Importe aus dem Ausland Ein bisschen Atomstrom bleibt im Netz
Deutschland ist Netto-Exporteur von Strom. Trotzdem wird auch nach der Abschaltung der letzten AKW noch Atomstrom aus dem Ausland ins deutsche Netz fließen. Welche Rolle spielt dabei die Strombörse?
Wenn am Samstag die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland endgültig abgeschaltet werden, hat das auch Auswirkungen auf den europaweiten Strommarkt. Im vergangenen Jahr haben die AKW Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg noch etwa 35 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Das entsprach etwa sechs Prozent der gesamten Stromerzeugung Deutschlands.
Im Januar und Februar lag der Anteil der Kernkraft bei nur noch vier Prozent. In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung der Kernenergie immer weiter abgenommen. Zum Vergleich: Die wichtigsten Stromlieferanten 2022 waren laut Statistischem Bundesamt Kohle mit einem Anteil von 31 Prozent, Wind mit 22 Prozent und Gas mit elf Prozent.
Viel Stromexporte nach Frankreich
Doch die Abschaltung der Kernkraftwerke bedeutet nicht, dass kein Atomstrom mehr ins deutsche Stromnetz fließt. Denn Atomstrom dürfte weiterhin importiert werden, wenn auch voraussichtlich in sehr geringen Mengen.
Seit 2003 verbraucht Deutschland weniger Strom als es erzeugt. Es exportiert damit mehr, als es importiert. Im Jahr 2022 betrug der Stromexportüberschuss 28 TWh. Davon sei die Hälfte nach Frankreich gegangen, so das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber tagesschau.de. Im Nachbarland kam es wegen zahlreicher defekter AKW zu Stromengpässen.
Insgesamt hat Deutschland im vergangenen Jahr 72,7 TWh exportiert und 45,2 TWh importiert. Von den Einfuhren stammten etwa 7,6 TWh aus Atomstrom, was 1,4 Prozent der Nettostromerzeugung Deutschlands (545 TWh im Jahr 2022) entspricht.
Importe aus verschiedenen Ländern
Der Großteil des importierten Atomstroms stammte aus Tschechien mit 2,7 TWh, was etwa 0,5 Prozent der deutschen Stromerzeugung entspricht. Frankreich lieferte 2,1 TWh Atomstrom nach Deutschland. Der Rest kam aus der Schweiz, Belgien, den Niederlanden und Schweden.
Der deutsche Strommarkt ist Teil des europäischen Strommarktes. Dieser ist so organisiert, dass der Strom immer dort produziert wird, wo er am günstigsten ist. Deutschland hat direkte Stromverbindungen in elf Länder - alle neun Nachbarländer sowie Norwegen und Schweden über Seekabel.
Wie die Strombörse funktioniert
Das Ausland kann somit von günstigeren Erzeugungsbedingungen in Deutschland profitieren und umgekehrt. Die Großhandelsstrompreise und der Handel werden durch dieses Zusammenspiel bestimmt. "Wenn es beispielsweise in Deutschland ein Stromdefizit gibt, wird automatisch importiert", erklärt das Wirtschaftsministerium. Ein solches Defizit kann regional zum Beispiel entstehen, wenn kein Wind herrscht und gleichzeitig wegen fehlendem Sonnenlicht wenig Solarstrom produziert wird.
An den europäischen Strombörsen treffen Anbieter und Nachfrager in einer Auktion aufeinander. Die günstigsten Angebote erhalten dabei den Vorzug, und die Nachfrager mit den höchsten Geboten werden entsprechend priorisiert. Dieses Auktionsverfahren ermöglicht es, den Stromhandel effizient abzuwickeln und den Marktpreis aufgrund von Angebot und Nachfrage zu bestimmen.
Langfristige Pläne für den Energiemix
Das Wirtschaftsministerium gibt auf Anfrage keine konkrete Antwort darauf, ob nach der Abschaltung der letzten AKW mehr Atomstrom importiert wird. Es verweist aber darauf, dass die Bedeutung von Atomenergie in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen habe.
"Mittel- und langfristig wird die Stromerzeugung aus Kernenergie durch Strom aus erneuerbaren Energien ersetzt", so eine Sprecherin. Der Anteil Erneuerbarer Energien am erzeugten Strom sei im vergangenen Jahr bereits auf 48 Prozent angestiegen. Dieser Anteil solle bis 2030 auf 80 Prozent und bis 2035 auf eine vollständig erneuerbare Stromerzeugung ansteigen.
Der Energieexperte Jürgen Karl von der Universität Erlangen-Nürnberg rechnet nicht damit, dass durch die Abschaltung der letzten AKW mehr Atomstrom importiert wird. "Deutschland importiert ohnehin wenig Strom. Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien wird das sogar noch weniger werden."
Können Verbraucher sicherstellen, dass sie überhaupt keinen Atomstrom nutzen, wenn sie das nicht möchten? "Bilanziell ja, physikalisch nein", sagt Energieexperte Karl.
Man könne einen speziellen Stromvertrag abschließen, um nachweislich "grün" produzierten Strom zu kaufen, "aber physikalisch vermischt sich das natürlich in den Stromnetzen mit anderen Stromquellen". Auch wenn sich also technisch nicht erreichen lasse, dass man ausschließlich "grünen" Strom bekomme - den Ausbau Erneuerbarer Energien fördere man so dennoch.
Die tagesthemen vor Ort senden heute um 22.15 Uhr live vom Gelände des Atomkraftwerks Isar 2.