Debatte über Etat 2024 Haushaltsberatungen auf der Kippe
Noch immer ist der Haushalt für 2024 nicht unter Dach und Fach. Viele Fragen sind offen, die abschließenden Ausschussberatungen könnten erneut verschoben werden. Zwischen Regierung und Opposition wird weiter über Sparmöglichkeiten gestritten.
Die für Donnerstag angesetzten Schlussberatungen des Haushaltsausschusses (HHA) des Bundestages über den Bundeshaushalt für 2024 sind in der Schwebe. Der Ausschussvorsitzende Helge Braun (CDU) bereitet nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters eine Absage vor. Über das Ausschusssekretariat ließ er demnach bei den Fraktionen abfragen, "ob Ihrerseits Einwände gegen eine Absage der morgigen Sitzung des HHA bestehen".
Etat könnte erst kommendes Jahr beschlossen werden
Aus der Ampelkoalition hieß es, eine Entscheidung stehe noch aus, nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa und des "Spiegel" ist sie aber ebenfalls für eine Absage der Sitzung. Dies gehe aus einem Schreiben des Ausschusssekretariats hervor. Ohne Fristverkürzung im Bundesrat wäre damit ein Beschluss des Etats 2024 vor Jahresende nicht mehr möglich.
In der Sitzung soll der Etatentwurf für 2024 beschlossen werden, damit der Bundeshaushalt am 1. Dezember vom Bundestag beschlossen werden und am 15. Dezember den Bundesrat passieren kann. Allerdings ist keine Einigung absehbar, wie die für 2024 durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgerissene Finanzierungslücke geschlossen werden soll.
Diskussion über Folgen des Urteils aus Karlsruhe
Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche eine Umwidmung nicht genutzter Corona-Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro auf den Klimafonds (KTF) für nichtig erklärt. Nun klafft eine große Lücke im Bundeshaushalt.
Hinzu kommt, dass nach dem Gerichtsurteil auch der Wirtschaftsstabiliserungsfonds WSF infrage gestellt wird. Der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als "Doppelwumms" bezeichnete Fonds zur Dämpfung der Energiepreise war 2022 unter Aussetzung der Schuldenbremse mit Kreditermächtigungen von 200 Milliarden Euro ausgestattet worden, die größtenteils aber erst 2023 und 2024 verwendet werden sollten. Das Gericht hatte klargemacht, dass solche Notlagen-Kredite nur in dem Jahr verwendet werden dürften, in dem sie beschlossen worden seien.
Nun ringen die Parteien darum, wie es weitergehen soll. An mehreren Stellen der Regierung und der Koalition hieß es am Mittwoch, für den Bundeshaushalt 2023 laufe es auf eine nachträgliche Aussetzung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse hinaus. Bisher sei aber nichts entscheidungsreif.
Bisher plante die Koalition, den Haushalt zu beschließen und im neuen Jahr durch einen neuen Wirtschaftsplan des Klimafonds zu ergänzen. In der Regierung hieß es, es herrsche Zuversicht, dass die Haushaltsprobleme gelöst werden könnten.
Merz fordert Verzicht auf Sozialvorhaben
CDU-Chef Friedrich Merz forderte angesichts der Haushaltskrise einen Verzicht auf die Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz und auf ein höheres Bürgergeld. "Es geht eben nicht mehr alles", sagte er am Dienstag in der ARD-Talkrunde "Maischberger". Eine Lockerung der Schuldenbremse sehe er "im Augenblick nicht", sagte Merz - ebenso wenig wie höhere Steuern.
Arbeitsminister Hubertus Heil erteilte dem Sparvorschlag beim Bürgergeld von Merz eine Absage. "Friedrich Merz verschweigt der deutschen Öffentlichkeit, dass die Anpassung des Bürgergelds der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entspricht", schrieb Heil auf der Plattform X (früher Twitter). "Dem hat er und seine CDU übrigens im Bundestag zugestimmt."
