Christian Lindner und Robert Habeck im Bundestag
Analyse

Grüne und FDP In Abneigung vereint

Stand: 24.04.2023 16:35 Uhr

Die FDP spricht vom "Heizungsverbot", die Grünen pochen auf Koalitionsdisziplin. Das neue Gebäudeenergiegesetz lässt die Konflikte zwischen den beiden Parteien offen zutage treten - und zeigt: Ihre DNA könnte unterschiedlicher nicht sein.

Eine Analyse von Lothar Lenz, ARD-Hauptstadtstudio

Ein Wort ist in der Welt: "Heizungsverbot". Beim Bundesparteitag der FDP am Wochenende war es die gängige Bezeichnung für das Gebäudeenergiegesetz, mit dem die Bundesregierung vom kommenden Jahr an den Einbau neuer Heizungsanlagen regeln will: 65 Prozent der Energie müssen dann aus erneuerbaren Energien kommen. Reine Öl- oder Gasbrenner sollen bei Neuinstallationen nicht mehr erlaubt sein.

Das Problem an dem Gesetz ist: Die FDP hat es mitbeschlossen. Zwar erwirkte ihr Parteivorsitzender, Bundesfinanzminister Christian Lindner, bei der Verabschiedung im Bundeskabinett Mitte April eine Protokollnotiz - darin ließ Lindner festhalten, dass er noch Verbesserungsbedarf gegenüber dem Gesetzentwurf sieht, den das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium und das SPD-geführte Bauministerium erarbeitet hatten. Solche Veränderungen an einem Gesetzentwurf sind im parlamentarischen Verfahren auch üblich - schon der frühere Fraktionschef der SPD im Bundestag, Peter Struck, hatte mit dem Selbstbewusstsein eines langjährigen Parlamentariers festgestellt: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineinkommt.

"Normale Staatspraxis"

Der mit großer Mehrheit im Amt bestätigte Parteivorsitzende Lindner bemühte sich im ARD-Interview dann auch, seine schriftlich fixierten Vorbehalte gegen das einstimmig im Kabinett beschlossene Gesetz als "normale Staatspraxis" herunterzuspielen: Auch andere Gesetzesvorhaben seien schon mit protokollierten Bedenken einzelner Koalitionspartner auf den Weg gebracht worden, sagte Lindner. Man sehe das Ganze kritisch, wolle aber das Verfahren zur Verabschiedung nicht unnötig verzögern.

Die Wahrheit ist: Lindner nutzt den Widerstand gegen die Heizungsmodernisierung vor allem, um das Profil der eigenen Partei zu schärfen. Seit die Liberalen in der Bundesregierung mitwirken, haben sie fünf Landtagswahlen krachend verloren - und in drei Wochen wird eine neue Bürgerschaft in Bremen gewählt. Lindner muss seine Partei wieder auf die Erfolgsstraße bringen. Auch bundesweit war die FDP in den Umfragen der Fünf-Prozent-Marke gefährlich nahe gekommen.

Lindner setzt also auf Abgrenzung. Die Koalitionspartner auf Bundesebene, SPD und Grüne, bezeichnet er pauschal als "zwei linke Parteien" - womit der FDP die Rolle zufalle, das Korrektiv zu sein gegen ausufernde Verschuldung, staatliche Regulierungswut - und eben das "Heizungsverbot".

Kommunikativ verstolpert

Dass die geplante Umstellung der Millionen privaten Heizungen in Deutschland auf klimafreundliche Wärmeerzeugung im Grunde alternativlos ist, weiß auch Lindner. Umso kritischer fragen er und seine Partei aber detailliert danach, wie der Umbau funktionieren soll - und was das Ganze kostet, für den einzelnen Hausbesitzer, für Unternehmen, am Ende auch für Mieterinnen und Mieter.

