Netzwerke in der AfD Höcke und seine Hintermänner
Anfang 2022 verließ Jörg Meuthen die AfD. Nun räumt der Ex-Parteichef schwere Fehler ein und gibt Einblicke in interne Machtkämpfe. Höcke hält er für "demokratiegefährdend".
Die Männer, die auf den Fernsehbildern Seit an Seit nebeneinanderstehen, wirken miteinander vertraut. Einer dieser Männer ist Jörg Meuthen, damals noch einer von zwei Parteichefs der AfD. "Da steh ich da. Neben mir steht Höcke und Poggenburg und Kalbitz Spalier, und ich lächle freundlich", erinnert sich Meuthen sechs Jahre später an seinen Besuch des sogenannten Kyffhäusertreffens 2018. Es war jener Ort, an dem die Köpfe des rechtsextremen Flügels der AfD sich stets besonders extrem geäußert haben.
Der Ex-Parteichef, einst mehrfacher Besucher dieser Treffen, will sich heute von diesen Bildern distanzieren. "Das ist ein Kainsmal auf der Stirn. Das kriege ich nie wieder los. Aber ich habe genau an jenem Tag (…) für mich die Entscheidung getroffen: Die sind gefährlich. Die bekämpfe ich jetzt". Er nimmt später tatsächlich einen Machtkampf mit Höcke und seinen Anhängern auf. Den Meuthen aber verliert.
Die extrem Rechten haben da in der AfD schon einen so großen Einfluss, dass der damalige Bundessprecher sich Anfang 2022 zurückzieht und die AfD verlässt. Gegenüber NDR und WDR sagt Meuthen in der aktuellen Dokumentation "Höcke - und seine Hintermänner" in einem Interview aus dem Frühjahr 2024 warnend: "Grundsätzlich halte ich die Ziele, die Höcke und die Seinen verfolgen, für eindeutig demokratiegefährdend."
Aus Meuthens Ausführungen ergibt sich, dass auch er meint, es versäumt zu haben, Höckes immer größer werdenden Einfluss auf die gesamte AfD zu einem Zeitpunkt zu stoppen, an dem es noch ein ausreichend großes gemäßigteres Lager innerhalb der Partei gab. So lehnte er 2017 das Parteiausschlussverfahren (PAV) gegen Höcke ab, das seine damalige Co-Parteichefin Frauke Petry angestrengt hatte. "Das war falsch von mir", sagt Meuthen heute. Gemeinsam mit Petry hätte er Höcke und den Rechtsruck der Partei womöglich stoppen können: "Ich hätte ihren Weg eines PAVs gegen Höcke damals mitgehen sollen".
"Dann wäre vieles anders gekommen. Und das ist auch etwas, was ich mir vorwerfe". Nicht nur Meuthen, sondern auch viele andere Funktionäre der AfD haben sich in Machtkämpfen wiederholt der Wirkmacht und der Stimmen des Höcke-Lagers bedient. "Ich habe gedacht, das ist so randständig, die können niemals eine dominante Strömung werden. Das war mein größter Irrtum. Doch, können sie und sind sie", sagt Meuthen.
Das Netzwerk hinter Höcke
Mit "die" meint der Ex-Parteichef das Netzwerk, das hinter Höcke steht, und das es strategisch geschafft hat, die einstige Eurogegner-Partei Schritt für Schritt umzusteuern. Es geht um die sogenannte "Neue Rechte", eine rechtsextreme Strömung, die es schon viele Jahrzehnte gibt und die in Deutschland spätestens seit dem Jahr 2000 enorm an Stärke gewonnen hat. Höcke sympathisierte den Recherchen von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung zufolge schon früh mit den Ideen der "Neuen Rechten". Mit der 2013 gegründeten AfD hat die "Neue Rechte" offenbar die Partei gefunden, nach der sie lange gesucht hatte.
Eine Schlüsselrolle nimmt dabei der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek und dessen Bildungszentrum in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) ein. Höcke lobte ihn immer wieder: Aus den Gedanken, die in Schnellroda entstehen, beziehe er "geistiges Manna". Beide kennen sich nach eigenem Bekunden schon Jahrzehnte.
Für die aktuelle TV-Dokumentation haben WDR und NDR rekonstruiert, wie eng verzahnt Höcke und sein Freund Götz Kubitschek miteinander gearbeitet haben und wie völkisches, neurechtes Gedankengut immer mehr in die AfD einsickerte.
