Carsten Schneider Die Ost-Stimme am Ohr des Kanzlers
Die Ampel-Koalition hat die Position des Ostbeauftragten aufgewertet und als Staatsminister direkt im Kanzleramt angesiedelt. Carsten Schneider will diese neue Stärke nutzen. Was sind die Pläne des Thüringers?
Carsten Schneider ist gerade erst angekommen. Sein Büro im sechsten Stock des Bundeskanzleramtes wirkt noch etwas kahl. In den ersten Tagen hat der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung sich öffentlich zurückgehalten und Gespräche geführt: mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer oder General Breuer vom Corona-Krisenstab der Bundesregierung. Ergebnis: Es gibt viel zu tun für den "Staatsminister für Ostdeutschland und gleichwertige Lebensverhältnisse", so Schneiders offizieller Titel.
Schneider will loslegen, Termine vor Ort wahrnehmen, Gespräche führen, Leuten zuhören und "ein bisschen etwas davon zurückgeben, was ich in 20 Jahren an Erfahrung aufbauen konnte". Er spricht davon, "das Image zu drehen und zu einem stärkeren Selbstbewusstsein zu kommen".
Schneider hat klare Vorstellungen vom Osten. Er ist in einem Plattenbauviertel von Erfurt aufgewachsen und erinnert sich gut daran, wie ausgebildete Ingenieure in den 1990er-Jahren in perspektivlosen ABM-Beschäftigungen landeten, er weiß um die Kränkungen, spricht vom Gefühl, "nicht gesehen zu werden".
Sympathien über Parteigrenzen hinweg
Schneider kam als 22-Jähriger in den Bundestag. Heute ist er 45 Jahre alt. In der vergangenen Legislaturperiode hat er sich vor allem als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion Sympathien erworben. Auch bei Kolleginnen und Kollegen mit anderem Parteibuch. Michael Grosse-Brömer von der CDU beispielsweise sagt, man habe freundschaftlich zusammengearbeitet. Er schätze an Schneider, dass er nicht "ideologisch feststeckt". "Ich halte ihn nicht für verbohrt, aber wenn es ernst wird, kann er sich durchsetzen. Er wird schon ein guter Interessenvertreter für Ostdeutschland sein."
Lob gibt es für Schneider auch von der anderen Seite: Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hält den Erfurter für eine gute Wahl: "Carsten Schneider ist jemand, der den Osten sehr gut kennt, und ich bin zuversichtlich, dass er mehr auf die Reihe bringt und sich als Ostbeauftragter, der deutlich hörbar ist, auch im Widerspruch zu Entscheidungen der Bundesregierung, profilieren wird."
Am Ohr des Kanzlers: Carsten Schneider ist neuer Ostbeauftragter der Bundesregierung.
Scholz ist nur ein Stockwerk entfernt
Bartsch gefällt es auch, dass der Ostbeauftragte nicht mehr im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, sondern jetzt direkt im Bundeskanzleramt sitzt. Tatsächlich ist Olaf Scholz nur ein Stockwerk entfernt. Schneider nimmt an den Kabinettssitzungen teil und kann mitreden, wenn entschieden wird, wohin beispielsweise Fördermittel gehen. "Ich bin quasi nur bei Olaf Scholz direkt angesiedelt und sozusagen mein eigener Herr und Chef", so Schneider. Es gebe keine Weisungsbindung. Vielmehr habe er "immer das Ohr und auch die Zeit des Kanzlers, wenn es wichtig ist. Das müssen auch die anderen Ministerialbeamten wissen und auch die Kolleginnen und Kollegen, weil ich natürlich dadurch noch durchsetzungsstärker werde."
Neben der Berücksichtigung der Interessen Ostdeutschlands bei der Regierungspolitik, etwa wenn Forschungseinrichtungen angesiedelt werden, will Schneider auch Einfluss auf die Debattenlage nehmen, wie er sagt. Da ist ihm vieles zu holzschnittartig. Er will zuhören und den Menschen eine Stimme geben.
Wer die Verhärtungen in Ostdeutschland aufbrechen will, braucht Ausdauer. Vielleicht hilft ihm da seine Erfahrung als Radrennfahrer: "Das ist eine Ausdauersportart, sie müssen sich durchbeißen und wenn sie einen Berganstieg in Angriff nehmen, müssen sie bis oben hinkommen." Bis oben hin ist Schneider tatsächlich gekommen: in den sechsten Stock des Kanzleramts nämlich.