Hohe Energiepreise Deckel drauf, Rechnung offen?
Die Länder wollen einen bundesweiten Preisdeckel für Strom, Gas und Wärme. Doch wer übernimmt die milliardenschwere Rechnung? Hat die Schuldenbremse noch eine Chance? Wer will was und wie geht es weiter? Ein Überblick.
Die Ausgangslage
Was ist das richtige Instrument zur Abfederung der hohen Energiepreise und wer übernimmt die Rechnung? Stundenlang haben die Länderchefs und - chefinnen am Mittwoch mit sich und dem Finanzierungsproblem gerungen, herausgekommen ist: ein Energiepreisdeckel für Gas, Strom und Wärme. Damit wollen sie am nächsten Dienstag in die Verhandlungen mit dem Bund gehen. Entschieden ist noch nichts: Der Kanzler war in der Länderrunde corona-bedingt nicht dabei.
Wie soll der Energiepreisdeckel funktionieren?
Ein ausgefeiltes Modell gibt es noch nicht. Das räumte auch die stellvertretende MPK-Vorsitzende, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ein, sie lobte die Idee aber als "bahnbrechende Entscheidung" und "Kernergebnis" der Beratungen. Der Energiepreisdeckel könne "ein Stoppsignal" sein gegen Kostensteigerungen bei Privathaushalten, sozialen Trägern, Unternehmen und Industrie. Mit Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe sei aber zu rechnen. Die genauen Kosten habe eine Expertenkommission zu ermitteln.
Welche Reaktionen gibt es?
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte die Forderung nach einem umfassenden Preisdeckel. "Eine solche Energiepreisbremse kann den Menschen, den Kommunen, aber auch der mittelständischen Wirtschaft wirklich helfen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Düsseldorfer "Rheinischen Post".
Auch aus der Wirtschaft kommen positive Signale. "Es gibt sicherlich prinzipiell bessere Lösungen als eine Strom- und Gaspreisebremse, aber in dieser Notlage ist eine solche Bremse die beste Option", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der Zeitung. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) befürwortet eine bundesweite Strom- und Gaspreisbremse ebenfalls - forderte aber eine schnelle Entscheidung der Bundesregierung.
Der Sozialverband VdK forderte "ein bezahlbares Basiskontingent an Gas und Strom für alle Haushalte", wie VdK-Präsidentin Verena Bentele dem RND sagte. Zur Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen schlug sie eine "faire Vermögenssteuer" und die "Besteuerung von großen Krisengewinnen" vor.
Wie soll das bezahlt werden?
Genau das ist das Problem. Hier sind sich auch die Länder nicht einig. Als strittig galt nach Angaben von Giffey unter den Ländern vor allem das Thema Schuldenbremse. Die Frage, ob neue Kredite zur Finanzierung von Entlastungen aufgenommen werden dürften, "konnten wir nicht abschließend klären", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz nach den Beratungen. Zugleich sah sie den Bund in der Pflicht. Die Länder seien bereit, ihren Beitrag zur Entlastung zu leisten, "aber der Energiepreisdeckel muss vom Bund passieren", machte sie klar.
Auch Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) sprach sich für eine Ausnahme von der Schuldenbremse aus, um die Energiepreisbremse zu finanzieren. Laut Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sind sich die Länder einig, dass zur Finanzierung eines Energiepreisdeckels "Über- und Zufallsgewinne" der Energiekonzerne abgeschöpft werden sollen. Auch die unionsgeführten Länder sind skeptisch und fordern von der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP, dass sie zunächst Projekte aus dem Koalitionsvertrag infrage stellt.
Wie steht die Ampel-Regierung zur Schuldenbremse?
Innerhalb der Ampel-Regierung im Bund ist ein Aussetzen der Schuldenbremse auch im Jahr 2023 strittig. Die FDP mit Finanzminister Christian Lindner ist bisher strikt dagegen, gehört das Thema doch zum zentralen Wahlkampfversprechen der Partei. Grüne und SPD sehen das weniger kategorisch.
Gibt es weitere Forderungen der Länder an den Bund?
In den Beratungen mit Scholz kommende Woche sollen außerdem die weitere Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), eine Wohngeldreform, die finanzielle Situation der Krankenhäuser oder die Finanzierung der wachsenden Zahl der Flüchtlinge besprochen werden, sagte MPK-Chef und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Es müsse auch einen Schutzschirm für die Stadtwerke geben. Vieles davon ist bereits Bestandteil des dritten Entlastungspakets des Bundes, das Scholz Anfang des Monats vorgestellt hatte. Es hat ein Volumen von 65 Milliarden Euro und hat zu massivem Unmut auf Länderseite geführt. Sie befürchten, einen Großteil der Kosten selbst schultern zu müssen und fühlten sich nur unzureichend eingebunden in die Entscheidungen des Bundes.
Wer zahlt was?
Die Länder klagen, dass der Bund die meisten Kosten des Entlastungspakets auf sie abwälze. Der Bund sieht das anders und fordert eine angemessene Beteiligung der Länder an den Kosten. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verlangte mehr finanzielles Engagement der Länder. "Die Länder setzen alles daran, sich finanziell so wenig wie möglich an den Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen", sagte er den RND-Zeitungen. "Das ist grotesk angesichts der Finanzlage der Länder, die deutlich besser ist als die des Bundes."
Ähnlich argumentiert SPD-Fraktionsvize Achim Post: "Dass auch die Länder nun ihren Teil zur Finanzierung beisteuern, ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit, zumal die Steuereinnahmen des Bundes im Verhältnis zu denen der Länder zuletzt zurückgegangen sind."
Der Bund der Steuerzahler sieht das ähnlich. "Ich sehe, dass die Länder derzeit hohe Milliarden-Überschüsse anhäufen, während sich der Bund immer tiefer im Krisenmodus und in seinen Schulden festfährt", sagte der Präsident des Vereins, Reiner Holznagel, dem RND.
Was wird aus der Gasumlage?
Sie soll eigentlich zum 1. Oktober in Kraft treten - so sie nicht in letzter Minute gestoppt wird. Innerhalb der Ampel will sie eigentlich niemand mehr, aber die Ersatz-Finanzierung ist weiterhin nicht geklärt. Die Umlage hätte den Vorteil gehabt, dass damit der Bundeshaushalt nicht belastet wird.
Und nun?
Die Zeit drängt, nicht nur bei der Gasumlage. Vermutlich wird es bis Dienstag intensive Gespräche zwischen Kanzleramt und Ländern geben, um am Dienstag auch wirklich handfeste Ergebnisse präsentieren zu können. Parteipolitisches Hickhack und Bund-Länder-Gezerre dürften angesichts der dramatischen Lage und der realen Nöte vieler Menschen auf wenig Verständnis stoßen. Auch die Wirtschaft ächzt unter den hohen Energiepreisen. Deutschland schlittert in eine Rezession, prognostizieren die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute. Sie erwarten einen "permanenten Wohlstandsverlust".