Generaldebatte Ende der Gemeinsamkeiten
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bestimmt auch die Debatte im Bundestag. Doch die Einigkeit der ersten Tage ist verflogen. Das liegt auch am Geld.
Eigentlich geht es nur um einen Mini-Haushalt: 3,7 Milliarden Euro sind für das Kanzleramt vorgesehen. Das ist weniger als ein Prozent des gesamten Bundeshaushaltes, der bislang Ausgaben von knapp 460 Milliarden Euro vorsieht. Doch in der Debatte um diesen kleinen Haushaltsposten geht es um die großen Linien der Politik. Um die zentralen Vorhaben der Regierung und die zentralen Kritikpunkte der Opposition.
Ohne den Ukraine-Krieg ginge es an einem Tag wie heute vor allem um Klimaschutz, Digitalisierung, soziale Absicherung - also die Themen, auf die sich die Ampel-Partner in ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben. Doch seit dem 24. Februar, dem Angriff Russlands auf die Ukraine, ist alles anders. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach kurz danach von einer Zeitenwende. Bei seiner Regierungserklärung am 27. Februar erhielt er nicht nur von den Regierungsfraktionen SPD, Grünen und FDP, sondern auch aus den stehenden Reihen der CDU/CSU Applaus.
Scholz brach an diesem Tag mit vielen lang gepflegten Überzeugungen: Es sollten nicht nur die Sanktionen verschärft, sondern auch deutsche Waffen an die Ukraine geliefert werden. Als er dann noch ein Investitionsprogramm von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ankündigte und versprach, jährlich mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in den Verteidigungshaushalt zu stecken, glaubten viele, ihren Ohren nicht trauen zu können. Die einen, bei Grünen und SPD, weil das doch gegen ihre bisherigen Prinzipien ging, die anderen, bei der Union, weil sie sich in alten Forderungen bestätigt sahen.
Keine Flugverbotszone
Daran zu erinnern, ist deshalb wichtig, weil es den deutlichen Unterschied zur heutigen Generaldebatte zum Haushalt markiert. Auf der einen Seite in der Regierungskoalition: Es fällt auf, wie Scholz jetzt auf die Bedenkenträger in den eigenen Reihen zugeht. Er betont, es werde keine Flugverbotszone geben, die NATO werde nicht direkt in den Ukraine-Krieg eingreifen, alles andere wäre unverantwortlich. Er lobt explizit die grüne Außenministerin und den grünen Wirtschaftsminister. Und er betont, dass die Regierung trotz der aktuellen Probleme bei der Energiebeschaffung an der Energiewende und dem Ziel der Klimaneutralität 2045 festhalte.
Der peinliche Moment nach der Selenskyj-Rede
Dabei nimmt der Kanzler in Kauf, dass er in anderer Hinsicht unbestimmt bleibt. Er sagt zwar: "Die Ukraine kann sich auf uns verlassen." Doch es bleibt unklar, was das in der aktuellen Situation bedeutet. Da wirkt der peinliche Moment nach, als der Bundestag nach der Video-Ansprache von Präsident Wolodymyr Selenskyj vor knapp einer Woche einfach zur Tagesordnung überging.
Freilich, und das zeigt dann der Blick zur Opposition: Fast alle Parteien tun sich schwer mit der fast schon flehentlich vorgetragenen Bitte von Selenskyj, die Ukraine bei der Verteidigung gegen Russland zu unterstützen. "Wir haben bis heute kein Mittel gefunden, dieses Verbrechen zu beenden", gibt denn auch Unions-Fraktionschef Friedrich Merz unter Verweis auf den "immer brutaler gegen die Zivilbevölkerung" geführten Krieg Putins zu.
Ansonsten enden damit die Gemeinsamkeiten zwischen Kanzler und Oppositionsführer. Und das deutlich schneller, als es noch vor drei Wochen aussah. Merz begründet das so: Die Koalition ziehe letztlich keine Konsequenzen aus der von Scholz propagierten Zeitenwende, eigentlich seien große Teile des Koalitionsvertrags hinfällig.
Merz fordert die Ampel-Koalition heraus
Es wird deutlich: Die Union, die von der Ampel-Koalition wegen der angestrebten Grundgesetzänderung für die Bundeswehr-Milliarden umworben wird, will es der Regierung so schwer wie möglich machen. Eine Zustimmung knüpft Merz an Bedingungen, die vor allem für Grüne und den linken SPD-Flügel eine hohe Hürde darstellen.
Merz fordert die Ampel regelrecht heraus: Wenn nicht alle Abgeordneten der Ampel-Parteien für die Bundeswehr-Milliarden stimmen, werde es die Grundgesetzänderung nicht geben. Und auch bei anderen Ampel-Vorhaben werde die Union nicht die "Ersatzbank" für mangelnde Mehrheiten in der Koalition spielen.
Das Kalkül der Union dürfte sein, die Differenzen, die sich innerhalb der Ampel-Koalition in den vergangenen Wochen aufgetan haben, politisch für sich zu nutzen. Beim Umgang mit der Corona-Pandemie waren die Unterschiede zwischen der FDP auf der einen Seite und SPD und Grünen nicht zu übersehen.
In der Debatte um weitere Entlastungen wegen der hohen Energiepreise hat sich Finanzminister Christian Lindner wegen seines Vorpreschens mit einem Tankrabatt viel Ärger eingeholt. Und just bei den Militärausgaben ergeben sich wiederum Frontstellungen innerhalb der Ampel.
"Größter Rüstungsetat"
Wie schwer sich weite Teile der Koalition mit den 100 Milliarden tun, zeigt zum Beispiel die Rede von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: Es erschließe sich ihm nicht, warum Europa mit Verteidigungsausgaben von derzeit rund 200 Milliarden Euro im Jahr nicht wehrfähig sein solle.
Und er verweist darauf, dass Deutschland ohnehin schon den "größten Rüstungsetat" in Europa habe. Dass es bei dieser Thematik Spannungen innerhalb der Ampel gibt, zeigt auf der anderen Seite ein Beitrag der früheren FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Sie erinnert - wenn auch ohne Namensnennung - daran, dass Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke noch vor wenigen Jahren Panzerverlegungen der NATO nach Polen kritisiert hatte.
Versöhnlich klingt da Außenministerin Annalena Baerbock bei der Vorstellung ihres eigenen Haushalts: Alle müssten jetzt Fehler der Vergangenheit anerkennen, um es künftig besser zu machen. Die Grünen hätten sicher vor wenigen Jahren noch kein Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht, so die Außenministerin und fährt fort: "Aber ist das eine Schwäche? Ich finde, es ist eine absolute Stärke zusagen: Jetzt müssen wir unsere Politik ändern." Und in Richtung Union gewandt: "Lassen Sie sie uns gemeinsam ändern."
Ob dieser Appell verfängt, ist noch nicht zu erkennen. Die demonstrative Geschlossenheit zwischen den Ampel-Parteien und der Union nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist kaum noch zu spüren. Die Verhandlungen für die angestrebte Grundgesetzänderung für das Sondervermögen Bundeswehr werden schwierig.