Mutmaßliche Anschlagspläne Ermittler finden verdächtige Substanzen
Der Verdacht gegen zwei Iraner, die einen Anschlag mit Giftstoffen geplant haben sollen, erhärtet sich: Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios wurden nun doch Substanzen gefunden, um Giftstoffe herzustellen.
Bereits am Freitag wurde die Wohnung des 32-jährigen Iraners ein zweites Mal durchsucht. Das erste Mal war sie eine Woche zuvor in der Nacht durchsucht worden, als der Mann und sein 25-jähriger Bruder festgenommen worden waren. Die erneute Durchsuchung fand nun bei Tageslicht und ohne besondere Sicherungsvorkehrungen statt, und dieses Mal wurden die Ermittler fündig: Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios aus Sicherheitskreisen entdeckten sie Substanzen, die zur Herstellung von Giftstoffen benötigt werden.
Die Ermittler werfen den beiden Tatverdächtigen vor, dass sie einen islamistisch motivierten Anschlag mit hochgiftigem Rizin und Cyanid verüben wollten. Bei der ersten Durchsuchung hatte die Polizei weder Materialien für die Herstellung der Giftstoffe oder den Bau einer Bombe noch konkrete Anschlagsplanungen entdeckt.
Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf bestätigte dem ARD-Hauptstadtstudio, dass es eine weitere Durchsuchung gab, bei der weitere Beweismittel gefunden wurden. Was genau gefunden wurde, wollte die Generalstaatsanwaltschaft mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren. Die beiden Tatverdächtigen sitzen seit einer Woche in Untersuchungshaft.
Hinweis aus den USA
Ein erster Hinweis auf einen drohenden Anschlag mit Rizin und Cyanid hatte das Bundeskriminalamt (BKA) am Tag vor Silvester aus den USA erreicht, teilte NRW-Justizminister Benjamin Limbach am Montagmorgen in einer Sondersitzung des nordrhein-westfälischen Landtags mit.
Erst am 6. Januar sei es dem BKA dann auf Grundlage eines weiteren Hinweises aus den USA möglich gewesen, über die IP-Adresse die Identität des 32-jährigen Iraners in Castrop-Rauxel zu ermitteln. Darüber hinaus informierte der Justizminister die Abgeordneten darüber, dass die Brüder ursprünglich einen Anschlag am Silvestertag geplant hätten. Allerdings hätten noch Bestandteile gefehlt.
Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios hatten die Brüder Kontakt zu einer Gruppe aufgenommen, die dem sogenannten Islamischen Staat zugerechnet wird. Die Gruppe ist spezialisiert auf die Propagierung von Anschlägen dieser Art. Sie besteht, zumindest unter ihrem jetzigen Namen, seit 2018 und verbreitet Anleitungen, die erklären, wie man Gift oder Giftgas herstellt, Bomben und Sprengstoffwesten baut, sowie Anschläge insbesondere mit Giftstoffen verübt.
Zur Verbreitung wird ein Telegram-Kanal genutzt, in dem die Anleitungen meist im PDF-Format oder auch als Video zur Verfügung gestellt werden. Die Gruppe gilt als eine von mehreren Medienstellen des IS, über die einschlägiges Propagandamaterial verbreitet wird, und wo Dschihadisten weltweit Anleitungen zur Durchführung von Terroranschlägen erhalten können.
Kontakt zu IS-naher Gruppe
Wie das ARD-Hauptstadtstudio aus Sicherheitskreisen erfuhr, sieht es nach jetzigem Stand der Ermittlungen jedoch nicht danach aus, dass die Brüder über den Kontakt zu der IS-nahen Gruppe hinaus auch von einem Operateur des IS über einen längeren Zeitraum radikalisiert und bei den konkreten Vorbereitungen für die Realisierung eines Anschlags begleitet worden wären.
Dies war in mehreren Fällen so, als im Jahre 2016 in Deutschland Anschläge im Namen des IS verübt wurden, wie bei der Axt-Attacke in einer Regionalbahn bei Würzburg, einem missglückten Anschlag bei einem Musikfestival in Ansbach und bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz.
Seit der sogenannte Islamische Staat von der Landkarte verschwunden ist, operiert der IS aus dem Untergrund und konzentriert sich auf die Verübung von Anschlägen in Syrien und im Irak. Ein IS-Ableger ist darüber hinaus für zahlreiche Terroranschläge in Afghanistan verantwortlich, wo sich die Terrororganisation in einer Art Wettbewerbsverhältnis mit den Taliban sieht.
Auch in anderen Regionen gibt es IS-Ableger. Zwar ist es nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden erklärtes Ziel des IS, auch wieder in Europa Anschläge zu realisieren, allerdings geht man davon aus, dass die Organisation aktuell nicht in der Lage ist, große Terrorplots in Europa zu initiieren. Über das Internet blieben der IS und seine Propagandamaschinerie jedoch für Dschihadisten überall auf der Welt erreichbar.
Von 2014 bis 2017 hatte sich die Terrormiliz in Syrien und Irak ein Gebiet unterworfen, ein Kalifat ausgerufen und war zum Anziehungspunkt für Tausende Dschihadisten in der ganzen Welt geworden. Auch aus Deutschland hatten sich Hunderte radikalisierte Islamisten auf den Weg zum IS gemacht und diese Entscheidung oftmals mit dem Leben bezahlt.
Jüngerer Bruder womöglich treibende Kraft
Den 25-jährigen Bruder des nach dem US-Hinweis identifizierten Iraners hatten die deutschen Ermittler zunächst nicht auf dem Schirm. Er wurde nur zufällig angetroffen, als ein Spezialeinsatzkommando der nordrhein-westfälischen Polizei die Wohnung des 32-Jährigen stürmte. Der 25-Jährige befindet sich in psychiatrischer Behandlung und war nur zu Besuch bei seinem Bruder. Mittlerweile sieht es jedoch danach aus, dass der jüngere der beiden Brüder sogar die treibende Kraft bei dem mutmaßlichen Anschlagsvorhaben gewesen sein könnte, erfuhr das ARD-Hauptstadtstudio aus Sicherheitskreisen. Er war 2019 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden, unter anderem wegen versuchten Mordes, weil er von einer Autobahnbrücke einen Ast auf die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs geworfen hatte.
Psychisch labile oder kranke Männer, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, meist traumatisiert, einen Hass auf die Gesellschaft entwickeln und sich bis hin zur Anschlagsreife radikalisieren - mit Fällen dieser Art haben es die deutschen Sicherheitsbehörden immer wieder zu tun. Sie stellen die Ermittler vor besondere Herausforderungen, weil Prognosen in diesen Fällen besonders schwierig sind. Oftmals unterhalten diese Personen keine sichtbaren Verbindungen zur radikal islamistischen Szene, sondern radikalisieren sich ausschließlich im Internet. Für die Sicherheitsbehörden sind sie deshalb oftmals gar nicht zu erkennen. Auch der 25-jährige Iraner war bis dahin nicht als radikalisierter Islamist aufgefallen, genau so wenig wie sein älterer Bruder.