Bundesverwaltungsgericht BAMF darf Handydaten nicht anlasslos auswerten
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf Mobiltelefone von Flüchtlingen nicht ohne Anlass auswerten. Das Bundesverwaltungsgericht gab einer Afghanin recht, die ihr Handy auslesen lassen musste, als sie in Berlin ihren Asylantrag stellte.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darf bei Asylantragstellern ohne Pässe nicht regelmäßig deren Mobiltelefone auswerten, um Rückschlüsse auf die Identität zu ziehen. Das gilt zumindest dann, wenn die Betroffenen andere Ausweisdokumente oder Heiratsurkunden vorlegen oder es weitere Erkenntnisse zu ihnen gibt, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Handy zur Auswertung an Rechner angeschlossen
Im konkreten Fall war die 1977 geborene Afghanin Suraya S. im Jahr 2019 in die Bundesrepublik eingereist und hatte im Mai 2019 in Berlin Asyl beantragt. Dabei hatte das BAMF angeordnet, dass die Frau der Behörde die Zugangsdaten ihres Handys und das Gerät selbst zur Verfügung stellen müsse. Das Handy wurde an einen Rechner angeschlossen. Die Daten aus dem Mobiltelefon wurden auf den Rechner übertragen und ausgewertet.
Im August 2019 lehnte das BAMF den Asylantrag der Frau ab. Im Mai 2020 erhob sie beim Verwaltungsgericht Berlin Klage.
Afghanisches Ausweismittel lag vor
Der Vorsitzende Richter des Ersten Senats des Bundesverwaltungsgericht, Robert Keller, begründete die Entscheidung damit, dass andere Ausweismittel zur Identifizierung vorlegen hätten: "Im Fall der Klägerin standen nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts mildere und damit vom Bundesamt vorrangig heranzuziehende Mittel zur Gewinnung weiterer Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit zur Verfügung." Keller ergänzte: "Das Handy sagt einem auch nicht, ob jemand afghanischer Staatsangehörigkeit ist."
Als Beispiele für mildere Mittel, die dem BAMF bei S. zur Verfügung gestanden hätten, führte Keller die Tazkira, die Heiratsurkunde, Registerabgleiche und eine Nachfrage beim Sprachmittler zu sprachlichen Auffälligkeiten an. Bei einer Tazkira handelt es sich um ein afghanisches Ausweisdokument ohne biometrische Merkmale.
Die vom Bundesamt an die Klägerin gerichtete Aufforderung, ihre Zugangsdaten für die Auswertung ihres Mobiltelefons mitzuteilen, habe sich "als unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig" erwiesen, erläuterte Keller weiter. "Entsprechendes gilt für die Auswertung des Datenträgers."
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte mit seinem Urteil auch die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgericht vom Juni 2021. Dieses Gericht hatte bereits festgestellt, dass die Entscheidung des BAMF nicht rechtmäßig gewesen sei. Es hätte ein milderes Mittel gegeben, um die Identität der Frau festzustellen: nämlich die von ihr vorgelegten Papiere oder weitere Erkenntnisse zu berücksichtigen.
"Erfolg für Datenschutz und die Privatsphäre Geflüchteter"
Die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht war von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt worden. Deren Verfahrenskoordinatorin Lea Beckmann erklärte, das Urteil sei "ein großer Erfolg für den Datenschutz und die Privatsphäre von Geflüchteten".
Die Anwälte der Afghanin hatten außerdem erreichen wollen, dass das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt wird, damit der EuGH prüft, ob die bundesdeutschen Regelungen mit Europarecht vereinbar seien. Diesem Ansinnen kam der Erste Senat aber nicht nach.
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 19.21