Reformen bei Bundeswehrbeschaffung "Weitgehend gescheitert"
Alle Maßnahmen, die die Beschaffung bei der Bundeswehr verbessern sollen, sind laut einer neuen Studie "weitgehend gescheitert". Das Sondervermögen hemme Reformen anstatt sie zu beschleunigen.
35 bis 45 Milliarden Euro des Sondervermögens gingen im ineffizienten Beschaffungswesen der Bundeswehr drauf - mit dieser Analyse machte der renommierte Konfliktforscher Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) vor einem Jahr Schlagzeilen.
Seine neue Studie, die dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt, kommt zu dem Schluss: Alle Reformen, die die Beschaffung seit der vom Kanzler ausgerufenen "Zeitenwende" verbessern sollen, seien "weitgehend gescheitert". Darüber hinaus hätten die "Zeitenwende" und das enorme Geld, das dem Apparat damit zur Verfügung stehe, dazu geführt, dass Rüstungsindustrie, Bundeswehrbürokratie, Bundestag und Bundesregierung noch stärker verflochten seien, zum Nachteil der Steuerzahler.
Versagen bei Prestigeobjekten
Ende September machte sich die Bundeswehr wieder einmal zur Lachnummer. Es wurde bekannt, dass die neuen digitalen Funkgeräte des deutschen Herstellers Rohde & Schwarz, die man für ca. 1,3 Milliarden Euro angeschafft hat, zum Teil nicht in die Fahrzeugtypen der Bundeswehr passen. Zudem reicht bei einigen die Batterieleistung nicht für den Funk, bei anderen braucht man zusätzliche Kühlung.
Dass bei einem Prestigeobjekt der Truppe die Abteilung Fahrzeuge nicht mit der Abteilung Kommunikationsgeräte gesprochen hatte, ist keinem Außenstehenden erklärbar. Aber genau das ist augenscheinlich passiert. Jetzt dauert es vermutlich zwei Jahre länger, bis die Bundeswehr die Geräte im Feld benutzen kann - und es wird natürlich teurer. Verteidigungsminister Boris Pistorius reagierte gereizt, er hatte eigentlich erfolgreich den Eindruck erweckt, die Beschaffung werde unter seiner Führung besser und schneller funktionieren.
Kritik am Beschleunigungsgesetz
Folgt man Konfliktforscher Brzoska, wird es Beschaffungsdesaster wie bei den digitalen Funkgeräte auch in Zukunft geben. Er bewertet die Reformbemühungen des jetzigen Verteidigungsministers und seiner Vorgängerin mit großer Skepsis.
In seiner von der Organisation Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie "Arsenale, Aufträge, Amigos" beurteilt Brzoska besonders das "Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr" äußerst kritisch. Die Vorgaben seien ja gut und schön, so lässt sich seine Beurteilung zusammenfassen, solange aber im Beschaffungsamt ca. 1.000 Stellen nicht besetzt seien und Beamte Angst haben müssten, die rechtlich immer noch komplizierten Vorgaben nicht zu erfüllen, werde man lieber nicht als im Zweifelsfall falsch agieren.
Pistorius hatte kurz nach seinem Amtsantritt die Amtsspitze ausgewechselt. Man hätte sich, folgt man der Studie, eher um die Abwerbung von qualifiziertem Personal aus der privaten Wirtschaft kümmern müssen. Auch der Erlass von Staatssekretär Benedikt Zimmer, der angewiesen hat, möglichst auf marktverfügbare Systeme und nicht auf Neuentwicklungen zu setzen, sei nur in Ansätzen hilfreich.
Interessenverflechtung hat eher zugenommen
Und das viele Geld, das nicht zuletzt mit dem Sondervermögen im System sei, erschwere die Reformen eher als sie zu beschleunigen. Nach der Analyse der Studie ist der Komplex aus Politik und Industrie eher zusammengewachsen und intransparenter geworden als reformfreudiger. "Die Zeitenwende hat zu einer noch stärkeren Interessenverflechtung der deutschen Rüstungsindustrie mit der Beschaffungsbürokratie, dem Bundestag und der Bundesregierung geführt", schreibt Brzoska.
Trotz aller Reformbemühungen sei nämlich die Tendenz geblieben, Rüstungsvorhaben vorwiegend national, also an deutsche Firmen zu vergeben. Auch hier habe sich nach Errichtung des Sondervermögens allenfalls der Anschein geändert. Man kaufe mehr im Ausland ein, aber denke immer noch unverantwortlich oft an die heimische Industrie.
Zwar bestelle die Bundeswehr jetzt für über acht Milliarden Euro F-35 Kampfjets aus den USA, habe aber dafür gesorgt, dass die deutsche Industrie beteiligt werde: Ein zentrales Rumpfteil für die Flieger wird in einer neuen Rheinmetall-Fabrik in Weeze hergestellt. Bei den schweren Transporthubschraubern, die man auch in den USA einkauft, habe man auf Wartung und Modernisierung durch deutsche Firmen gedrängt etc. Das alles sei kostentreibend und ineffizient und könne nur zum Teil mit deutschen Sicherheitsinteressen gerechtfertigt werden.
Teurere und unsinnige Entscheidungen in Ausschüssen
Als einen wesentlichen Grund für diese unrentable Bevorzugung deutscher Firmen sieht Brzoska ein strukturelles Problem, nämlich vor allem die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss über die Beschaffung mitentscheiden. Politikerinnen und Politikern, die in ihren Wahlkreisen Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie hätten, seien geneigt, sich auch für objektiv unsinnige Beschaffungsprojekte auszusprechen.
Hier habe noch keine Reform versucht anzusetzen. Also schlägt Brzoska vor, solche Abgeordnete mit Partikularinteressen vor allem vom Haushaltsausschuss auszuschließen. Neben diesem sehr weitgehenden Vorschlag regt der Autor der Studie an, einen Fachdienst für Rüstungsangelegenheiten im Bundestag zu schaffen, um den Abgeordneten für die teueren Entscheidungen unabhängige Fachexpertise zu vermitteln.
Das Geld, das so gespart werde, werde an anderer Stelle dringend gebraucht. Brzoska sieht große Finanzierungsengpässe nach dem Ende des Sondervermögens. Er weist besonders darauf hin, dass bei den teueren Neuanschaffungen auch die laufenden Betriebskosten gedeckt werden müssten. Diese könnten über einen gesamten Lebensweg in Einzelfällen auch mehr als das Doppelte der Anschaffungskosten betragen.
Beschaffungsprobleme als gesellschaftliches Problem
Für alarmierend hält er die Tatsache, dass nicht nur die Reformvorhaben auch des jetzigen Ministers nicht hinreichend griffen, sondern dass es im Gegenteil "Anzeichen für einen Rückfall in die Muster vieler Beschaffungsvorhaben aus der Zeit vor der Zeitenwende" gebe.
Dass die Studie zu einem Zeitpunkt erscheint, in dem auch in der Bundesregierung über die immer knapper werdenden Ressourcen gestritten wird, macht sie besonders brisant. Hat der Herausgeber recht, dann fehlt Geld für Soziales, Bildung, Natur- und Klimaschutz allein schon deswegen, weil bei der Bundeswehr in großem Stil Geld verschwendet wird. Die ungelösten Beschaffungsprobleme der Bundeswehr, die Brzoska beschreibt, wären in diesem Sinne ein großes gesellschaftliches Problem.
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