Franziska Giffey und Kai Wegner
Analyse

Regierungsbildung in Berlin Die Rückkehr der GroKo?

Stand: 09.03.2023 08:13 Uhr

In Berlin könnte bald ein eigentlich überholt geglaubtes Bündnis wieder aufleben: die GroKo. Für den Wahlsieger CDU ist es die Variante "Nummer sicher", für die SPD das geringere Übel. Risiken birgt es für beide.

Eine Analyse von Thorsten Gabriel, rbb

CDU und SPD, Hand in Hand - ist das schon retro? Oder doch eher altbacken, eine Bündniskombination, von der man dachte, dass sie sich überlebt hat? Derzeit gibt es keine CDU-SPD-Regierung mehr auf Landesebene in Deutschland.

Fest steht zumindest: Eine "GroKo", eine "große" Koalition ist das nicht, was Christ- und Sozialdemokraten da in der Hauptstadt vorhaben. Erstens, weil die SPD als Zweitplatzierte mit 18,4 Prozent ziemlich verzwergt aus der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar hervorgegangen ist. Zweitens, weil der Abstand zu den drittplatzierten Grünen lediglich 53 Stimmen beträgt. Beide Parteien landeten bei 18,4 Prozent - weit hinter der Wahlsiegerin CDU mit ihren 28,2 Prozent.

Rot-grüne Konflikte auf offener Bühne

Dass CDU und SPD nun - wieder einmal - zueinander finden wollen, ist unterschiedlichen Motivlagen geschuldet. Für die SPD-Spitze um die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey erscheint ein Bündnis mit der CDU als das "kleinere Übel" im Vergleich zu einer Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses mit Grünen und Linken.

Zu sehr hatte sich vor allem Giffey immer wieder mit ihrer grünen Stellvertreterin im Senat, Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, öffentlich gestritten. Überhaupt waren zuletzt alle internen Koalitionskonflikte auf offener Bühne ausgetragen worden. Um Vertrauen und Vertraulichkeit war es zwischen SPD, Grünen und Linken am Ende nicht mehr allzu gut bestellt.

Weniger Herzlichkeit, größere Schnittmengen

Für CDU-Landeschef Kai Wegner ist ein Bündnis mit der SPD dagegen die Variante "Nummer sicher". Im Wahlkampf hatte er anfangs noch unverhohlen mit den Grünen geflirtet und vor allem die SPD angegriffen. Nach den Silvesterkrawallen in Berlin und der darauffolgenden Sicherheitsdebatte ging es auch gegen die Grünen härter zur Sache. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte Wegner es sich mit beiden verscherzt haben und trotz Wahlsiegs der Verlierer sein.

Die Sonderungsgespräche mit der SPD und mit den Grünen liefen dann allerdings rund. Zu den Grünen waren die inhaltlichen Gräben zwar größer, das menschliche Miteinander aber umso herzlicher. Mit der SPD gab es dafür die größeren inhaltlichen Schnittmengen.

Nur dreieinhalb Jahre zum Profilieren

Diese Schnittmengen waren am Ende ausschlaggebend für Wegner, sich auf die SPD einzulassen. Das betonte der CDU-Chef, nachdem ihm sein Landesvorstand am vergangenen Donnerstag Rückendeckung für die Verhandlungen gegeben hatte. Fast wichtiger war allerdings, wie ausführlich er dabei den Grünen für die "sehr verlässlichen und vertrauenswürdigen" Sondierungsgespräche dankte. Da schwang sowohl Wehmut als auch ein Signal an die Grünen mit: Es hat zwar diesmal nicht geklappt, aber heute ist nicht aller Tage Abend.

Dass sich Wegner nicht auf eine schwarz-grüne Premiere in Berlin einließ, hatte vor allem mit Zeitdruck zu tun. Ihm bleiben nur dreieinhalb Jahre, um sich als neuer Regierungschef zu profilieren. Weil es eine Wiederholungswahl war, läuft die 2021 begonnene Wahlperiode nämlich weiter. Da bliebe wenig Raum fürs Eingewöhnen in neue Beziehungen.

