Aufnahme von Geflüchteten Worüber Bund und Kommunen streiten
Zu viele Menschen, zu wenig Unterstützung: Städte und Gemeinden fühlen sich mit der Unterbringung von Geflüchteten überfordert. Für heute hat Bundesinnenministerin Faeser zum Gipfel geladen. Was sind die Knackpunkte?
Die Ausgangslage
Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine ist im Vergleich zum Kriegsbeginn zwar wieder etwas gesunken. Dennoch haben offenbar immer mehr Bundesländer Schwierigkeiten, die Menschen unterzubringen. Und: Offenbar funktioniert die Verteilung nicht. Das liegt auch daran, dass - laut Städte- und Gemeindebund - die "große Zahl der ukrainischen Flüchtlinge" sich auf einige wenige Städte wie Berlin, Hannover oder Dortmund konzentriert. Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine könnte zudem mit Beginn der kalten Jahreszeit wieder steigen. Der Städtetag rechnet damit, dass im Winter etliche Städte Geflüchtete wieder in Hotels, Turnhallen oder anderen Einrichtungen unterbringen müssen.
Dazu kommt, dass auch die Zahl der Flüchtlinge aus anderen Regionen der Welt wieder ansteigt. Experten erklären sich dies unter anderem mit dem Wegfall der Reisebeschränkungen durch die Pandemie. Darüber hinaus könnte die Aufnahme von Kriegsdienstverweigern aus Russland und ein sich zuspitzender Konflikt im Iran die Situation verschärfen. Und: Auch aus Afghanistan könnten sich vermehrt Menschen auf den Weg machen.
Wie viele Flüchtlinge kommen gerade an und aus welchen Ländern stammen sie?
Am 3. Oktober waren insgesamt 1.002.763 Personen im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist sind. Das teilt das Bundesinnenministerium mit. Die Zahlen der Bundespolizei würden inzwischen auf eine Verringerung der Ankunftszahlen hindeuten. In der ersten Septemberwoche wurden rund 360 eingereiste Personen pro Tag von der Bundespolizei erfasst.
Allerdings: Ein Teil von ihnen dürfte bereits wieder ausgereist sein. Auch lassen sich nicht alle Ukraine-Flüchtlinge sofort registrieren. Ukrainische Flüchtlinge müssen keinen Asylantrag stellen.
Bei den Asylanträgen wurden in diesem Jahr bis Ende August laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 132.618 Anträge registriert, davon waren 115.402 Erstanträge. Die größte Gruppe stellen Syrer mit 35.138 Anträgen, an zweiter Stelle stehen Anträge von Menschen aus Afghanistan 23.262, auch 11.034 Iraker haben um Asyl gebeten. Von Menschen mit russischer Nationalität wurden 1851 Anträge gezählt. Nach Angaben der Innenministerin gibt es allerdings in Österreich eine sehr starke Verschiebung mit Blick auf die Herkunftsländer. Das komme daher, dass insbesondere in Serbien manche Bürger - zum Beispiel aus Indien und Bangladesch - visafrei einreisen dürfen.
Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Asylanträge. Waren es in diesem August 18.355, lag die Zahl im August 2021 bei 13.961.
Wie werden die Menschen registriert?
Alle in Deutschland ankommenden Asylsuchenden müssen sich unmittelbar bei oder nach ihrer Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Dies kann schon an der Grenze oder später im Inland geschehen. Asylsuchende werden dann an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet. Ihre Daten werden registriert, im Ausländerzentralregister gespeichert und mit Daten des Bundeskriminalamtes abgeglichen. Beispielsweise wird überprüft, ob es sich um einen Erstantrag, einen Folgeantrag oder möglicherweise einen Mehrfachantrag handelt. Mit Hilfe eines europaweiten Systems (EURODAC) wird außerdem ermittelt, ob ein anderer europäischer Staat im Rahmen des Dublin-Verfahrens für das Asylgesuch zuständig sein könnte.
Gilt das auch für Geflüchtete aus der Ukraine?
Nein. Ein langwieriges Asylverfahren müssen die Schutzsuchenden aus der Ukraine nicht durchlaufen. Zudem haben sie EU-weit unmittelbar das Recht auf Sozialleistungen, Bildung, Unterkunft sowie auf eine Arbeitserlaubnis.
Wie ist die Verteilung geregelt?
Das Verteilverfahren orientiert sich am sogenannten Königsteiner Schlüssel. Er teilt Bundesländer nach Einwohnern und Steueraufkommen auf. Eine festgelegte Aufnahmequote soll eine gerechte Verteilung auf die Bundesländer sicherstellen.
Die höchsten Quoten haben derzeit Nordrhein-Westfalen (21,1 %), Bayern (15,6 %) und Baden-Württemberg (13 %), die niedrigsten Mecklenburg-Vorpommern (2 %), Saarland (1,2%) und Bremen (1 %). Auch aus der Ukraine geflohene Menschen werden eigentlich gemäß des Verfahrens verteilt, allerdings sei die gleichmäßige Verteilung auf Wunsch einzelner Länder teils unterbrochen, hieß es im Sommer aus dem Bundesinnenministerium.
Was fordern Länder und Kommunen?
Die Bundesländer fordern vor allem eine bessere Verteilung der Flüchtlinge - und mehr Geld vom Bund. Die Unterbringung und Versorgung gehöre zu den großen Aufgaben für Kommunen und Länder, sagte NRW-Regierungschef Hendrik Wüst. "Dafür braucht es Geld." Man brauche nun die vom Kanzler zugesagte Nachfolgeregelung bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten, so der CDU-Politiker.
Mehrere Länder haben sich zuletzt für einen Aufnahmestopp ausgesprochen. Dadurch gerät auch die Verteilung der Flüchtlinge ins Stocken. Baden-Württemberg und Bayern haben in Summe mehr als ein Viertel der bundesweit ankommenden Geflüchteten untergebracht und versorgt. Baden-Württemberg hat laut Nachrichtenagentur dpa in diesem Jahr bislang rund 130.000 ukrainische Geflüchtete und rund 15.400 Asylbewerber aufgenommen. In Bayern sind es den Angaben zufolge mehr als 148.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und fast 22.000 Asylbewerber.
Derzeit haben nach Auskunft des Bundesinnenministeriums neun der 16 Bundesländer eine Sperre im Erstverteilungssystem aktiviert. Dem Vernehmen nach handelt es sich um Nordrhein-Westfalen, Berlin, Bremen, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und das Saarland. Städtetagsvizepräsident Burkhard Jung mahnte, die Länder dürften sich nicht aus ihrer Verantwortung zur Aufnahme weiterer Geflüchteter verabschieden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte, dass die Bundesregierung angesichts der ohnehin bereits hohen Zugangszahlen völlig falsche Signale sende, wenn sie weiter zusätzliche Aufnahmeprogramme starte oder weitere Fehlanreize setze, wie bei der Reform des Bürgergeldes oder der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts. Der Bund müsse endlich seiner Finanzierungsverantwortung im Bereich Asyl und Integration gerecht werden.
Die Kommunen klagen, dass zudem die Plätze in Schulen und Kitas nicht ausreichen. Der Präsident des Städtetages, Marcus Lewe, erinnerte an "das Versprechen von Bund und Ländern aus dem April, die Kostenerstattung bei steigendem Bedarf zu überprüfen und anzupassen". Im April hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ab dem 1. Juni staatliche Grundsicherung erhalten, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger. Lewe verlangte zudem, dass das der Bund für das kommende Jahr die Unterkunftskosten für ukrainische Flüchtlinge voll übernimmt.