Strategie der Regierung Was hilft gegen Einsamkeit?
Vereinsamung vorbeugen und Betroffene unterstützen: Familienministerin Paus hat eine "Strategie gegen die Einsamkeit" vorgelegt. Sozialverbände begrüßen den Vorstoß, sind jedoch skeptisch, was den Erfolg betrifft.
In Berlin-Friedrichshain hat man nicht auf eine politische Einsamkeitsstrategie gewartet. Hier hat die Stadtmission einen Ort der Begegnung geschaffen. Immer mittwochs bei einem gemeinsamen Mittagessen treffen sich Nachbarn aus dem Travekiez, um ein paar Stunden Gemeinsamkeit zu erleben.
Das Chili con carne schmeckt Lothar. Das liege vor allem an der Gesellschaft, sagt er. Zehn Frauen und Männer im Rentenalter sitzen an weihnachtlich dekorierten Tischen mit Kerzen und genießen das selbstgekochte Essen - eine muntere Runde, es wird viel erzählt und gelacht. Jeder ist herzlich eingeladen nach dem Motto "Gemeinsam isst man weniger allein". Seit drei Jahren gibt es das Mittagessen bei der Stadtmission; im Sommer im Hof, im Winter drinnen.
Auch Lothar kommt jeden Mittwoch, weil er gerne unter Leuten ist, sagt er. Der 83-jährige Berliner lebt allein mit seinem Kater Felix. Am Wochenende geht er Pfandflaschen sammeln, um seine Rente aufzubessern aber auch, um so mit Menschen in Kontakt zu kommen: "Jung und Alt, das spielt keine Rolle, ich werde einfach angeredet, ich finde das auch sehr schön, man fühlt sich dann wieder jung", sagt Lothar und lacht dabei. Die meisten, die zum Mittagsessen kommen wohnen allein, suchen hier Gesellschaft, Abwechslung von der Einsamkeit.
"Einsamkeit sieht man nicht"
Für Jost Berchner, den Koordinator des Projekts im Travekiez braucht es definitiv viel mehr Orte der Begegnung in den Stadtvierteln als nur Parks oder Spielplätze. Er nennt es "moderierte Stadtorte, wo man in einem guten Rahmen zusammenkommen kann und sich als Nachbarschaft erleben kann."
Neben dem wöchentlichen Mittagessen haben sie im Kiez hier so einen Ort geschaffen, den "einLaden" ein Ladenraum, wo etwa Wohnzimmerkonzerte, Erzählabende oder Ausstellungen stattfinden, "um Menschen zusammenzubringen, ein bisschen Zeit gemeinsam zu verbringen und sich als Nachbarn wahrzunehmen", so Berchner. Es wäre schön, sagt er, wenn jeder einzelne mehr wisse über die Nachbarn als nur den Nachnamen am Klingelbrett - "dass man ein Auge und ein Herz entwickelt für die Menschen in der Nachbarschaft." Denn es gebe ganz viel Einsamkeit, die man nicht sehe, die unterm Radar im Trubel der Großstadt laufe, ist Berchners Erfahrung.
Dass die Bundesregierung sich jetzt mit dem Strategiepapier des Themas annimmt, findet Berchner gut, aber es brauche mehr als "das Sich-vornehmen-wollen", sagt er. Er habe Zweifel, ob es gelingt, mit Konzepten eine Herzensangelegenheit anzufachen: "Ich wünschte es mir und unsere Gesellschaft bräuchte das. Aber da habe ich meine Fragezeichen."
111 Maßnahmen gegen die Einsamkeit
Für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) ist Einsamkeit "eines der drängendsten Themen unserer Zeit". Sie habe negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das soziale Miteinander. Paus möchte das Thema Einsamkeit aus der Tabu-Zone holen. Die von ihrem Haus erarbeitete ressortübergreifende "Strategie gegen Einsamkeit" soll einsame Menschen stärker unterstützen und gegen soziale Isolation vorgehen. Denn es gebe Wege aus der Einsamkeit, so die Familienministerin: "Niemand, der einsam in Deutschland ist, ist allein".
Ziel sei es, das Thema stärker politisch und wissenschaftlich zu beleuchten. Mit den 111 Maßnahmen soll die soziale Verbundenheit und das gesellschaftliche Miteinander gestärkt werden.
Keine weiteren Mittel vorgesehen
Konkret will die Familienministerin die Öffentlichkeit mit jährlichen Aktionswochen sowie regelmäßigen Kampagnen zum Thema sensibilisieren. Um Wissenslücken zu schließen, soll die Forschung zu den gesundheitlichen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen von Einsamkeit gefördert werden. Auch ein sogenanntes Einsamkeitsbarometer ist geplant. Damit sollen Ausmaß und die Verbreitung von Einsamkeit untersucht werden. Zudem will die Bundesregierung weiter Modellprojekte gegen zunehmende Einsamkeit in den Kommunen fördern und auch die Wartezeiten auf Therapieplätze verkürzen.
Weitere finanzielle Mittel, um die Vorhaben der Strategie umzusetzen, seien nicht vorgesehen, so die Familienministerin. Das Projekt lebe davon, in die Strukturen zu gehen, die bereits vorhanden seien, wie etwa Sportvereine oder Mehrgenerationenhäuser.
Caritas: "Strategie muss mehr sein als ein klangvoller Name"
Dass keine zusätzlichen finanziellen Mittel für die Umsetzung der Strategie-Maßnahmen vorgesehen sind, kritisiert unter anderem die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Vielen Initiativen in den Kommunen fehle schlichtweg das Geld, sagte Vorstand Eugen Brysch: "So wird es darauf ankommen, dass vor allem Familien, Freunde, Nachbarn, ehemalige Arbeitgeber, Vereine und Kirchen sich der Verantwortung stellen." Auf die Bundesregierung zu setzen sei vertane Zeit, meint Brysch.
Auch der Deutsche Caritasverband warnt vor reiner Symbolpolitik. Die Einsamkeitstrategie müsse mehr sein als ein klangvoller Name oder ein Einsamkeitsbarometer. Die angekündigten Maßnahmen müssten auch hinreichend finanziert werden. Zu messen, wie und wo Einsamkeit zunehme, sei nur dann zielführend, wenn wirksam Ressourcen in ihre Bekämpfung gesteckt würden, heißt es vom Verband: "Das ist wie beim Fieber. Auch da ist das fiebersenkende Medikament wichtiger als das Thermometer", vergleicht Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.
Für Ulrich Schneider, den Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, sind es vor allem die Menschen, die helfen können gegen Einsamkeit vorzugehen: "Es sind nicht irgendwelche Politiker, es sind nicht irgendwelche ganz großen Konzepte, sondern es ist wirklich die Nachbarschaft, die da helfen kann, die vielen Vereine, die Besuchsdienste. Wir können da alle mithelfen."
So wie in der Berliner Stadtmission im Travekiez - hier stehen mittlerweile Kaffee und Gebäck auf den Tischen und es wird gemeinsam gebastelt. Wer darauf keine Lust hat, bleibt einfach so noch und genießt die Gemeinschaft - so wie Lothar, bevor er wieder zu Kater Felix heim geht.