Aiwanger und Corona Der Ungeimpfte
Bayerns stellvertretender Regierungschef Aiwanger will derzeit keine Corona-Impfung und reklamiert das als Privatsache. Für die Söder-Regierung droht das vor der Bundestagswahl zunehmend zum Problem zu werden.
Auch für Wahlkampf-Verhältnisse waren es deutliche Worte, die CSU-Generalsekretär Markus Blume diese Woche an Hubert Aiwanger adressierte. Er empfinde dessen Äußerungen "als ziemlich verstörend", sagte Blume am Rande der CSU-Klausur in Seeon. "Wer Corona-Impfungen mit Apartheidpolitik vergleicht, der zieht inakzeptable Vergleiche." Aiwanger solle "die Würde des Amtes als stellvertretender Ministerpräsident wahren".
Apartheid? Impfen? Der Reihe nach. Blumes Rüffel für Aiwanger, Parteichef der Freien Wähler und damit des CSU-Koalitionspartners in Bayern, ist das nächste Kapitel in einer zunehmend hitzigen Debatte. Anfang Mai war nach einer BR-Anfrage bekanntgeworden, dass Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger als einziger im Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder in Sachen Corona-Impfung abwartet. Er lasse das Impfen "auf sich zukommen", argumentierte Aiwanger. Er sei kein Impfgegner, aber auch kein "Impf-Euphoriker".
CSU erst gelassen, dann gereizt
Die CSU reagierte zunächst gelassen: Wenn jemand Bedenken habe, müsse "man das bei einem stellvertretenden Ministerpräsidenten genauso respektieren wie bei jedem anderen Bürger", sagte Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer damals. Ende Juni aber rief Söder öffentlich alle Abgeordneten und "jedes Kabinettsmitglied" zu einer Corona-Impfung auf - auch jene, "die noch nicht überzeugt sind". Jeder wusste, wer gemeint war.
Einen Tag später drängte Söder seinen Vize Aiwanger vor laufenden Kameras, sich zu erklären: "Vielleicht sagst Du einfach selber was dazu, warum Du Dich nicht impfen lassen willst." Es sei eine persönliche Entscheidung, entgegnete Aiwanger und warnte vor öffentlichem Druck. Die Freien Wähler werteten Söders Vorgehen als politisches Foul, konnten aber einen überraschenden Nebeneffekt beobachten: Bundesweit solidarisierten sich in den sozialen Netzwerken zahlreiche Nutzer mit dem Minister, der Hashtag #IchBinAiwanger stand zwischenzeitlich auf Platz eins der Twitter-Trends.
Söder: "Impfen ist der Weg zur Freiheit"
Seither hat sich innerhalb der bayerischen Regierungskoalition ein öffentlich ausgetragener Streit rund ums Impfen hochgeschaukelt, der längst grundsätzliche Züge angenommen hat. Impfen sei Privatsache, betonte Aiwanger. Impfen sei keine Privatsache, sondern schütze auch andere, sagte Söder. "Impfen zu empfehlen heißt noch nicht, impfen zu müssen", argumentierte Aiwanger. "Impfen ist der Weg zur Freiheit", verkündete Söder - und stellte mehr "Freiheiten" für Geimpfte in Aussicht, wie die Öffnung von Discos und Clubs. Aiwanger kündigte prompt Widerstand gegen Bestrebungen an, zu bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens ausschließlich Geimpfte zuzulassen. Sonst drohe eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Apartheidsdiskussion kommen."
Grüne kritisieren "Entgleisung"
Der Bezug zum früheren rassistischen Regime in Südafrika sorgte parteiübergreifend für scharfe Kritik. Von einer "Entgleisung" sprachen die Grünen, von einem "diffamierenden Aluhut-Vergleich" ein SPD-Abgeordneter. Aiwanger sieht keinen Grund, seine Äußerung zurückzunehmen: Er habe lediglich davor gewarnt, in eine solche Diskussion zu geraten. In der CSU ist man verärgert: Während Ministerpräsident Söder ein ausgeweitetes Impfkonzept präsentierte und unermüdlich für eine Immunisierung wirbt, macht sein Stellvertreter mit Impfskepsis Schlagzeilen.
Den Spekulationen, dass es bei Aiwangers Positionierung auch um Wahlkampf gehen könnte, gab der Freie-Wähler-Chef zuletzt selbst Nahrung: Nach anfänglicher Zurückhaltung präsentiert er sich zunehmend als Fürsprecher jener Menschen, die bei der Corona-Impfung zögern. Er wolle sich "auch vorne hinstellen" und vor einer Spaltung der Gesellschaft warnen, sagte er der "Bild"-Zeitung. Im Münchner Presseclub sprach er am Donnerstag von "Verständnis für die derzeit noch 20 bis 30 Prozent, die noch nicht geimpft sind". Diese dürften nicht automatisch in die Leugner- und Verschwörer-Ecke gestellt werden.
Aiwanger - Regierung und Opposition
Zugleich erzählt die Impf-Episode auch viel über Aiwanger selbst. Der studierte Landwirt aus Niederbayern, den die "FAZ" mal als "bayerischsten Bayer" betitelt hat, kann clever sein - und stur. Während der Corona-Pandemie war er oft Regierungsmitglied und Opposition in einem, forderte die Öffnung von Schulen und Skiliften, von Geschäften und Gastronomie - konträr zu Söders Mantra "Vorsicht und Umsicht". Noch im März 2020 sah Aiwanger im Starkbier den "natürlichen Feind des Coronavirus", als Redner auf einem der bisher letzten Starkbierfeste in Niederbayern. Söder nannte er mal einen "Diktator" und eine "Gefahr fürs Land", natürlich bevor die Freien Wähler mit der CSU koalierten.
Seine Auftritte und seine markante Mundart machen ihn aber auch authentisch. Der 50-Jährige kann problemlos ein Bierzelt ausfüllen. An guten Tagen ist Aiwanger einer der besten Redner in der bayerischen Politik - im Landtag hält er auch einstündige Regierungserklärungen ohne Notizen. Die Freien Wähler, der CSU inhaltlich und stilistisch ähnlich, sind komplett auf ihn angewiesen. Aiwanger referiert in Talkshows und Pressekonferenzen, klettert auf Wahlkampfbühnen. Die bayerische Ebene bespielt er seit dem Landtagseinzug 2008 - nach Erfolgen in anderen Bundesländern hat er nun den Bundestag ins Visier genommen.
"Sie spalten das bürgerliche Lager"
Die CSU fürchtet, Stimmen für die Freien Wähler könnten sie wichtige Prozentpunkte kosten. Seit Wochen verkünden führende Christsoziale immer wieder, jedes Kreuz für die Freien Wähler bei der Bundestagswahl sei eine verlorene Stimme. "Sie spalten das bürgerliche Lager, ohne eine Chance auf Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde auf Bundesebene zu haben", befand CSU-Fraktionschef Kreuzer.
Aiwanger dagegen demonstriert mit Blick auf die Bundestagswahl unerschütterlichen Optimismus, für die Urlaubszeit plant er "eine Tour durch die Bundesländer". Wenn die Freien Wähler die Fünf-Prozent-Hürde meistern, will er sein Amt als Vize-Ministerpräsident in München abgeben und nach Berlin wechseln - auch in die Opposition, lieber aber freilich in eine Bundesregierung aus Union, FDP und Freien Wählern.