Nach Bund-Länder-Treffen "Abend der verpassten Chancen"
Aus Sicht der Opposition ist bei der Ministerpräsidentenkonferenz zu wenig herausgekommen: CDU-Chef Merz bemängelt "verpasste Chancen", die SPD hingegen lobt die erzielten Fortschritte. Doch noch bleiben viele offene Fragen.
Fast scheint es, als würden die Parteien in Bezug auf die Beratungen von Bund und Ländern am Dienstag auf zwei verschiedene Abende zurückblicken: Während Bundeskanzler Olaf Scholz und seine SPD die "konstruktiven Gespräche" loben, sprechen Union und Linkspartei aufgrund ausgebliebener konkreter Entscheidungen von einer Enttäuschung.
Einen "Abend der verpassten Chancen" kritisiert CDU-Chef Friedrich Merz gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Bürgerinnen und Bürger würden verunsichert zurückgelassen. Die Schuld dafür liegt aus Sicht von Merz auf zwei Schultern: Denen von Kanzler Olaf Scholz und von Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil, der derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) innehat.
Auch CDU-Vize Andreas Jung sparte nicht mit spöttischen Vergleichen: Das Bund-Länder-Treffen sei "ausgegangen wie das Hornberger Schießen". Verantwortlich sei die Bundesregierung. "Piff und Paff statt Doppelwumms", zielte der stellvertretende Parteivorsitzende auf von der Ampel-Koalition in Aussicht gestellte Abmilderung der Energiekrise. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein mahnte, die Länder bräuchten schnellstmöglich konkret ausgestaltete Maßnahmen "für eine passgenaue Planung und Hilfe".
Kein Konzept für die Gaspreisbremse
Hinter dem "Doppelwumms", wie Scholz ihn selbst bezeichnet hatte, verbirgt sich ein "Abwehrschirm" im Wert von 200 Milliarden Euro, der sowohl private Verbraucher als auch Unternehmen vor zu hohen Kosten schützen soll. Rechnet man die bisherigen Entlastungspakete dazu, kommt ein Volumen von 295 Milliarden Euro zusammen, so Scholz nach der MPK. Davon wolle der Bund bis zu 250 Milliarden übernehmen.
Doch noch sei offen, was die Entscheidungen der Ampel-Regierungen konkret bedeuten, kritisierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst in den tagesthemen. Das Ergebnis: Unternehmen könnten nicht kalkulieren, Bürgerinnen und Bürger wüssten nicht, was auf sie zukommt.
Denn bei einem zentralen Instrument, das die Energiekrise abmildern soll - der Gaspreisbremse - steht noch gar nicht fest, wie es funktionieren soll. An Vorschlägen arbeitet derzeit noch eine von der Bundesregierung beauftragte Kommission. Ergebnisse sollen voraussichtlich in der kommenden Woche vorliegen.
"Es dauert alles viel zu lange"
Für Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer müsste es mit solchen Ergebnissen deutlich schneller gehen. "Die Menschen verlieren die Nerven, die Unternehmen wissen nicht mehr wie es weitergeht. Es dauert alles viel zu lange", mahnte der CDU-Politiker im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Es sei nach dem Treffen nicht klar, wie die Gaspreisbremse funktioniere, auf welchen Preis man sich hinbewege und welche Entlastung kommen werde.
"Offene Fragen" gibt es für Landeschef Wüst aber auch in Bezug auf andere finanzielle Belastungen für Länder und Kommunen: einer möglichen Nachfolge für das 9-Euro-Ticket, die Versorgung von Flüchtlingen, die Finanzierung von Krankenhäusern. Auch dabei habe der Bund "zu wenig Kompromissbereitschaft" gezeigt. "Wir müssen jetzt nachsitzen", so der CDU-Politiker.
"Riesenfortschritt" statt "Nachsitzen"
Was die CDU "Nachsitzen" nennt, sind für Niedersachsens Landeschef Weil weitere Beratungen, von denen seiner Ansicht nach von vorneherein feststand, dass sie auch nach der MPK nötig sein werden. Die Gespräche zwischen Bund und Ländern seien "sinnvoll" gewesen, doch "alle wussten, dass das nicht die Schlussberatung sein kann", betonte der SPD-Politiker.
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer lobte den "Riesenfortschritt", der bei den Beratungen im Kanzleramt erzielt worden sei. Allerdings räumte auch sie ein, dass der Bund den Ländern in einigen Punkten weiter entgegenkommen müsse. Auch sie nannte unter anderem Hilfen für Krankenhäuser.
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger sieht in der Kostenfrage für die Hilfen in der Energiekrise aber auch die Bundesländer in der Pflicht. Sie fordert einen "nationalen Schulterschluss":
Der Bundeskanzler hat mit einem massiven Entlastungspaket einen riesigen Schritt auf die Länder zu gemacht, nun müssen wir auch ein Stück weit entgegenkommen.
Die Länder seien durchaus bereit, "ihren Beitrag zu leisten und zusätzliche Kosten zu übernehmen", so Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte, "allerdings ist eine faire Teilung der Lasten dafür zwingend erforderlich". Schon jetzt hätten die Bundesländer ihre Leistungsgrenzen erreicht oder seien bereits über diese hinausgegangen. Allein die Kosten für das Entlastungspaket III belaufen sich für die Länderhaushalte laut Bovenschulte auf rund 17 Milliarden Euro, hinzu kämen die finanziellen Belastungen für die vorangegangenen beiden Entlastungspakete.
Bartsch: Das "Bollwerk" für die Verbraucher fehlt
Doch gerade angesichts der Energiekrise drängt nach Auffassung der Linkspartei immer stärker die Zeit. "Während die Heizsaison begonnen hat, diskutieren Bund und Länder, wie die Bürger sie bezahlen sollen", kritisierte Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken. Gas- und Strompreisdeckel hätten längst "wie ein Bollwerk vor Bürgern und Unternehmen stehen müssen". Auch er bezeichnete die fehlenden Beschlüsse der MPK als Enttäuschung.
Ein Preisdeckel statt einer Preisbremse - dafür plädierte auch die Vorsitzende der Linkspartei Janine Wissler im ZDF. Denn auch für sie bleibe die Unsicherheit, ob das Konzept einer Gaspreisbremse auch schlagkräftig genug ausfällt. Wenn die Gaspreisbremse "so schlecht bremst, wie die Mietpreisbremse die Mieten, dann wäre das ein Problem", so Wissler. Ein Preisdeckel könne in ihren Augen einen für Verbraucherinnen und Verbraucher kostengünstigen Grundbedarf an Energie absichern. Zudem forderte sie ein gesetzliches Verbot von Strom- und Gassperren.
Ob und wie die Gaspreisbremse greifen soll und kann, wird sich jedoch erst zeigen, wenn die Ergebnisse der zuständigen Kommission vorliegen. Und dann steht auch noch die Steuerschätzung aus, die Ende Oktober veröffentlicht werden soll und die Frage nach der Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern nochmals beeinflussen könnte. Die Suche nach Lösungen durch die Energiekrise könnte sich also noch einige Wochen hinziehen.