Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht nach einem Treffen mit Vertretern der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

Habeck zu Lehren aus der Pandemie "Corona-Zeit muss aufgearbeitet werden"

Stand: 27.03.2024 20:13 Uhr

Schulschließungen, Maskenpflicht und Lockdown: Die Beschränkungen während der Corona-Pandemie waren teils heftig umstritten. Führende Ampel-Politiker fordern nun eine tiefgreifende Aufarbeitung der damaligen Entscheidungen.

Führende Vertreter der Ampel-Regierung haben sich für eine kritische Auseinandersetzung mit der Corona-Politik ausgesprochen. Die Alltagsbeschränkungen zur Eindämmung der Pandemie waren teils sehr umstritten. Vizekanzler Robert Habeck bekräftigte in Berlin: "Ich finde es überhaupt nicht ehrenrührig, wenn man sagt, die Corona-Zeit muss noch einmal angeschaut werden und aufgearbeitet werden".

Ihm pflichten weitere Spitzenpolitiker bei, unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: "Ich stehe einer Aufarbeitung nicht im Weg", sagte der SPD-Politiker. Gleichwohl mahnte er zu einem geeigneten Vorgehen.

Aufarbeitung der Pandemie: Kommt die Enquetekommission zu Corona?

Kerstin Palzer, ARD Berlin, tagesschau, 27.03.2024 20:00 Uhr

Mit der Veröffentlichung von Protokollen des Robert-Kochs-Instituts (RKI) zur Corona-Pandemie vergangene Woche, ist die Debatte um das Krisenmanagement der damaligen Regierung erneut befeuert worden. Die FDP drängt auf eine Enquete-Kommission des Bundestages, während die SPD offenbar noch über den Rahmen einer kritischen Aufarbeitung diskutiert. Enquete-Kommissionen bestehen in der Regel aus Abgeordneten aller Fraktionen und externen Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis.

Habeck: Verletzungen und Erfahrungen aufarbeiten

Zur Einsetzung einer solchen Kommission äußerte sich Habeck zurückhaltend. Stattdessen sei es das "Allerwichtigste", dass nicht mehr hilfreiche Debatten aus der Pandemie noch einmal wiederholt würden. Seiner Ansicht nach müsse man viele Verletzungen und Erfahrungen aufarbeiten, unter denen beispielsweise Alleinerziehende gelitten hätten. Er sprach von "Vereinsamungserfahrungen".

Auch das Fehlen schulischer Lernschritte sei möglicherweise noch nicht komplett aufgearbeitet worden. Während der Corona-Pandemie waren Schulen als vermeintliche Infektionstreiber teilweise wochenlang geschlossen worden. Inzwischen räumen viele Politiker das als Fehler ein, auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach.

Lauterbach plädiert für konstruktive Aufarbeitung

Für den SPD-Politiker müsse eine Aufarbeitung nach vorne gerichtet sein: "Ich glaube, dass wir uns als Bundesregierung darüber Gedanken machen müssen: Was ist die klügste Form der Aufarbeitung?", so Lauterbach in Berlin. Er verwies erneut auf einen kürzlich beim Kanzleramt eingerichteten Expertenrat "Gesundheit und Resilienz" hin, der sich auch mit der Vorbereitung neuer Pandemien auseinandersetzen solle.

Vieles betreffe auch nicht seine Amtszeit als Minister. Wiederholt betonte er, dass die Pandemie-Bewältigung im Großen und Ganzen sehr erfolgreich gewesen sei und lobte die Arbeit des RKI. Über den weiteren Umgang mit Protokollen des RKI-Krisenstabs, die das Online-Magazin "Multipolar" veröffentlicht hatte, solle gemeinsam mit dem Institut beraten werden. Schwärzungen in den Protokollen habe er nicht veranlasst.

"Multipolar" hatte die Herausgabe der Protokolle nach eigenen Angaben mit juristischen Schritten infolge eines Antrags nach dem Informationsfreiheitsgesetz durchgesetzt. Das Portal wird von Beobachtern in die Nähe verschwörungserzählerischer Publikationen gerückt.

Buyx: Vertrauen in die Wissenschaft ist groß

Wohlwollende Worte findet die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx. Sie verweist auf Erfolge und positive Auswirkungen und verteidigt Politik sowie Wissenschaft. Die Protokolle des RKI zeigten, mit welcher Sorgfalt abgewogen und neue Erkenntnisse einbezogen worden seien, so die Medizinerin gegenüber dem "Spiegel". Auch der Rechtsstaat und demokratischen Prinzipien hätten funktioniert. "Es gibt Spaltungs- und Polarisierungsphänomene, ja, aber die Gesellschaft ist viel weniger gespalten, als es im Moment herbeigeredet wird", fügte sie hinzu. "Und das Vertrauen in die Wissenschaft ist immer noch höher als vor der Pandemie."

In diesem Zusammenhang warnte die Ethikrat-Chefin vor einer Verzerrung der gesellschaftlichen Debatte. Auch Habeck warb in Berlin für Verständnis in der Gesellschaft. Die damaligen Verantwortungsträger könnten sich immer zugutehalten, dass sie Entscheidungen treffen mussten, obwohl sie manchmal nur lückenhafte Informationen hatten. Mit der Aufarbeitung wolle er das Land an dieser Stelle wieder zusammenzuführen.

In einer früheren Version des Textes wurde vom Krisenmanagement der Ampel während der Pandemie gesprochen. Wir haben die Passage geändert.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. März 2024 um 20:00 Uhr.