Bund-Länder-Treffen Worum es beim Flüchtlingsgipfel geht
Wenn Bund und Länder heute zum Flüchtlingsgipfel zusammenkommen, geht es ums Geld - aber nicht nur. Längst dreht sich die Debatte auch um Grundsätzliches. Wohin in der Asylpolitik? Ein Überblick.
Die Ausgangslage
Fast könnte man meinen, der Streit in der deutschen Flüchtlingspolitik reduziert sich auf einen Streit ums Geld. Seit Wochen fordern Länder, Landkreise und Kommunen mehr finanzielle Unterstützung vonseiten des Bundes für die Unterbringung, Versorgung und Integration der Geflüchteten - und je näher das Spitzentreffen mit dem Kanzler rückte, desto lauter und schärfer wurde der Ton.
Dass der Bund mit Verweis auf Milliardenzahlungen schon frühzeitig mauerte und wenig Hoffnung weckte, bei den heutigen Gesprächen das Portemonnaie erneut zu öffnen, dürfte sicherlich zum allgemeinen Verdruss auf Länderseite beigetragen haben. Eine falsche Rechnung warfen die Länder dem Bund vor.
Was ist vom heutigen Bund-Länder-Treffen zu erwarten?
Nach diversen Vorgesprächen beginnt der Flüchtlingsgipfel am frühen Nachmittag. Die Bundesregierung geht mit einer abgestimmten Position in die Veranstaltung, ebenso tun dies die Ministerpräsidenten. Die Kommunen sind nicht vertreten. Ob sich die unterschiedlichen Seiten aufeinander zu bewegen, wird sich zeigen. Das Ende des Gipfels ist offen - alle Beteiligten gehen von einem langen Abend aus. Auch ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen.
Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen in Deutschland?
Zuletzt kamen deutlich mehr Flüchtlinge nach Deutschland als noch im vergangenen Jahr. Die Zahl der Asylanträge für die ersten vier Monate des Jahres lag 78,4 Prozent über der des Vorjahreszeitraums. Die meisten Antragsteller kommen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.
Hinzu kommen die etwa eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Krieg in ihrem Land geflohen sind und weiterhin in Deutschland leben. Sie müssen kein reguläres Asylverfahren durchlaufen.
Was wollen die Länder und Kommunen erreichen?
Die Länder fordern nach wie vor mehr finanzielle Unterstützung. Sie wollen, dass sich die Zahlungen des Bundes an der Zahl der aufgenommenen Menschen orientieren. "Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst (atmendes System)", heißt es in dem Papier.
Die Länder verlangen die vollständige Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete sowie eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Außerdem fordern sie eine verlässliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge.
Nach Ansicht der Länder und Kommunen soll der Bund außerdem dafür sorgen, dass weniger Menschen, die bereits in anderen EU-Staaten registriert oder sogar als Flüchtlinge anerkannt wurden, nach Deutschland kommen. In einem Papier, das die Länder gemeinsam an das Bundeskanzleramt geschickt haben, fordern sie auch "verpflichtende Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen für bestimmte Personengruppen", mehr Kontrollen an Grenzen und schnellere Asylverfahren in Deutschland.
Wird die Bundesregierung mehr zahlen?
Bisher lehnte der Bund die finanziellen Forderungen der Länder ab. Untermauert wurde diese Position mit einer Auflistung bisheriger Ausgaben: Laut Finanzministerium gab der Bund im vergangenen Jahr insgesamt 29,8 Milliarden Euro für Flüchtlingshilfe aus. 2023 werden es rund 26,6 Milliarden sein - darunter sind allerdings auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Fluchtursachenbekämpfung stehen. Darüber hinaus verweist der Bund auf die Unterstützung Geflüchteter aus der Ukraine, die Grundsicherung bekommen. Der Bund übernehme damit direkt bereits 90 Prozent der Sozialleistungen.
Grundsätzlich gebe es "drastische Einnahmenverschiebungen zu Lasten des Bundes". Während Länder und Gemeinden insgesamt Überschüsse machten, habe der Bund 2022 zum dritten Mal in Folge ein Defizit in dreistelliger Milliardenhöhe zu verzeichnen. Es zeichnet sich also ab, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Rufe nach mehr Bundesgeld weiterhin ins Leere laufen lassen will.
Wie soll es mit den Asylverfahren weitergehen?
Nach den Worten von Kanzler Scholz sollen die Asylverfahren beschleunigt werden. Sie dauerten teilweise mehrere Jahre. Es sei deshalb notwendig, die Ausländerbehörden zu digitalisieren und genügend Stellen für Verwaltungsrichter zu schaffen, betonte der SPD-Politiker.
Auch die Rückkehr zu "zentralen Ankunftseinrichtungen" ist im Gespräch. In einem Beschlussvorschlag des Kanzleramts für den Flüchtlingsgipfel heißt es, damit könnten "Rückführungen auch direkt aus diesen Einrichtungen heraus betrieben werden". Das Konzept erinnert an die von der Vorgängerregierung aus CDU/CSU und SPD eingeführten sogenannten Anker-Zentren, die es ab Mitte 2018 gab.