FDP für Schuldenbremse und gegen höhere Steuern
FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich in der "Rheinischen Post" gegen Steuererhöhungen aus. Notwendig sei stattdessen eine "grundsätzliche Auseinandersetzung darüber, was wir finanzieren können und was nicht".
Während Union und FDP als Befürworter der Schuldenbremse gelten, schließt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert eine Aufweichung offenbar nicht aus. "Sehr wohl sind Kredite dann sinnvoll, wenn man später daraus eine Rendite erwarten kann", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. "Wir sind davon überzeugt, dass Investitionen in Schlüsseltechnologien für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands und auch für unsere Unabhängigkeit essentiell sind." Er wisse, dass auch einige Politiker von CDU und CSU ähnliche Ansichten haben, sagte Kühnert.
Habeck: "Müssen das nach wie vor möglich machen"
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Der Rotstift allein löst keines unserer Probleme." Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck will an Vorhaben der Regierung festhalten. "Wir müssen das nach wie vor möglich machen", sagte der Grünen-Politiker in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" mit Blick auf Klimaschutz und Investitionen.
Eine Regierungskrise sieht Linksfraktionschef Dietmar Bartsch heraufziehen. Er forderte Bundeskanzler Scholz auf, öffentlich Stellung zu nehmen. "Dass der Bundeskanzler in diesen Tagen abtaucht, ist verantwortungslos", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Der Kanzler solle die Bevölkerung darüber informieren, "wie er den Karren aus dem Sumpf ziehen" wolle.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, warnte unterdessen davor, Ausgaben für die Bundeswehr und die Ukraine-Hilfe zu kürzen. Das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro "bleibt weiter vorhanden", da es im Grundgesetz verankert sei, sagte die FDP-Politikerin der dpa.
Verbände fürchten Kürzungen
Während die Politik nach Lösungen sucht, fürchten Verbände Einschnitte. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) forderte langfristige Sicherheit für die Wirtschaft. Es gebe Unternehmen, die sich auf direkte Unterstützung aus dem Klima- und Transformationsfonds eingestellt hätten, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der Funke Mediengruppe. Diese sollten "sich darauf verlassen können, die zugesagten Mittel auch zu erhalten". Ansonsten wäre der Schaden immens.
Auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sagte, Unternehmer seien "extrem verunsichert". Diese Unsicherheit erhöhe das Risiko, dass wichtige Investitionsentscheidungen aufgeschoben, abgesagt oder zulasten des Standortes Deutschland getroffen werden. Die Bundesregierung müsse rasch Klarheit über den Umfang der finanziellen Folgen des Urteils schaffen und einen Plan zur Bewältigung vorlegen, sagte Russwurm.
Der Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE), Michael Vassiliadis, forderte ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse. "Regierung und Opposition müssen anerkennen, dass die wirtschaftliche Notlage, die ein Aussetzen der Schuldenbremse erlaubt, zumindest in diesem und dem kommenden Jahr real ist", sagte er der Funke Mediengruppe.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, forderte den Bundestag auf, soziale Projekte nicht kaputt zu sparen. Vor allem die Freiwilligendienste hätten für das zweite Halbjahr 2024 keine Planungsgrundlage mehr, sagte er der "Rheinischen Post". Das sei ein unerträglicher Schwebezustand, der schnellstmöglich beendet werden müsse.
Bündnis fordert Abschaffung der Pendlerpauschale
Angesichts der fehlenden Finanzmittel forderte ein Bündnis aus Klima-Allianz, Caritas und WWF Deutschland die Abschaffung der Pendlerpauschale. Diese setze "massive ökologische Fehlanreize" und binde wichtige Haushaltsmittel, sagte Stefanie Langkamp, Politische Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Pauschale komme überwiegend Besserverdienenden zugute und sei überflüssig. Mit den Mitteln solle die Bundesregierung den öffentlichen Nahverkehr stärken und die Finanzierung des Deutschlandtickets langfristig absichern.