Generaldebatte im Bundestag Wachgerüttelt von der Straße
Die Ampelparteien und die Union haben in der Generaldebatte die AfD heftig kritisiert - wohl auch als Reaktion auf die Massenproteste. Einigkeit herrschte nur in diesem Punkt.
Bei der Generaldebatte im Bundestag wurde eine Neuauflage des inzwischen schon geübten Rededuells zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz erwartet. Die gab es später auch, weil sich ein recht feuriger Kanzler Scholz das wohl vorgenommen hatte: Er arbeitete sich zeitweise richtig an Merz ab und nannte den CDU-Chef "Mimose" und "Hasenfuß".
Oppositionsführer Merz, der als erster Redner ans Pult tritt, erntet zunächst aber ungewöhnlich breiten Applaus - auch aus den Reihen der Ampelparteien. Verkehrte Welt?
Folge der Demonstrationen?
Nicht ganz. Eher macht das Parlament den Eindruck, wachgerüttelt worden zu sein: von den vielen Menschen, die in den vergangenen Tagen auf die Straße gegangen waren, um gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zu demonstrieren.
Eine erfahrene Parlamentarierin sagt am Rande des Plenums im Gespräch mit tagesschau.de, dieser neue Schwung der Straße gebe allen hier drinnen Kraft. Der Applaus auf die Merz-Worte ist so stark, dass sich AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann auf seinen Drehstuhl in Richtung seiner Fraktion um 180 Grad wegdreht und damit für den Moment Parlament wie Kabinett den Rücken kehrt.
"Sie machen gemeinsame Sache mit Rechtsextremisten, Identitären und Reichsbürgern - genug ist genug", ruft Merz den AfD-Abgeordneten zu: "Sie sind nicht die Alternative für Deutschland, Sie sind der Abstieg für Deutschland". Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wird später nachlegen: "Sie sind die Alternative der Unmündigkeit, Unterwürfigkeit und Unfreiheit - das hat mit Patriotismus nichts zu tun, das ist Vaterlandsverrat!"
Applaus für Scholz aus der Unionsfraktion
Eine Generaldebatte im Bundestag, in der dem Namen entsprechend eine große Themenvielfalt angesprochen wird, kann schnell beliebig werden. An diesem Tag ist vieles anders. Es mag auch an der nur eine Stunde vorher zu Ende gegangenen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus liegen.
Doch das Parlament wirkt wie wachgerüttelt im Vergleich zu früheren Generaldebatten - von den Menschen auf der Straße, von dem nachträglich bekannt gewordenen Potsdamer Treffen zu "Remigration".
Zuweilen ließ man in früheren Debatten die AfD einfach reden, ohne sich stark mit ihr auseinanderzusetzen, allenfalls wurde auf Zwischenrufe reagiert. Es war oft ein kühles Nebeneinander. Jetzt ist die Partei in den ersten beiden Stunden der Debatte Bestandteil jeder Rede von links bis rechts, auch beim Kanzler: Die Pläne unter dem Stichwort "Remigration" erinnerten "an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte". Bei dieser Passage erhält der SPD-Kanzler auch den Applaus der Unionsfraktion.
Kein Signal der Kooperation
Da gerät der Bundeshaushalt 2024, der Anlass dieser Generaldebatte, gelegentlich in den Hintergrund - Merz etwa kommt in seinem fast halbstündigen Auftritt nahezu ohne Zahlen aus. Allerdings wird dennoch schnell klar: Jenseits der gemeinsamen inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD ist die Gemeinsamkeit zwischen Ampel und größter Oppositionsfraktion auch schon vorbei.
Auf die Kritik der Ampelfraktionen etwa, dass seine Fraktion keine Änderungsanträge am Haushalt eingereicht hatte, reagiert Merz eher flapsig bis trotzig. Man sei "in allen wesentlichen Fragen vollkommen anderer Meinung als Sie, und zwar im Grundsatz", rief er in Richtung Kanzler. Deshalb habe seine Fraktion auch keine Änderungsanträge eingereicht.
Damit macht er seinen aktuell gewählten Oppositionskurs mehr als deutlich: Er setzt auf maximale Distanz zur Ampelregierung, erteilt der Kooperation etwa bei Grundgesetzänderungen zur Reform der Schuldenbremse eine klare Absage. Hier würde die Union für eine Zweidrittelmehrheit gebraucht - aber auch bei der aktuellen Debatte zur Absicherung des Bundesverfassungsgerichts. Merz scheint für diesen Tag zumindest entschieden zu haben, kein Signal der Kooperation zu senden.
Debatte um Schuldenbremse
Und das, obwohl am Vortag der Sachverständigenrat Wirtschaft eine Reform der Schuldenbremse empfahl und auch zur Eile mahnte: Denn ob es eine Zweidrittelmehrheit unter demokratischen Parteien in der kommenden Legislaturperiode gebe, wisse man nicht, sagte die Ratsvorsitzende und Ökonomin Monika Schnitzer im RBB.
Ob Merz seinen Contra-Kurs wird durchhalten können, ist ohnehin eher unklar: Schließlich sind auch Unions-Ministerpräsidenten für eine Reform der Schuldenbremse. Grünen Fraktionschefin Britta Haßelmann appelliert an "Herrn Merz" zu kooperieren: Alle seien gemeinsam gefordert, "unser Land zukunftsfest zu machen". Konsens gehöre schließlich zur Demokratie, nicht nur Rede und Gegenrede.