Erste Bundestagspräsidentin "Auf Männer möchte ich mich nicht verlassen"
Der Bundestag ehrt heute eine Pionierin: Annemarie Renger war die erste Bundestagspräsidentin. Was ist ihr Vermächtnis? Welche Herausforderungen sind geblieben?
Es ging Alterspräsident Ludwig Erhard hörbar schwer über die Lippen, die passende Form zu finden: "Frau Präsident, ich übermittele Ihnen die Wünsche des Hauses." Zum ersten Mal in der Geschichte stand eine Frau an der Spitze eines frei gewählten Parlaments. Weltweit einzigartig.
Das waren die Zeiten, als die Sozialdemokratin Annemarie Renger beschloss, es müsse sich etwas ändern, in der deutschen Politik.
So ganz allein auf die Männer möchte ich mich nicht verlassen, wenn ich die Jahrtausende betrachte, die sie fast alleine Politik gemacht haben.
Renger wurde Bundestagspräsidentin, in einer Zeit, in der Frauen ohne Zustimmung des Ehemanns nicht arbeiten gehen durften. Sie hatte als Sekretärin des SPD-Chefs Kurt Schumacher angefangen, in einem "klassischen Frauenjob" und war dann in die Politik gegangen. Mit ihrer Kandidatur wollte sie die Machtverhältnisse aus dem Zentrum der Macht heraus verschieben.
Wir waren stärkste Partei, da habe ich mich gemeldet, dass ich mich zur Wahl stelle. Was sollten die denn machen?
Viele Themen sind weiter relevant
Selbstbewusst und durchsetzungsstark, so beschreibt 50 Jahre später die amtierende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ihre Vorgängerin. "Bei einem Frauenanteil von 5,8 Prozent damals im Bundestag, da musste man glaube ich selber sagen, ich will das machen, da wurde man nicht gefragt."
Bas hatte sich, anders als Renger, nicht um das Amt beworben. Es sei kein Teil ihrer Lebensplanung gewesen und doch habe sie ohne zu Zögern ja gesagt. Bas sollte, Renger wollte. Sonst aber sind die Herausforderungen der beiden Frauen in ihrem Amt gar nicht so verschieden. "Sie hat eigentlich damals schon Themen gesetzt, die heute, nach 50 Jahren immer noch relevant sind."
Ganz weit vorn: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Bundestagsverwaltung - nicht nur für Abgeordnete, sondern auch deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. "Sie hat sich stark gemacht, dass 1970 die Bundestags-Kita eröffnet wurde, das war ihr Anliegen, und heute reden wir immer noch über das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, 50 Jahre später."
"Trotzdem noch nicht alles erreicht"
Gerade entschlackt Bas die Geschäftsordnung des Bundestags - die aus den 1980er-Jahren stammt. "Da stehen Dinge drin, da muss ich immer noch schmunzeln. Dass ich Urlaub genehmige für die Abgeordneten, findet natürlich in Wahrheit nicht mehr statt, aber normalerweise müssten die mir ihren Urlaubsschein vorlegen, und dann genehmige ich den oder nicht."
Annemarie Renger hatte zu ihrer Zeit eine Parlamentsreform angestoßen, Bas dreht das Thema weiter: Künftig sollen die Abgeordneten digital abstimmen. Hier hinkt der Bundestag im Vergleich zu anderen Parlamenten hinterher.
Und dann ist da noch das Anliegen, Politik nicht hauptsächlich den Männern zu überlassen. "Heute ist es selbstverständlicher, auch in die Politik zu gehen, aber wir haben trotzdem noch nicht alles erreicht, es ist noch viel zu tun, der Anteil bei 35 Prozent ist noch viel zu wenig." Annemarie Renger hätte bei einer solchen Aussage vermutlich die Augenbrauen hochgezogen - aber die Ansprüche waren auch deutlich bescheidener. "Sie wollte beweisen, dass eine Frau dieses Amt kann. Und sie hat es bewiesen." Bas muss diesen Beweis heute nicht mehr erbringen.