Ausstieg aus der Atomenergie Ende einer Ära - Ende des Streits?
Der Kampf um die Atomenergie prägte über Jahrzehnte die deutsche Politik - die Grünen verdanken der Debatte einen großen Teil ihres Erfolgs. Nach vielen Kehrtwenden soll nun aber endgültig Schluss sein.
Den Grundstein für den Atomausstieg legte Umweltminister Jürgen Trittin im Jahr 2001, nach einem Ringen mit der eigenen Partei. Nun ist es seine Nachfolgerin Steffi Lemke, wieder ein grünes Parteimitglied, die am Stichtag, dem 15. April 2023, den Schlussstein verantwortet. Kein Verzögern mehr, eine klare Absage an alle weiteren Verschiebungen.
Bis hierher war es ein langer Weg - von der Atombegeisterung vieler Politiker hin zur Atomskepsis, vom 1955 unter Konrad Adenauer eingerichteten Ministerium für Atomfragen, dessen Leitung er Franz-Josef Strauß übertrug, bis hin zum Atomausstieg. Whyl, Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben - sie alle werden zum Symbol für den Kampf gegen Atomkraft. So wie der Aufkleber mit der strahlenden Sonne und dem plakativen "Atomkraft - nein, danke!"
Proteste, die Generationen verbinden und in der Gründung einer Partei münden: "Ohne die Anti-Atomkraft-Bewegung," so Jürgen Trittin jüngst in einem Interview, "wären die Grünen nicht vorstellbar."
Katastrophen führen zum Umdenken
Zwei Katastrophen bringen auch Politiker aus anderen Parteien zum Umdenken: 1979 die Kernschmelze in Harrisburg, 1986 der Super-Gau in Tschernobyl. Die Antwort der damaligen unionsgeführten Bundesregierung: Helmut Kohl schafft ein Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch ein demonstratives Zeichen an die Grünen, die 1983 erstmals in den Bundestag eingezogen waren, mit der klaren Forderung sofortiger Bau- und Betriebsstopp aller Atomkraftwerke.
Auch die SPD ändert nach der Katastrophe in Tschernobyl ihre Haltung zur Kernenergie und beschließt den stufenweisen Ausstieg. Einer der prominentesten Wortführer ist Erhard Eppler. Der erinnert sich an den Parteitag 1986. "Da hatte ich das Gefühl, manche sind etwas naiv, sie glauben, das werde leicht. Wir hatten einen Zeitrahmen von zehn Jahren für den Ausstieg festgelegt, und ich sagte nun, bildet euch ja nicht ein, dass das so einfach geht."
Positionsänderung im Schnelldurchlauf
Eppler behält recht. Im Dezember 2001 gelingt es zwar der rot-grünen Regierung im Bund, das Atomausstiegsgesetz zu verabschieden, die ersten beiden Atomkraftwerke gehen vom Netz, doch dann kommt unter Gerhard Schröders Nachfolgerin Angela Merkel der Ausstieg vom Ausstieg. Ein Beschluss ohne lange Haltbarkeit.
Wieder sind es eine nukleare Katastrophe und die darauffolgenden Anti-Atom-Proteste im eigenen Land, die die Politik zum Umdenken bringen. Hatte die Kanzlerin bis Fukushima nur an der Sicherheit von Atomkraftwerken im Osten gezweifelt, denkt sie jetzt grundsätzlich um. Die studierte Physikerin gesteht, "Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert." Wenn in einem Hightech-Land wie Japan mit höchsten Sicherheitsstandards ein solcher Unfall passiere, dann könne auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Entscheidung findet im Bundestag eine breite Mehrheit, auch in Union und FDP. Für viele bedeutet das eine Positionsänderung im Schnelldurchlauf.
Stresstest für die Ampel
Ende 2022 soll dann wirklich Schluss sein. Doch der ursprüngliche Zeitplan gerät ins Wanken. Um die Energieversorgung in der Krise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu sichern, schlägt Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Verlängerung vor: Zwei süddeutsche AKW sollen in einen Reservebetrieb gehen - im Notfall, falls nicht genügend Energie vorhanden ist.
Die Frage der Atomkraft wird zunehmend zum Stresstest für die Ampel. Nicht nur der oppositionellen Union, auch der FDP ist das zu wenig. Die FDP pocht auf längere Laufzeiten bis 2024. Die Grünen ihrerseits bekräftigen: ein kurzzeitiger Weiterbetrieb komme nur für die beiden süddeutschen Meiler infrage.
Der Kanzler beendet schließlich den Streit mit einem Machtwort. Er erlaubt den Betrieb der AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 bis zum 15. April. Danach ist Schluss. Nach einer hitzigen Debatte stimmt schließlich auch der Bundestag zu.
FDP und Grüne verhaken sich
Für den grünen Wirtschaftsminister ist der Atomausstieg "unumkehrbar". Die Energieversorgung sei gesichert, auch ohne Atomstrom, versichert er. Dafür sorgen seiner Ansicht nach hohe Füllstände in den Gasspeichern, neue Flüssiggasterminals und die erneuerbaren Energien.
Trotzdem hagelt es weiter Kritik. Vor allen Dingen FDP und Grüne verhaken sich in ihren Positionen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr bringt den Vorschlag ins Spiel, die drei AKW zumindest noch in Reserve zu halten und nicht sofort mit dem Rückbau zu beginnen. Man könne sie "wieder anwerfen", sollte es zu einer schwierigen Situation kommen, sagt Dürr in den tagesthemen. Nach wie vor, argumentiert er, gebe es energiepolitisch herausfordernde Zeiten.
Unsinn, kommentiert der Grünen-Politiker Trittin den Vorstoß der FDP. Auch Umweltministerin Lemke weist die Forderung als gesetzeswidrig zurück. Ihr Ministerium verweist auf das Atomgesetz. Dort sei festgelegt, dass mit Ablauf des 15. April die Berechtigung zum Leistungsbetrieb der drei verbliebenen AKW endet. In den Anlagen, erklärt ein Sprecher, würden folglich an dem Tag die Reaktoren abgeschaltet und die Stromproduktion beendet. Die Inhaber seien verpflichtet, die Atomanlagen stillzulegen und abzubauen. Das gezielte Bereithalten der Atomkraftwerke als Reserve, heißt es, wäre ein Verstoß gegen das Atomgesetz.
Die Debatte ist nicht beendet
Ein Reservebetrieb, wie von der FDP ins Spiel gebracht, wäre also ein äußerst unwahrscheinliches Szenario. Trotzdem nennt FDP-Finanzministier Christian Lindner es bedauerlich, "dass es keine Mehrheit gibt dafür, die deutschen Kernkraftwerke mindestens in der Reserve zu halten". Um dann in Richtung Koalitionspartner Grüne und SPD klarzustellen: "Diejenigen, die politische Verantwortung für die Energieversorgung auch im Kabinett für ihre Position tragen, müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein."
Der Ausstieg steht, aber die Debatte ist nicht beendet. Die Union macht weiter Stimmung und hält eine Wiederbelebung der Atomkraft in Deutschland auch nach dem 15. April für möglich. Warmlaufen für ein Wahlkampfthema? Während vor allem die Grünen sich am Ziel sehen. Eine ihrer zentralen Forderungen seit der Gründung der Partei wird nun Realität, ein "Aufbruch in ein neues Zeitalter der Energieerzeugung", wie es Umweltministerin Lemke nennt.