Friedrich Merz
analyse

Partei auf Kurssuche Warum es in der CDU rumort

Stand: 16.06.2023 11:44 Uhr

Um die AfD soll es ausdrücklich nicht gehen. Wenn sich die CDU heute und morgen auf Kurssuche und ein bisschen auch auf Selbstfindung begibt, soll es um Inhalte gehen. Aber in der Partei rumort es.

Eine Analyse von Sarah Frühauf, ARD-Hauptstadtstudio

In der CDU-Parteizentrale in Berlin wird seit Tagen gewerkelt: Scheinwerfer werden aufgehängt, eine Bühne aufgebaut, Tische und Stühle aufgestellt. Das Konrad-Adenauer-Haus soll als Parteitagshalle dienen. Die CDU trifft sich zum sogenannten Bundesausschuss, einer Art kleiner Parteitag. Bei dem fällt alles weniger üppig aus als sonst: weniger Delegierte, ein kleinerer Saal, ein kürzerer zeitlicher Rahmen.

Die CDU spart damit Geld, sie verschafft sich aber auch Zeit. Denn die Partei ist immer noch auf der Suche nach ihren inhaltlichen Leitplanken. Ein großer Parteitag mit kontroversen Debatten würde die Christdemokraten wahrscheinlich derzeit überfordern. Nach den hohen Umfragewerten für die AfD scheint die Partei in eine Art Schockstarre gefallen zu sein. Warum ist die CDU als größte Oppositionspartei nicht die Alternative für die Unzufriedenen? Die Frage treibt die Partei um, wühlt Basis sowie Führungsebene auf.

Mehr Variante als Gegenmodell

Die CDU werde mehr als eine Variante der aktuellen Ampelregierung wahrgenommen, nicht als tatsächliches Gegenmodell. Das hört man immer wieder in der Partei. Die sogenannten Merkel-Jahre würden noch nachhängen. Wer kauft es der Union schon ab, es besser zu machen, wenn sie doch selbst 16 Jahre lang in der Verantwortung stand?

Man müsse sich von einigen Entscheidungen dieser Zeit stärker abgrenzen, fordert Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union. Bei der Migration, aber auch bei der Energiewende seien fehlerhafte Entscheidungen getroffen worden. Wenn man das nicht zugebe, habe man wenig Glaubwürdigkeit. Dass laut Umfragen 80 Prozent der Menschen mit der Ampel unzufrieden seien, die Union aber dennoch weniger als 30 Prozent Zustimmung erreiche, sei ein alarmierendes Signal.

Wie umgehen mit den Merkel-Jahren?

Parteichef Friedrich Merz hadert dagegen offenbar noch, wie er mit der Regierungszeit von Angela Merkel umgehen soll. Als der Altkanzlerin vor zwei Monaten der höchste deutsche Verdienstorden verliehen wurde, konnte er sich nicht zu einer Gratulation durchringen. Öffentlich Kritik an ihrer Regierungszeit hört man von ihm allerdings auch nicht. Ihm dürfte bewusst sein, dass er damit einigen in Partei und Fraktion, die damals selbst ein Amt innehatten, vor den Kopf stoßen würde.

Merz muss immer wieder den Spagat hinbekommen zwischen den Liberaleren in Partei und Wählerschaft und denjenigen, die sich eine konservativere Ausrichtung der CDU wünschen. Nicht immer gelingt er ihm. Er klingt populistisch, wenn er von "Sozialtourismus" und "kleinen Paschas" spricht. Genauso deutlich grenzt er sich aber von der AfD ab, nennt sie ausländerfeindlich und antisemitisch.

Kämpferische Grundsatzrede von CDU-Parteichef Merz auf Kleinen Parteitag

Daniel Pokraka, ARD Berlin, tagesschau, 16.06.2023 16:00 Uhr

Wie viel Populismus soll es sein?

Merz ist sehr entschieden, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird. Auch wenn das Einzelne in der Ost-CDU anders sehen. Für Yvonne Magwas, Bundestagsabgeordnete aus Sachsen und Vize-Bundestagspräsidentin, gehört zu einer Distanzierung von der AfD auch sich sprachlich abzugrenzen. Populismus helfe nur den Populisten. Sie appelliert mehr Sachthemen anzusprechen: Pflege, ärztliche Versorgung, Krankenhausreform.

Doch da gibt es in der CDU aktuell offenbar zwei Denkschulen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die lieber auf Brachialrhetorik setzen und von "Energie-Stasi" und "grüner Bevormundung" reden.

Auch Merz polarisierte zuletzt mit kontroversen Aussagen. In seinem wöchentlichen Newsletter behauptete er, dass mit jeder gegenderten Nachrichtensendung ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD gehen würden.

"Sprachlich sauber bleiben"

Das sorgt für Unruhe, nicht nur hinter den Kulissen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther kritisierte Merz dafür sogar öffentlich. In der "Süddeutschen Zeitung" rief er dazu auf, die Partei solle "sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen". Es gibt sogar Stimmen in der Partei, die im Falle einer Kanzlerkandidatur von Merz mit vier weiteren Jahren in der Opposition rechnen.

Wie viel Distanz zu den Grünen soll es sein?

Auch folgende Erzählung kommt immer wieder, wenn es um die Frage geht, warum die CDU nicht besser in Umfragen dasteht: Man grenze sich nicht ausreichend von den Grünen ab. Vor allem in den Ostverbänden, in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo nächstes Jahr Landtagswahlen anstehen, gibt es ein tiefes Verlangen, noch kritischer mit den Grünen umzugehen - bis hin zu der Forderung, ähnlich wie CSU-Chef Markus Söder eine Koalition mit den Grünen quasi auszuschließen.

Das aber wird Merz nicht tun. Es würde ihm eine Machtoption verbauen. So bleibt ein wenig das Gefühl zurück, dass die CDU wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt.

Schwierige Regierungsbildung im Osten

Nächstes Jahr könnte es dann tatsächlich gefährlich werden für die Partei. In Thüringen könnte die AfD stärkste Kraft werden. Es droht eine Unregierbarkeit des Freistaates. Auch wenn das zunächst ein Problem des Landesverbandes scheint, muss sich auch die CDU im Bund dazu verhalten.

Es geht dann auch um die Frage: Wenn die Brandmauer nach rechts weiter stehen soll, wie sieht es nach links aus? Wie hält es die CDU mit der Linkspartei, die derzeit mit Bodo Ramelow immerhin die Regierung in Thüringen führt? Bleibt das Kooperationsverbot? Aber wie lässt sich dann gegen die AfD eine Regierung bilden?

Alles Zukunftsmusik, heißt es beschwichtigend aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Beim Bundesausschuss heute soll die AfD keine große Rolle spielen. Es gibt zwei Leitanträge zum abstrakten Thema "Freiheit" und konkreter zu einem "Kinderzukunftspaket".

Am Tag darauf will die CDU bei einem Konvent über ihr neues Grundsatzprogramm diskutieren, an dem seit Monaten gearbeitet wird. Das soll dann nächstes Jahr im Mai beim nächsten großen Parteitag verabschiedet werden. Bis dahin sollte die CDU wissen, in welche Richtung es für sie geht.