Lage in Deutschland Wie es den Apotheken geht
Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt seit Jahren. Vor allem kleinere Apotheken mit geringeren Umsätzen müssen kämpfen. Der Berufsverband schlägt Alarm. Doch sind die Klagen begründet?
Apothekerin Iris Zeien hat wohl noch Glück: Ihre Apotheke in Köln muss nicht schließen, wenn sie selbst aufhört. Für die Leitung hat sie schnell einen Nachfolger gefunden - einen ehemaligen Pharmazie-Praktikanten, zu dem sie über Jahre Kontakt gehalten hat. Heutzutage ist das die Ausnahme. Andere Apotheker suchen jahrelang nach einem Nachfolger - viele finden überhaupt keinen, auch weil der Job längst nicht mehr so lukrativ ist wie früher.
Die Apothekerin hatte sich auf die Nachfolgesuche gemacht, weil sie mit dem Beruf nicht mehr zufrieden ist. Mit 62 Jahren will sie in den vorgezogenen Ruhestand gehen. "Die ganzen zusätzlichen bürokratischen Aufgaben schafft man in der regulären Arbeitszeit nicht. Das erledige ich alles nach der Arbeit. Drei Stunden kommen da jeden Tag zusätzlich zusammen", sagt Zeien. Dass sie diese Verantwortung nun abgeben könne, sei eine Erleichterung. Auch wenn sie den Job seit 38 Jahren eigentlich mit Begeisterung macht.
Alles 17 Stunden schließt eine Apotheke
Dabei ist das Apothekensterben durchaus ein Trend: Nach Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) schließt in Deutschland durchschnittlich alle 17 Stunden eine Apotheke. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten fiel die Gesamtzahl der Apotheken auf weniger als 18.000. Im Jahr 2021 kamen auf 100.000 Einwohner je 23 Apotheken. Damit liegt Deutschland im europaweiten Vergleich im hinteren Mittelfeld. Länder wie Spanien und Litauen haben doppelt so viele Apotheken pro 100.000 Einwohner, Griechenland mehr als viermal so viele.
Ein großer Mehraufwand entsteht für Apotheken in Deutschland seit einiger Zeit durch Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Wird beispielsweise vom Arzt ein Medikament verschrieben, das momentan nicht lieferbar ist, kann Zeien nicht einfach ein anderes Präparat verkaufen - auch wenn es denselben Wirkstoff enthält. Stattdessen muss jedes Mal mit der Praxis abgesprochen werden, ob ein anderes Medikament infrage kommt: "Momentan haben wir 300 Artikel auf der Liste, wegen derer wir täglich beim Hersteller anrufen und fragen, ob sie wieder verfügbar sind. Das sind Arzneimittel, die wir sonst immer auf Lager hatten."
Zeitfresser Bürokratie
Dabei ist auch ohne die Lieferengpässe der Bürokratieaufwand schon sehr hoch, beobachtet auch Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Die Dokumentation hält er für lästig, aber nötig. Gerade im Hinblick auf Rabattverträge, die die Krankenkassen mit Pharmaunternehmen aushandeln. Hierbei geben die Pharmaunternehmen einer Krankenkasse einen Rabatt auf ihre Medikamente, wenn die Krankenkasse dafür sorgt, dass ihre Patienten nur noch dieses Medikament anstelle vergleichbarer Produkte eines Mitbewerbers erhalten. Das nachzuweisen, bleibt an den Apotheken hängen, so Wasem, denn das bedeutet zusätzliche Bürokratie.
Auch an anderen Stellen könne Bürokratie abgebaut werden, um Apotheken zu entlasten. Um bestimmte Hilfsmittel, beispielsweise bei Inkontinenz, ausstellen zu können, müssen Apotheken nachweisen, dass sie dafür die nötige Ausstattung und Fachwissen haben. "Dass dieser Nachweis alle drei Jahre erneuert werden muss, ist in der Form nicht nötig", sagt Gesundheitsökonom Wasem.
Woran verdienen Apotheken?
Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Branche beklagt ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening außerdem die finanzielle Situation der Apotheken. Lediglich zwei Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen seien im Vorjahr direkt an die Apotheken gegangen. Das Honorar, das Krankenkassen den Apotheken für jedes ärztlich verordnete Medikament zahlen, sei seit Jahren nicht mehr erhöht worden.
Diese Einschätzung sei faktisch richtig, meint Wasem. Aber was gerne unerwähnt bleibt: Apotheken verdienen nicht nur an diesem Honorar. Sie erhalten auch drei Prozent des Preises jedes verordneten Medikaments, das sie verkaufen. Gesunken sind die Ausschüttungen der gesetzlichen Krankenkassen an die Apotheken in den vergangenen Jahren jedoch nicht. Zahlen des Bundesgesundheitsministerium zeigen sogar einen Anstieg von knapp 34 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf fast 43 Milliarden im Jahr 2022.
Höhere Löhne in der Pharmaindustrie
Für ABDA-Präsidentin Overwiening ist das für die Zukunft trotzdem nicht ausreichend: "Wir brauchen eine angemessene Finanzierung, wir brauchen eigene Entscheidungskompetenzen bei der Ausgabe von wirkstoffgleichen Medikamenten und wir brauchen einen Abbau von Bürokratie."
Dies sei auch nötig, um sicherzustellen, dass die Branche Nachwuchs findet. Bis zum Jahr 2029 könnten bis zu 10.000 Stellen in den Apotheken unbesetzt bleiben, so die Verbandschefin. Zu viele Stellen, um sie mit den Absolventen der Pharmazie-Studiengänge zu besetzen. Denn die strömen nach Abschluss des Studiums nicht nur in die Apotheken, sondern auch in die Pharmaindustrie und zu den Krankenkassen - wo deutlich höhere Löhne in Aussicht stehen.
In einer früheren Version des Textes wurde die Rezeptgebühr in einem falschen Kontext verwendet. Wir haben die Passage geändert.
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