Haushalt der Bundesregierung Wie kommt die Ampel aus der Krise?
Gesperrte Haushaltsmittel und viele Lösungsvorschläge: Die Bundesregierung ringt weiter um den Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Von Einigkeit fehlt bisher jede Spur. Findet die Ampel den Ausweg?
Ampel kann Krise - mit diesem Gedanken würde das Kanzleramt womöglich gerne in die Weihnachtszeit gehen. Doch derzeit ist erstmal nur klar: Ampel kennt Krise. Ob sie die neueste auch bewältigen kann, muss sich erst zeigen. Denn seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Art des Haushaltens ist die Ampel-Welt eine andere. Oder wie es Regierungssprecher Steffen Hebestreit ausdrückte: "Seit Mittwoch sind die finanziellen Gegebenheiten andere."
Das Finanzministerium (BMF) hat nun sogar zahlreiche Posten im Bundeshaushalt gesperrt. "Das BMF stoppt die Verpflichtungsermächtigungen in 2023, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden", wie es aus Kreisen des Ministeriums hieß. Dies betreffe Etats aller Ministerien. Aktuelle Ausgaben in diesem Jahr seien davon nicht betroffen, die finanziellen Spielräume der Ampel sind aber deutlich enger geworden.
Die bisher von der Ampelregierung als legitim betrachtete und umgesetzte Möglichkeit, nicht ausgegebene Schulden in ein Folgejahr mit anderem Zweck zu verbuchen, wurden höchstrichterlich als "nichtig" erklärt. Das betrifft nicht nur den Nachtragshaushalt 2021, gegen den die Union in Karlsruhe geklagt hatte, sondern möglicherweise auch andere Schattenhaushalte - nach Einschätzung des Regierungssprechers kann das nicht nur den Bund, sondern auch die Bundesländer betreffen.
Das Haushaltsurteil trifft die Koalition hart, die sich selbst als "Fortschrittskoalition" betitelt. Denn nach dem von Pandemie und Angriffskrieg auf die Ukraine geprägten Regierungsjahr 2022 sollte die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft weitergetrieben werden, aber mit sozialem Ausgleich - ein teures Unterfangen. Und dies bei gleichzeitiger Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse.
Hatte Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich noch von ein wenig Glanz der Leistungsbilanz zur Ampelhalbzeit geträumt, wird diese durch das Verfassungsgerichtsurteil stark verdunkelt. Vielmehr: Das von Scholz selbst gerne gezeichnete Bild des ruhigen und besonnen führenden Politikmanagers, der lieber länger über Lösungen nachdenkt als überstürzt zu agieren, steht zur Disposition. Und das in einem Feld, das eigentlich die Kernkompetenz des ehemaligen Bundesfinanzministers sein müsste.
Ausmaß immer noch nicht absehbar
Die möglichen Auswirkungen des Urteils auf das Haushalten der Ampel gehen weit über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) hinaus: Auch die aus der Merkel-Regierung noch vorhandenen sowie die neu aufgenommenen Sondervermögen - eine Umschreibung für krisenbedingte Schuldentöpfe parallel zum Haushalt - sowie der Wirtschaftsstablisierungsfonds (WSF) können "möglicherweise" betroffen sein, hieß es von den Ampel-Haushältern bereits am Freitag in der Bundespressekonferenz. Kurz gesagt: So ziemlich alle bisher eingerichteten Töpfe, die eine ökologische und klimaneutrale Transformation umsetzen sollen, müssen nun neu durchleuchtet werden.
Das alles wird von der Bundesregierung selbst noch am Tag fünf nach dem Urteil als so komplex angesehen, dass ihre eigenen Fachleute seit dem Urteil am vergangenen Mittwoch immer noch nonstop darüber brüten, bevor sie Spruchreifes sagen können. Die oppositionsführende Unionsfraktion hat für heute eine Expertenanhörung im Haushaltsauschuss des Bundestages beantragt, die Ampelparteien haben dies klaglos, fast demütig akzeptiert.
So wurde die als Abschluss der Haushaltsplanung 2024 gedachte Haushaltsbereinigungssitzung in der Nacht zum vergangenen Freitag nur zu einer vorläufigen - zwei große Haushaltsposten wurden ausgeklammert, weil man zunächst die Dienstags-Anhörung und eine weitere fachliche Beurteilung abwarten wollte. Ein Novum, selbst für erfahrene Haushaltspolitikerinnen und -politiker.
Debatte über Lösungen
Was mit der Verkündung des Gerichtsurteils gleich einsetzte, war die Debatte über die möglichen Lösungen, um die drohenden neuen Haushaltslöcher zu stopfen. Die Vorschläge gingen weit auseinander: Aussetzen der Schuldenbremse, eine höhere CO2-Besteuerung, Kürzungen bei Sozialleistungen oder doch ein grundgesetzkonformes neues Sondervermögen?
Die Frage ist auch, wo die roten Linien sind. Bisher beharrte Lindner auf dem Einhalten der Schuldenbremse, seit Sonntag allerdings nicht mehr so deutlich. Doch die Einhaltung der Schuldenbremse ist für die FDP so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal geworden. Davon wird sich die Partei nicht so einfach lösen - und sei es nur vorübergehend. Gleichzeitig aber geht sie auch auf Forderungen ihrer Koalitionspartner bisher nicht ein, dann an die Einnahmenseite mit Steuererhöhungen oder dem Abbau klimaschädlicher Subventionen zu gehen.
Vielleicht die größte Bewährungsprobe
Die sich im Kreise drehenden Ampel-Debatten, bei der sich gegenseitig gedankliche Stoppschilder in den Weg gestellt werden, statt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, werden wohl noch einige Zeit weiter gehen. Und zwar, bis die Prüfung abgeschlossen ist, wieviel Geld noch ausgegeben werden kann. Gleichzeitig sagt der Regierungssprecher sehr deutlich, dass es einfach zu früh sei, jetzt über Lösungsansätze zu reden beziehungsweise schon etwas auszuschließen - und wird dabei fast philosophisch: Wenn Ziele nicht klar seien, sei es illusorisch, den Weg dahin beschreiben zu können.
Es wird vielleicht die größte Bewährungsprobe dieses Dreier-Bündnisses in seiner ersten Legislaturperiode werden, hier mit einem blauen Auge herauszukommen. Die Union im Bund hofft nun bereits verstärkt auf Ablösung im Kanzleramt und gefällt sich in der Rolle des Kontrolleurs, der Scholz "Betrug" vorwerfen kann. Die AfD hat "Neuwahl jetzt" längst als Werbeslogan.
Doch so einfach wird es nicht für die Opposition - Neuwahlen lassen sich nicht eben mal so anzetteln, da müsste ein Koalitionspartner von Bord gehen oder Scholz selbst die Vertrauensfrage an die Ampelkoalition im Bundestag stellen und verlieren. Nach beidem sieht es derzeit, trotz neuer Krise, nicht aus. Spürbar ist immer noch ein Wille bei den drei Parteien der Ampel, die Krise zu schaffen, wohl wissend, was das für alle Beteiligten bedeutet: "Am Ende müssen sich alle bewegen", heißt es in Ampelkreisen - und damit ist klar auch der Bundesfinanzminister gemeint.