb ist Chrupalla auf dem Parteitag in Riesa gleich mit einem ganzen Team angetreten. In Zukunft soll es harmonischer zugehen.
Damit hat er sich jedoch nicht nur Freunde gemacht. Einerseits, weil sich in der AfD niemand gerne sagen lässt, wen er zu wählen habe. Andererseits, weil Chrupalla zwar nur Personen auf seine Liste genommen hat, die im radikalen, offiziell aufgelösten Flügel der AfD kein Problem sehen, aber nicht genügend "echte" Flügel-Vertreter. Einige Parteifreunde vor allem aus den Ostverbänden waren darüber nicht glücklich. Auch so ist sein schlechtes Wahlergebnis zu erklären.
Nicht genug Abstand zum Flügel?
Es rächt sich, dass es Chrupalla nicht gelungen ist, sich in seinen ersten zwei Amtsjahren vom Flügel zu emanzipieren. 2019 war er gerade durch dessen Unterstützung zum Chef geworden. Ihm fehle noch immer die eigene "Hausmacht", so berichten es viele in der AfD.
Höcke im Nacken
Einer, der diese hat, sitzt ihm auch schon im Nacken. Björn Höcke, der rechtsextreme Thüringer Landesvorsitzende, machte in Riesa keinen Hehl daraus, dass er künftig mehr Verantwortung auch auf Bundesebene übernehmen möchte.
Ganz wie er es sich wünschte, hat die AfD auf dem Parteitag eine kleine Revolution beschlossen: Es kann künftig auch einen einzelnen Parteichef geben. Bisher war das laut Satzung nicht vorgesehen, eigentlich auch undenkbar. Denn das Misstrauen gegenüber den Parteifreunden ist groß, gerade gegenüber denjenigen, die sie selbst an die Spitze gewählt haben. Doch die neue Regel sofort in die Praxis umsetzen, wollten die Delegierten dann doch nicht. Die unterschwellige Botschaft ging klar an den aussichtsreichen Bewerber Chrupalla: "Dir allein trauen wir das derzeit nicht zu."
"So eine Art Bewährungszeit"
Höcke selbst erklärte, Chrupalla müsse jetzt im neuen Bundesvorstand ohne "Selbstzerfleischungsmodus" erst einmal zeigen, dass er "die möglichen Gegner markiert und attackiert". Wenn ihm das gelinge, dann könne er in zwei Jahren alleine übernehmen. "Das muss jetzt erst mal sein, das ist praktisch so eine Art Bewährungszeit", so Höcke in Riesa.
Um unmittelbar danach doch noch einen Schritt weiterzugehen und selbst mit einer Kandidatur zu liebäugeln: "Vielleicht ist es in paar Jahren so weit, bis dahin bin ich in Thüringen gut aufgehoben." Das allerdings klingt eher nach einer Kampfansage als nach einem wohlwollenden Begleiten von Chrupallas "Bewährungszeit".
Das Erste zeigt das Sommerinterview mit Tino Chrupalla am Sonntag ab 18:00 Uhr.