Sachsen, Thüringen und Brandenburg Wie die AfD auf die Landtagswahlen schaut
In Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte die AfD zum ersten Mal seit ihrer Gründung eine oder mehrere Landtagswahlen gewinnen. Im Wahlkampf gibt sie sich als Volkspartei.
Es herrscht Gedränge auf dem Kornmarkt in Bautzen. Wer kurz nach Beginn der Wahlkampfveranstaltung noch etwas von den Rednern sehen will, muss auf Mauern oder Lüftungsschächte klettern. Die Plätze sind auch dort schnell belegt. Einige Familien sind da, viele Rentner, Jugendliche. Es ist spürbar ein Event am Dienstagabend, bei dem Jung und Alt dabei sein wollen. Die AfD ist hier Volkspartei.
"Gesichert rechtsextremistisch" ist der sächsische Landesverband laut Verfassungsschutz. "Damit Sachsen Heimat bleibt", steht groß über der Bühne geschrieben - mitten in der malerischen, heimatfilmtauglichen Stadtkulisse.
Ampelbashing, Corona-Ärger, Medienschelte
Es ist der erste gemeinsame Auftritt der Parteichefs nach der Sommerpause. Alice Weidel, die nicht aus der Region ist, versucht sich gleich zu Beginn mit Tradition und Lokalstolz anzubiedern: "Ich habe den Bautz’ner Senf immer in meinem Kühlschrank" - mäßiger Applaus. Klar, auf das regionale Produkt ist man stolz, aber wegen Lobhuldigungen des Senfs ist man nun wirklich nicht gekommen.
Die Menschen wollen die großen Themen, die den eigenen Frust bedienen: Ampelbashing, Corona-Ärger, Medienschelte. Und all das liefern die beiden Parteichefs dann auch. Besonders gut zieht aber alles, was mit Russland zu tun hat: Waffenlieferungen, Bürgergeldzahlungen für Ukrainer, Langstreckenraketen-Stationierung, die ungeklärte Nordstream-Sprengung.
Das Gefühl zählt
Tino Chrupalla verlangt ein Kurswechsel in der Energiepolitik: "Wir wollen wieder Gas aus Russland" und "Schluss mit Waffenlieferung in die Ukraine". Jubel brandet auf. Vier ältere Damen, die noch einen Platz auf einer Parkbank gefunden haben, nicken sich bestätigend zu. Die Partei hat extra Herzen verteilen lassen - im AfD-Blau mit dem Wort "Frieden" darauf.
Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit umweht die AfD bei dem Thema im Osten, ähnlich wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Völlig außer Acht gelassen wird, dass gerade in puncto außenpolitischen Positionen pro Russland die Landesparlamente wenig bewirken können. Doch das Gefühl zählt, und das ist selbstbewusst in Bautzen.
Ein Drittel der Sitze im Landtag
Eine Gegendemo gibt es hier heute nicht, nicht mal einen Störer im Publikum. Die AfD ist hier zu Hause. "35+x" sei das Ziel, ruft Chrupalla. "Machtwechsel" steht in Großbuchstaben hinter ihm.
Doch auch der Co-Parteichef ahnt, dass es nicht seine Partei sein wird, die die Regierungsgeschäfte übernehmen dürfte, selbst wenn sie die meisten Stimmen bekommen sollte. Zu eindeutig haben sich die anderen Parteien abgegrenzt. Und dennoch wäre es ein erster Erfolg für die AfD, wenn sie es in Sachsen und Thüringen schaffen, ein Drittel der Sitze einzunehmen.
Sie könnten dann Entscheidungen blockieren, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden müssen. Die sogenannte Sperrminorität.
Daueraufreger Asylpolitik
In Sachsen liegt die AfD im jüngsten ARD-SachsenTrend mit 30 Prozent knapp hinter der CDU. Doch das war vor dem terroristischen Anschlag in Solingen. "Bautzen wird niemals Solingen", ruft ein örtlicher Landtagskandidat der Masse zu.
Und auch Alice Weidel nimmt das Thema auf: "Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis hier was gemacht wird?" Sie habe die "Nase voll" von "hohlen Phrasen". Ein Herr, der die Rede sitzend auf seinem Rollator verfolgt, springt auf: "Jawohl!"
Die Asylpolitik der Regierung zu kritisieren, ist ein Dauerthema der AfD. Doch nach Solingen haben auch andere Parteien lautstark härteres Vorgehen gefordert, mit Forderungen nach konsequenteren Abschiebungen, vorneweg CDU-Chef Merz.
Wir gegen die
Für die AfD ist es daher schwieriger als sonst, daraus Profit zu schlagen. Der Versuch ist, die Forderungen der anderen Parteien als Gerede abzutun. Nur die AfD liefere. Fast erstaunlich: Chrupalla geht in dieser Rede in Bautzen auf den Terroranschlag nicht weiter ein. Sein Fokus liegt auf der Demokratie. In Bautzen "lebe die Demokratie" und "wir bleiben schwer erziehbare Leute". Wir gegen die.
Dabei geht der ehemalige Malermeister aus Sachsen selbst längst zumindest räumlich auf größtmögliche Distanz zu den Menschen vor Ort. Die Bühne ist mehrere Meter abgesperrt. Früher hätte es Chrupalla genossen Selfies zu machen, jetzt aber überwiegen Sicherheitsbedenken. Lediglich zwei Deutschlandfahnen unterschreibt er, nicht im Beisein der Besitzer, nach der Rede hinter der Bühne. Kurz darauf rauschen die Parteichefs mit gesichertem Autokonvoi davon.