Er sei offen für gemeinsame Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, sagte auch Scholz. Er forderte zudem einen wirksamen Grenzschutz. Deutschland könne im EU-Rahmen bei den angedachten Migrationspartnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern von Flüchtlingen helfen.
Wie ist der Stand beim Thema Abschiebungen?
Gesetzliche Regeln, die Abschiebungen bisher erschweren, sollen der Beschlussvorlage der Bundesregierung zufolge angepasst werden. Konkret will man beispielsweise die Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei erweitern und den sogenannten Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängern.
Die Idee scheinen auch die Länder zu unterstützen. Bayerns Regierungschef Markus Söder setzte sich außerdem für einen härteren Kurs gegenüber den Herkunftsstaaten ein. Der CSU-Politiker betonte in der "Bild am Sonntag": "Wir stehen zum Grundrecht auf Asyl. Aber bei Ländern, die einer geordneten Rückführung nicht zustimmen, müssen wir künftig auch über Kürzungen bei der Entwicklungshilfe nachdenken." Söder forderte auch, die Zahl der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern.
Wie steht es um die sicheren Herkunftsstaaten?
Einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zufolge soll die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten von Asylbewerbern erweitert werden. "Ich schlage vor, sehr zügig mit Georgien und der Republik Moldau umfassende Migrationspartnerschaften auf den Weg zu bringen", sagte der Sonderbevollmächtigte für Migration, Joachim Stamp, dem "Spiegel". Dabei sollten beide Länder als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, "damit die Asylverfahren so beschleunigt werden können, dass sich missbräuchliche Antragstellung nicht mehr lohnt", so der FDP-Politiker.
Wenn ein Staat als sicheres Herkunftsland eingestuft ist, sind Asylanträge von Menschen, die von dort kommen, grundsätzlich als "offensichtlich unbegründet abzulehnen" - außer die Betroffenen können ausdrücklich das Gegenteil beweisen. Derzeit stehen auf der Liste Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.
Eine Ausweitung stößt insbesondere bei den Grünen auf Vorbehalte. 2019 hatten sie ein Gesetz, mit dem Tunesien, Marokko, Algerien und Georgien als "sichere Herkunftsstaaten" deklariert werden sollten, im Bundesrat blockiert.
Was sind die Pläne der EU?
Die Positionen der EU-Mitglieder zu einer Reform des Asylsystems liegen noch weit auseinander. Doch angesichts des wieder gestiegenen Migrationsdrucks in vielen EU-Staaten scheint es dennoch nicht unrealistisch, dass eine Lösung gefunden werden könnte.
Seit Jahren versucht die Europäische Union ihr Asylsystem zu reformieren. Im Kern geht es darum, einen Modus zu vereinbaren, wie Asylsuchende gerecht unter allen 27 EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen.
Im März traf sich Bundesinnenministerin Faeser mit den Amtskollegen von fünf einflussreichen EU-Staaten, die auch potenzielle Aufnahmeländer sind - Frankreich, Italien, Schweden, Spanien und Belgien. Der Fahrplan der EU sieht vor, dass sich alle EU-Mitglieder bis Juni einigen. Danach könnten die Verhandlungen mit dem Europaparlament erfolgen. Ziel ist es, bis spätestens Frühjahr 2024 Verhandlungen für ein neues Asylsystem abzuschließen.
Welche Kritik gibt es?
Die deutsche Sektion von Amnesty International zeigte sich befremdet über einzelne Vorschläge und den Tonfall in den Debatten. Die Menschenrechtsorganisation sprach von "zunehmenden menschenrechtlich zweifelhaften Forderungen und verbalen Entgleisungen von Politikern", etwa bei Rufen nach Obergrenzen und Zäunen, und mahnte alle Beteiligten, "einen diskriminierungssensiblen Dialog aufrechtzuerhalten und konstruktiv an Lösungen für die Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden zu arbeiten".
Mehr Grenzverfahren und Inhaftierungen seien keine Antwort auf die Herausforderungen, sagte die stellvertretende Generalsekretärin, Julia Duchrow. Sowohl auf EU-Ebene als auch auf föderaler Ebene gelte es, sachlich menschenrechtskonforme Lösungen zu erarbeiten.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sieht die Bundesregierung im Umgang mit geflüchteten Menschen aktuell auf der Linie des früheren CSU-Bundesinnenministers Horst Seehofer. Die bekannt gewordenen Pläne ließen "Schlimmes erahnen". Der Bund setze wie die Vorgängerregierung auf sogenannte Anker-Zentren und sichere Herkunftsstaaten, außerdem auf längere Abschiebungshaft und stärkere Abschottung an den Außengrenzen.
UNICEF Deutschland und 26 weitere Organisationen forderten Bund, Länder und Kommunen dazu auf, ihrer Verantwortung bei der Versorgung von geflüchteten Menschen nachzukommen und dabei den Kinderschutz stärker zu berücksichtigen.