Zudem ist die Heizungsmodernisierung ein Kernanliegen des grünen Bundeswirtschaftsministers und Vizekanzlers Robert Habeck, der das Projekt selbst, vorsichtig gesagt, kommunikativ verstolperte. Zur Freude der FDP: Sie lässt in der öffentlichen Debatte zur Zeit kein gutes Haar an Habecks "Heizungsverbot". "Opposition innerhalb der Regierung" nennen das manche.

Dabei ist die Sache einfach: Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will (genauer gesagt: muss, denn die Bundesrepublik hat sich gesetzlich dazu verpflichtet), dann muss die Bundespolitik genau jetzt anfangen, auch den Gebäudeheizungen das Verbrennen fossiler Energieträger auszutreiben. Üblicherweise haben Heizungsanlagen eine mittlere Lebensdauer von 20 Jahren. Niemand behauptet ernsthaft, ein solcher Umbau sei in kurzer Zeit zu schaffen - aber einen Anfang muss es eben geben.

Die FDP und die Hintertür

Genau den wagt das Gebäudeenergiegesetz: Es soll regeln, wie hoch der Staat den Austausch der alten Technik fördert, welche alternativen Energieformen zugelassen sind (weit mehr als die oft zitierte Wärmepumpe). Es verschweigt auch nicht, dass Klimaschutz mit hohen Investitionen verbunden ist - aber es wird sich bemühen, Zumutungen in Härtefällen abzufedern.

Der hinhaltende Widerstand der FDP gegen das Gebäude-Energiegesetz folgt dagegen einem eingespielten Muster: "Technologieoffenheit" lautet das Mantra der Liberalen gegen aus ihrer Sicht zu enge staatliche Vorgaben. Schon beim geplanten, EU-weiten Verbot für die Neuzulassung von Autos mit Verbrennermotor ab 2035 bewirkte die FDP, dass eine Hintertür offen bleiben soll für sogenannte E-Fuels, also umweltfreundlich hergestellte Treibstoffe ohne CO-2-Fußabdruck.

Die Grünen fordern Koalitionsdisziplin

Und die Grünen? Sie fordern den Regierungspartner FDP in Sachen Heizungstausch zur Koalitionsdisziplin auf. Die Liberalen müssten dazu stehen, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei, sagte zum Beispiel Fraktionschefin Katharina Dröge. Dabei ist das Drängen auf konkreten Klimaschutz für die Grünen längst selbst zu einer Gratwanderung geworden: Auf der einen Seite sind sie die Partei in der Ampel, die die stärkste Tatkraft (und manchmal auch Phantasie) hat beim Umbau der Industriegesellschaft.

Auf der anderen Seite aber sind die Grünen latent in Gefahr, den Bogen staatlicher Regulierung zu überspannen und dem Einzelnen seine Entscheidungen vorzuschreiben. Man muss gar nicht das Debakel um den "Veggie Day" bemühen, um zu erkennen: In der Frage, wie rigoros Politik in individuelle Entscheidungen eingreifen darf, haben die Grünen schlicht ihre eigene DNA - und sind damit die natürlichen Antipoden zu einer FDP, die den Freiheitsrechten des Einzelnen höchste Priorität einräumt.

Am Ende ein Kompromiss

Schon zum 1. Januar des nächsten Jahres soll das neue Gebäude-Energiegesetz in Kraft treten. Der Bundestag hat also nicht mehr allzu viel Zeit, die vielen anstehenden Fragen nach Förderung, Härtefallregeln oder Übergangsfristen zu beantworten und in ein endgültiges Gesetz zu gießen. Am Ende wird ein Kompromiss stehen - denn mangels anderer Machtoptionen ist es wenig wahrscheinlich, dass die FDP über das Heizungsthema die Koalitionsfrage stellt.

Die Verschiedenheit der Koalitionspartner FDP und Grüne aber, was ihr Staatsverständnis angeht und die Vorstellungen vom Umbau der Industriegesellschaft - sie wird kaum irgendwo so deutlich wie beim Streit um das "Heizungsverbot".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 24. April 2023 um 09:10 Uhr.