Klima und Kohle Die Grünen und ihr Lützerath-Problem
Im rheinischen Revier kann RWE erstmal weiter Kohle abbaggern - auch dank der Grünen. Klimaaktivisten werfen der Partei Verrat vor. Führt Lützerath zum Riss bei den Grünen?
Sie spricht für die Enttäuschung der Klimabewegung: Luisa Neubauer war bei der großen Demonstration am Samstag in Lützerath dabei. Die prominente Aktivistin ist auch Grünen-Mitglied. Die Bundesregierung stelle sich lieber schützend vor die Profite von RWE statt vor die Lebensgrundlagen der Menschen, bilanziert Neubauer anschließend im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Kompromisse wie den von Lützerath lehne sie ab. Auf die Frage, ob sie jetzt ihrer Partei den Rücken kehren will, weicht Neubauer aus.
Grünenspitze versus Klimabewegung?
Wie Neubauer sind viele junge Grünen-Mitglieder enttäuscht über den Deal mit RWE, den der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine grüne Kollegin aus NRW, Mona Neubaur, eingefädelt haben. Der Energiekonzern darf jetzt Kohle unter dem Dorf abbaggern. Bis 2030. Dann ist Schluss. Acht Jahre früher als ursprünglich geplant.
Damit haben auch die Grünen in Berlin ein Problem. Nächsten Monat findet in der Hauptstadt die Wiederholungswahl statt. Der Landesverband will mit Bettina Jarasch die Regierende Bürgermeisterin und damit die erste grüne Regierungschefin Berlins stellen. So der Plan. Aber dafür braucht es auch die Stimmen der Klimaaktivisten und -aktivistinnen.
Und die sind sauer, sie könnten der Partei einen Denkzettel verpassen. Der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hätte sich mehr Mut von den Grünen gewünscht. Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, könne man sich ruhig auch mal mit einem Energiekonzern anlegen, meint der 26-Jährige. Hoffnung macht ihm das starke Zeichen der Anti-Kohle-Demonstration. Die Klimabewegung habe es geschafft wieder Zehntausende Menschen an einen Ort bei schlechtem Wetter im Januar zu mobilisieren. "Viele hatten sich ja in den vergangenen Monaten gefragt: Wo ist denn die Klimabewegung?"
Grünen-Chefin unter Rechtfertigungsdruck
Beim Kohleabbau im rheinischen Revier und beim Kampf gegen die Erderwärmung verfolge ihre Partei eine pragmatische Linie, verteidigt sich Grünen-Chefin Ricarda Lang. Ohne den RWE-Deal wären fünf weitere Dörfer abgebaggert und 500 Menschen umgesiedelt worden. Klar, mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel kann man sich mit einem Kompromiss kaum noch zufriedengeben, räumt Lang ein. "Gleichzeitig ist klar, wenn wir keine Kompromisse machen würden, dann würde beim Klimaschutz einfach gar nichts passieren. Die wenigsten anderen Parteien haben daran ein ernsthaftes Interesse."
Sie verstehe die Klimabewegung, die mit dem Kompromiss unzufrieden ist, so Lang. Was ihr bleibt: reden, erklären und versuchen zu überzeugen. Die Grünen-Spitze hat einen Plan: Unter Lützerath möglichst wenig abzubaggern und möglichst noch vor 2030 ganz aufzuhören.
Klar ist aber auch: RWE hat einen Rechtsanspruch auf das Gebiet und aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird laut Lang erstmal wieder mehr Kohle gebraucht. "Aber die politischen Rahmenbedingungen können wir gestalten." Der Fokus liege für die Grünen deshalb auf dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Damit sich das Abbaggern von Kohle auch für RWE gar nicht mehr lohnt.
Der Klimabewegung dürfte dafür aber die Geduld fehlen. Sie fordert ein sofortiges Ende des Kohleabbaus.
Blick gen Osten
Klimaaktivistin Neubauer sieht im Verlust von Lützerath einen immensen Schaden für die Partei. "Ich weiß nicht, ob die Grünen-Führung sich bewusst ist, was sie da angerichtet hat". Viele Grünen-Mitglieder könnten sich nun abwenden.
Grüne Jugend-Bundesprecher Dzienus gibt seiner Partei noch eine Chance. Beim Kohleausstieg im Osten. Es sei wichtig gewesen, in den Konflikt in Lützerath so "reinzugehen", sagt Dzienus. "Damit klar ist, dass beim Kohleausstieg in der Lausitz nicht wieder so ein halbgarer Kompromiss mit irgendeinem Energiekonzern rauskommt." Beim angepeilten Kohleausstieg bis 2030 in Ost-Deutschland wird aber nicht nur die Klimabewegung den Grünen streng auf die Finger schauen. Die Ministerpräsidenten von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt wollen ihre heimische Braunkohle und die damit verbundenen Arbeitsplätze schützen. Die Grünen müssen sich vor Ort auf viel Widerstand einstellen.