Höcke agiert dabei als eine Art Posterboy, der in die AfD hineinwirkt. Schon 2013, kurz nach Gründung der AfD, schreibt Kubitschek über das damals vorherrschende Thema Eurokritik: "Denn dieses Thema ist das feine Thema, das Türöffner-Thema, und unsere Themen (…) kommen hinter drein gepoltert, wenn wir nur rasch und konsequent genug den Fuß in die Tür stellen."
"Ganz nach rechts"
Offenbar arbeiteten Höcke und Kubitschek von Anfang an daran, das Gedankengut aus Schnellroda in die 2014 neu gegründete Thüringer Landtagsfraktion zu tragen, wie zwei AfD-Aussteiger in der Dokumentation berichten. Höcke organisiert im Dezember 2014, dass eine Fraktionssitzung in Schnellroda stattfand, bei Kubitschek. Dabei sollten Möglichkeiten der Zusammenarbeit erörtert werden, so Höckes Einladungsmail.
Der damalige AfD-Abgeordnete Oskar Helmerich erinnert sich: "Überwiegend hat der Kubitschek gesprochen. Wir haben da im Grunde dagesessen und haben ihm zugehört. (…) Und wenn man dann genau zuhörte, dann wusste ich jedenfalls, in welche Richtung das geht." Sein damaliger Fraktionskollege Siegfried Gentele war der Sitzung absichtlich ferngeblieben, weil für ihn klar war, "wo dieses Schiff hinfahren will, nämlich ganz nach rechts". Höcke ließ später auch Bücher aus Kubitscheks Verlag verteilen. Gentele und Helmerich verließen die Partei.
Bei Höcke findet man viele politische Strategien Kubitscheks: Die Krise als Chance nutzen, die Begriffe zuzuspitzen, schrieb Kubitschek einmal. "Provokation ist dafür das geeignete Mittel." Indem er nach Eklats regelmäßig öffentlich zurückrudert, verfolgt Höcke offenbar eine weitere Strategie Kubitscheks, die sogenannte "Selbstverharmlosung": den "Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren". Ein Interview wollten weder Höcke noch Kubitschek für die Dokumentation geben und ließen Fragen unbeantwortet.
Kubitschek scheint mit Höcke sehr zufrieden zu sein. 2022 sagte er in einem Interview am Rande des Bundeskongresses der "Jungen Alternative" (JA), er habe mit den Leuten, mit denen er "unterwegs" sei, "auf das richtige Pferd gesetzt". Die als rechtsextrem eingestufte JA bildet dabei eine wichtige Machtbasis für Höcke und die "Neue Rechte".
Höcke verteidigt sie immer wieder: "Alles, was in Richtung Abspaltung der JA geht, wird von mir den entschlossensten Widerstand erleben." Manche nennen die JA "Höcke-Jugend". Viele JAler bekommen ihre politische Grundausbildung bei Kubitschek. Nicht wenige werden später Mitarbeiter in AfD-Büros.
Der heimliche Machthaber der AfD?
Ex-Parteichef Meuthen warnt: "Die Jünger kommen sozusagen zu ihm nach Schnellroda, und dann werden da die Messen gelesen. Es ist ein glasklar völkisches Weltbild, das da vertreten wird und was er reintransportiert in die Partei." Meuthen sagt: "Er (Höcke, Anm.d.R.) hat jedem und sei es noch so krassen Rechtsextremisten in der JA immer Rückendeckung gegeben, wenn er gesagt hat: Ich bin euer Schutzpatron. Dafür erwartet er auch Gefolgschaft, die er von denen natürlich kriegt." In Abstimmungen auf Parteitagen komme dies zugunsten des Höcke-Lagers zum Tragen. "Die sind gut vernetzt, die sind sehr flink mit ihren Handys dabei und die sind in Abstimmung hochaktiv", so Meuthen.
Der Ex-Parteichef glaubt, dass Höcke, obwohl er formal nie mehr war als Landeschef Thüringens, dennoch so etwas wie der heimliche Machthaber in der AfD sei - auch wenn er sich beim zurückliegenden Bundesparteitag Ende Juni in Essen im Hintergrund gehalten hat. "Ich glaube, dass er in dem Glauben lebt, dass ihm etwas ganz Großes zugedacht ist, (…) wofür er Geduld braucht, bis seine Stunde gekommen ist."