Reaktion auf Aiwanger-Verbleib SPD und Grüne werfen Söder Machtkalkül vor
Die Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Söder gegen eine Entlassung von Vize-Regierungschef Aiwanger stößt auf Kritik. Vor allem SPD und Grüne erklärten, der CSU-Chef handle aus purem Machtkalkül. Ganz anders sehen das die Freien Wähler.
Das Festhalten des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) stößt vor allem bei SPD und Grünen auf scharfe Kritik. "Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Der Umgang mit Antisemitismus darf aber keine taktische Frage sein", betonte die SPD-Politikerin, die derzeit als Spitzenkandidatin der hessischen SPD für einen Wahlsieg ihrer Partei kämpft, um selbst Ministerpräsidentin zu werden.
Faeser sagte, Aiwanger habe sich "weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können". Stattdessen erkläre er sich selbst zum Opfer. "So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen." Dass Söder dies zulasse, "schadet dem Ansehen unseres Landes".
Knobloch: Aiwanger muss Vorwürfe entkräften
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte, Söders Entscheidung sei politisch zu akzeptieren. Sie forderte Aiwanger aber zu klaren Schritten der Aufarbeitung auf. "Er muss Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind", sagte Knobloch laut einer Mitteilung der Kultusgemeinde. "Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen wird, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, wird sich dabei zeigen." Zugleich erklärte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Die Türen der jüdischen Gemeinschaft waren für ihn immer offen."
Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn bezeichnete den Verbleib Aiwangers im Amt als "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt". Dass die "CSU unter Markus Söder einen aktiven Rechtspopulisten und früher auch rechtsradikal tätigen Aktivisten als Stellvertreter in der Regierung akzeptiert, ist ein negativer Höhepunkt in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland", teilte der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl mit. Die Entschuldigungen Aiwangers seien zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig gewesen. "So jemand ist kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns."
Lindner sieht Umgang als "hochproblematisch"
FDP-Chef Christian Lindner erklärte im ARD-Sommerinterview, dass es bei solchen grundlegenden Haltungsfragen kein Taktieren geben dürfe. Und kritisierte Aiwangers Umgang mit den "entsetzlichen Vorwürfen": Dieser habe keine klare Position bezogen, sondern "Zweifel geschürt, ob wirklich Reue und Entschuldigung vorliegen". Dieser Umgang sei "hochproblematisch".
Nouripour: "Unanständig und schlecht für Bayern"
Scharfe Kritik kam auch von Vizekanzler Robert Habeck. "Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere", sagte der Grünen-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. "Da ist eine Grenze überschritten." Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders "leider keine gute".
Grünen-Chef Omid Nouripour sagte dem "Spiegel": "Es geht nicht um den 17-jährigen Hubert, sondern um den 52-jährigen Aiwanger und seinen Umgang mit der eigenen Vergangenheit." Dieser Umgang werde nun von Söder belohnt, "weil ihm Taktik wichtiger als Haltung ist". Nouripour fügte hinzu, das sei "unanständig und schlecht für Bayern" sowie "schlecht für Deutschland".
CSU-Kritik an Aiwangers Kommunikation
Die Präsidentin des Bayerischen Landtags, Ilse Aigner (CSU), verteidigte die Entscheidung des Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Söder. "Eine Entlassung wäre unverhältnismäßig gewesen", teilte sie mit. Allerdings kritisierte sie ebenso wie Söder die Kommunikation des Vize-Regierungschefs. "Ich hätte mir eine deutlich bessere Krisenkommunikation von Hubert Aiwanger gewünscht", erklärte Aigner. "Zeitnahe, klare, ehrliche Aussagen - auch zu einer noch so dünnen Verdachtsberichterstattung - und eine schnellere Distanzierung von diesem ekelhaften Pamphlet hätten nicht zu dieser unsäglichen Hängepartie geführt, die Bayern insgesamt geschadet hat."
Aus dem Lager der Freien Wähler erntete Söder Lob für sein Festhalten an Aiwanger. "Es gibt keine Beweise gegen Hubert Aiwanger, er ist unschuldig, die Entscheidung Söders daher folgerichtig", erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Wähler, Engin Eroglu. Er gehe davon aus, "dass die Angelegenheit der sogenannten Flugblattaffäre mit der Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten" abgeschlossen sei.
Auch die Landtagsfraktion der Freien Wähler in Bayern begrüßte Söders Festhalten an Aiwanger. "Wir sind froh, dass die Bayernkoalition für unser Land stabil und in Einmütigkeit weiterarbeiten wird", sagte Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl. "Wir sind der Auffassung, dass Hubert Aiwanger für das unverantwortliche und vollkommen inakzeptable Handeln eines Familienmitglieds vor mehr als drei Jahrzehnten keinerlei politische Verantwortung trägt."