"One in, one out"-Regel Warum der Bürokratieabbau schwerfällt
Über zu viel Bürokratie klagen eigentlich alle. Doch warum ist es so schwer, sie zu begrenzen? Das zeigt das Beispiel der "One in, one out"-Regel, die als Bürokratiebremse gedacht ist.
Wer zu Hause in immer mehr Chaos versinkt, kennt vielleicht diesen Tipp: Neues sollte nur noch dann angeschafft werden, wenn Altes wegkommt. Sonst quillt der Kleiderschrank über und im Regal stapeln sich ungelesene Bücher. "One in, one out": So nennt sich diese Regel, die auch Eingang in die Politik gefunden hat. Hier soll sie vor immer mehr bürokratischem Chaos bewahren.
Die Anregung, diese Regel in Deutschland einzuführen, kam insbesondere vom Normenkontrollrat, einem unabhängigen Gremium, das die Bundesregierung in Sachen Bürokratieabbau berät. Eingeführt wurde sie 2015 von der damaligen Großen Koalition. Die Regel sieht vor, dass jede gesetzliche Maßnahme, die die Wirtschaft belastet, an anderer Stelle ausgeglichen werden muss.
Belastungen durch Entlastungen ausgleichen
Konkret bedeutet das: Ministerien, die Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen, schätzen die Kosten, die mit neuen Gesetzen verbunden sind - das ist der sogenannte "Erfüllungsaufwand". Diese Kosten werden dann verglichen mit Entlastungen an anderer Stelle, durch den Wegfall von staatlichen Vorgaben.
Bis 2020 war die Bilanz der Regel aus Sicht des Normenkontrollrates einigermaßen befriedigend: Die Entlastungen waren zunächst sogar höher als die zusätzlichen Lasten. Das hat sich geändert - zum Ende der Amtszeit der Großen Koalition und dann noch einmal verstärkt mit dem Amtsantritt der Ampelkoalition. In Zahlen: Den Belastungen in Höhe von rund 530 Millionen Euro im Zeitraum 2021/22 standen lediglich Entlastungen von rund 125 Millionen Euro gegenüber.
Die Regel zeigt Wirkung…
Lutz Goebel, der aktuelle Vorsitzende des Normenkontrollrates, will die Wirkung der "One in, one out"-Regel aber nicht geringschätzen. Ein Staatssekretär habe ihm einmal im Vertrauen gesagt, dass ohne diese Bürokratiebremse überhaupt keine Bürokratie abgeschafft worden wäre. Allein durch das Vorhanden-Sein der Regel, die Verpflichtung, den "Erfüllungsaufwand" zu schätzen und die regelmäßigen Berichte werde immer wieder der Fokus auf das Thema gelenkt.
Doch warum tut sich nicht mehr? Wo doch praktisch kein Tag vergeht, an dem Politiker über den Abbau von Bürokratie sprechen. So hat beispielsweise die Bundesregierung im Rahmen der Energiepreisbremsen auch ein "Belastungsmoratorium" versprochen. In Worten von Finanzminister Christian Lindner (FDP): "Während der Zeit der Krise und während wir diesen Abwehrschirm haben, wird diese Bundesregierung keine Maßnahmen unterstützen oder auf den Weg bringen, die mit einem unverhältnismäßigen zusätzlichen Bürokratieaufwand für Mittelstand, Handwerk oder Industrie verbunden sind."
Und die CDU hat erst in diesen Tagen im Rahmen ihres "Sofortprogramms" für die Wirtschaft gefordert, alle neuen Gesetze, die Bürokratie verursachen, zu stoppen.
…hat aber Grenzen
Dass es mit Bürokratiebremsen wie der "One in, one out"-Regel nicht so einfach ist, hängt unter anderem mit den Ausnahmen zusammen. Die Vorgabe gilt zum Beispiel nicht, wenn höchstrichterliche Entscheidungen umgesetzt werden oder wenn Gesetze auf Vorgaben aus Brüssel beruhen. Zwar hat auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die "One in, one out"-Regel als Ziel ausgegeben, doch mit der Umsetzung kommt sie nicht voran - im Gegenteil.
Für das vergangene Jahr 2022, darauf hat Rainer Kirchdörfer von der Stiftung Familienunternehmen und Politik hingewiesen, weist die EU-Datenbank mehr als 2.000 angenommene Rechtsakte auf. Dem steht der Wegfall von nur 534 Rechtsakten entgegen.
Unternehmen beklagen immer mehr Berichtspflichten
Konkret zeigt sich das Problem an den immer stärkeren Berichtspflichten. Dafür mag es in jedem Einzelfall gute Gründe geben, doch in der Summe sorgen sie in der Wirtschaft für große Probleme. So müssen aufgrund von Vorgaben aus Brüssel künftig auch mittlere Unternehmen Berichte über ökologische und soziale Risiken abgeben - und dafür Mitarbeiter und Geld einsetzen.
Achim Dercks, stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), sagt: "Gerade, wenn man ohnehin zu wenige Fachkräfte hat, ist der Frust groß, wenn man sieht, dass diese Mitarbeiter nicht für den Dienst am Kunden eingesetzt werden können, sondern behördliche Anforderungen erfüllen müssen, zum Teil sogar noch auf Papier." Aus Sicht von Lutz Goebel, dem Vorsitzenden des Normenkontrollrates, der selbst lange als Unternehmer tätig war, sollte das Thema Entbürokratisierung daher in einem umfassenden Sinn ganz neu auf die Agenda der Politik: "Wir müssen fragen, wie wir Gesetze einfacher machen und wie wir den Vollzug der Gesetze entlasten von Bürokratie."
Vor allem müssten Entscheidungen in Planungs- und Genehmigungsverfahren sehr viel schneller getroffen werden - "sonst wird unser Land in der Sackgasse enden", wie Goebel im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio sagt.
An sich entspricht all das auch den Ambitionen der Bundesregierung. Doch zwischen den politischen Versprechen zum Bürokratieabbau und dem konkreten Handeln klafft eine Lücke. So hat der Normenkontrollrat festgestellt, dass die Kosten, die mit den staatlichen Vorgaben verbunden sind, in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind - trotz aller Versuche, dem zu begegnen.