SPD und CDU hingegen haben zwischen 2011 und 2016 schon einmal miteinander regiert. Außerdem ist die SPD seit mehr als 30 Jahren in Berlin in Regierungsverantwortung. Diese Erfahrung dürfte sich Wegner angesichts der Zeitnot zunutze machen wollen.

Regierungsbündnis auf Augenhöhe?

Allerdings trifft der CDU-Chef auf eine innerlich zerrissene SPD, die aus der Abgeordnetenhauswahl maximal gedemütigt hervorging und deshalb mit sich hadert. So stritt man darüber, ob die Partei überhaupt in Koalitionsverhandlungen mit der CDU eintreten sollte. Im Landesvorstand konnte sich Giffey dafür zwar eine Zweidrittelmehrheit sichern, es grummelt aber weiter erheblich in der Partei. Die Berliner Jusos haben eine Kampagne gegen Schwarz-Rot angekündigt.

Doch sind von Giffey und ihrem Co-Landesvorsitzenden, Fraktionschef Raed Saleh, auch selbstbewusste Töne gegenüber der CDU zu vernehmen. Allzu viel Demut angesichts der Wahlniederlage ist nicht zu erkennen. Sie erwarte eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe, erklärte Giffey in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Das hatte Wegner bei den Sondierungen sowohl der SPD als auch den Grünen versprochen, Giffey formulierte es nun jedoch als Erwartungshaltung. Nach ihren Worten wäre das Eintreten in eine Koalition mit der CDU für sie und die SPD ein Zurücknehmen, "um Stärke zu gewinnen". Das darf man auch als Ansage an die CDU verstehen.

Ohne Verwaltungs- und Regierungserfahrung

Wegner weiß um die seelische Zerrissenheit seiner Koalitionspartnerin in spe und versucht durchaus mit Geschick, Befindlichkeiten auf SPD-Seite auszutarieren. Auch deshalb kam das Versprechen eines Bündnisses "auf Augenhöhe", bei dem man sich auch gegenseitig Erfolge gönnen solle. Er will der SPD wie auch seiner CDU jeweils fünf Senatsposten geben. Für die Union käme nur noch der Regierende Bürgermeister dazu.

Inhaltlich gibt es ebenfalls Signale, die zeigen, dass Wegner bereit ist, der Koalitionspartnerin entgegenzukommen, etwa beim Mieterschutz oder der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Trotzdem bleibt es für ihn ein Spiel mit dem Feuer. Denn Wegner zieht ohne jegliche Verwaltungs- und Regierungserfahrung in ein Rathaus ein, das seit 2001 fest in SPD-Hand ist. Die SPD dürfte ihm Anfängerfehler kaum durchgehen lassen, will sie doch bis 2026 wieder "Stärke gewinnen". Giffey macht keinen Hehl daraus, dann auch wieder Regierungschefin werden zu wollen. Die Gefahr für die CDU, von der SPD über den Tisch gezogen zu werden, ist durchaus real.

Gefährlich ist es andererseits aber auch für Giffey und die SPD. Denn wäre Wegner mit seiner Umarmungstaktik erfolgreich, könnte dies eine pragmatisch regierende Koalition zur Folge haben. Der Stadt mit all ihren Problemen würde das zwar guttun, am Ende aber zahlte dies wohl vor allem aufs CDU-Konto ein. Die SPD könnte bei der nächsten Wahl also noch schlechter dastehen. Vor allem linke Genossen in der SPD fürchten das - nach allen Erfahrungen, die CDU und SPD in vergangenen Jahrzehnten miteinander in Bund und Ländern sammeln konnten, wohl kein ganz abwegiger Gedanke.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 09. März 2023 um 08:35 Uhr.