Nach Baerbock-Ankündigung Weg frei für Kanzlerkandidat Habeck?
Außenministerin Baerbock schließt eine Kanzlerkandidatur für die Grünen aus, Wirtschaftsminister Habeck hält sich noch zurück. Wird er Spitzenkandidat, wäre das auch eine inhaltliche Entscheidung.
Das nennt man dann wohl maximale Entfernung. Zumindest räumlich. Während Annalena Baerbock in Washington in einem CNN-Interview erklärt, dass sie eine Kanzlerkandidatur dieses Mal ausschließt, macht Robert Habeck bei seiner Sommertour Halt in Dortmund. Er besucht ein Technologiezentrum, einst Standort eines Stahlwerks. Jetzt geht es hier um Start-Ups, auch für die Wasserstoffbranche.
Ein Ort der Transformation - vielleicht ist es Zufall, dass er hier von Baerbocks Rückzug erfährt, aber es ist doch sehr passend, denn es ist Habecks zentrales Thema. Die Entscheidung wann, wo und wie Baerbock das Ganze verkündet, soll die Außenministerin allein getroffen haben, hört man von den Grünen. Aus Habecks Umfeld heißt es aber, der Wirtschaftsminister sei vorab informiert gewesen.
Habeck hält sich noch zurück
Zwischen Technologiezentrum und dem EM-Halbfinalspiel betont Habeck dann, dass die Außenministerin einen "hervorragenden Job" mache: "Alles Weitere werden wir in den Gremien beraten." Der Weg ist frei für Habeck, aber er hält sich noch zurück - auch wenn alle wissen, dass es auf ihn hinauslaufen wird.
Bei einem Bürgerdialog kurz zuvor in Bochum, als alles noch offen schien, sagte er: "Wer will denn mal, wer hat noch nicht?" Darum gehe es weniger. "Sondern es ist vielmehr eine Frage an meine Partei: Was bietet ihr dem Land an, was wollt ihr in Zukunft repräsentieren? Wer wollt ihr sein als Partei, welche Rolle wollt ihr wahrnehmen?"
In der Partei stieg in den vergangenen Wochen der Druck, diese Fragen schnell zu klären. Dafür musste im ersten Schritt das Habeck-Baerbock-Duell entschieden werden - im zweiten kann der Vorwahlkampf ganz an den neuen Spitzenmann angepasst werden.
Es braucht keinen Parteizoff
Das Duell hatte sich in den Medien zugespitzt - kaum noch ein Termin, bei dem Journalisten nicht danach fragten. Vor allem Baerbock hatte den Spekulationen immer neue Nahrung gegeben und noch Mitte Juni gesagt, dass "alles möglich" sei.
Das nützt den Grünen nicht, war die Deutung intern. Zusätzlich zum öffentlichen Ampelstreit brauche es keinen Parteizoff. Eine mögliche Basisabstimmung über die Kandidatenfrage, falls es mehr als einen Bewerber gibt, wurde zunehmend zur Drohkulisse.
Baerbock selbst hat wohl erkannt, dass sie aus so einer Abstimmung als Verliererin hervorgehen würde - und damit beschädigt. Starke grüne Landesverbände, etwa aus Baden-Württemberg, hatten hinter den Kulissen auf eine schnelle Festlegung pro Habeck gedrängt.
Kanzlerkandidat auf Augenhöhe?
Möglichst noch im Sommer sollte das bekannt gegeben werden, hieß es immer wieder. Denn rund um die Landtagswahlen im September könnte eine grüne Spitzenkandidatur in Negativschlagzeilen untergehen - etwa, wenn die Grünen in Thüringen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Die Frage bleibt nun, wie und wann Habeck den Anspruch auf die Spitzenkandidatur offiziell erhebt - oder ob er sich gar als "Kanzlerkandidaten" sieht. Das könnte angesichts von 11 bis 14 Prozent in den Umfragen vermessen wirken.
Gleichzeitig hört man in grünen Runden immer wieder das Argument: Auch die SPD dümpelte Monate vor der Bundestagswahl 2021 bei ähnlichen Prozentwerten herum. Ein Kanzlerkandidat bringe medial mehr Aufmerksamkeit und signalisiere Augenhöhe mit SPD oder AfD.
Inhaltliche Vorentscheidung
Gut möglich, dass die Grünen bei ihrem Bundesparteitag im November die große Habeck-Kür zelebrieren - und dort den Anspruch aufs Kanzleramt formulieren. Neben allen Termin- und Taktikfragen ist Baerbocks Rückzug aber auch eine inhaltliche Vorentscheidung: Denn Habeck als Spitzenkandidat wird "Beinfreiheit" fordern, wie es immer wieder aus der Partei heißt. Er könnte dann in einzelnen Themen etwas von der urgrünen Linie abweichen.
Das Ziel: verlorene Wähler aus der Mitte und dem bürgerlichen Umfeld wiedergewinnen, die Partei öffnen. Im linken Lager hatte man im Gegensatz dazu in den vergangenen Wochen eher gefordert, stärker die Kernkompetenz beim Klima zu betonen und in der Migrationspolitik nicht der Union hinterher zu laufen.
Und Baerbock? Sie hat im CNN-Interview angekündigt, sie werde "alles tun, um die eigene Partei zu unterstützen". Doch die Begründung für ihre Nicht-Kandidatur war durchaus auch eine Spitze in Richtung Habeck: Sie wolle nicht "in einer Kanzlerkandidatur gebunden" sein, sagte Baerbock. Sie wolle ihre ganze Energie einsetzen für die Krisen der Welt.
Das klingt ein bisschen zu sehr nach: Sie habe - im Gegensatz zu Habeck - im Moment Wichtigeres zu tun, als sich in den Niederungen eines Bundestagswahlkampfs herumzutreiben.
Habeck sieht "große Chancen"
Bemerkenswert ist auch, was sie noch sagt - und das geht gerade oft unter. CNN-Moderatorin Christiane Amanpour hakt nach: "Ich verstehe Sie so, dass Sie eigentlich Ja sagen zu einer Kandidatur, nur eben nicht jetzt." Und Baerbock widerspricht nicht: "Jede Zeit hat ihre Aufgaben." Sie will sich alles offen halten: eine weitere Legislatur als Außenministerin, eine andere internationale Aufgabe oder eben Spitzenkandidatin zu einem späteren Zeitpunkt.
Habeck hat jetzt die Aufgabe, die Grünen wieder in Richtung 20 Prozent in den Umfragen zu schieben. Er sehe da "große Chancen", sagt er.