Vor Landtagswahl in Hessen Wahlkampf ohne viel Kampf
Mit Hessen als "ampelfreie Zone" hat die CDU von Amtsinhaber Rhein geworben. Die SPD kam nicht aus der Defensive, auch die Grünen spürten den Gegenwind aus Berlin. Ein Schattendasein führten FDP und Linke. Die AfD schaute zu.
Wer den hessischen Wahlkampf-Endspurt im Vorbeifahren erlebt, könnte glauben, es sei richtig spannend. Auf Großplakaten erheben gleich drei politische Schwergewichte den Anspruch, nach dem Wahlsonntag in der Wiesbadener Staatskanzlei das Ruder zu übernehmen.
Als "unser Ministerpräsident" zielt Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) auf Wir-Gefühle. "Zeit für eine Ministerpräsidentin", findet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Und als "Ihr Ministerpräsident" suggeriert Rheins Koalitionspartner und Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir (Grüne), er hätte seinen Traumjob schon.
Ein Satz reicht
Doch selten lief ein Landtagswahlkampf zwischen Kassel und Darmstadt so einseitig. Seit es nach den Sommerferien losging, hielt Rhein seine Herausforderer mit einem einzigen Satz in Schach: "Hessen muss ampelfreie Zone bleiben."
Von Termin zu Termin zog der 51-Jährige mit der Warnung vor chaotischen Zuständen, wie sie in der Bundesregierung herrschten. An ihr sind SPD und Grüne beteiligt. In Hessen könnten beide einzig mit einer Ampelkoalition die seit 25 Jahren ununterbrochene CDU-Regierungsführung beenden.
Die Umfragen geben der Strategie der Union recht: Sie führt seit Monaten mit großem Abstand. Mehr als zehn Prozentpunkte liegt sie laut ARD-HessenTrend vor den wohl nur um Platz zwei konkurrierenden Parteien von SPD und Grünen.
Landesvater im Streichelzoo
Die Dominanz der Bundespolitik mit dem Streit um Asylpolitik und Energiewende erlaubten der Union, landespolitische Wahlversprechen wie Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer oder der Bejagung von Wölfen lediglich flankierend einzusetzen. Ansonsten ließ sich Rhein gerne als Landesvater im Streichelzoo oder auf dem Weinberg ablichten.
Fürchten musste er nur eigene Patzer und die von Parteifreunden, zum Beispiel von Friedrich Merz. Der CDU-Bundeschef nötigte Rhein mit umstrittenen Äußerungen zur AfD wiederholt das Bekenntnis ab, in Wiesbaden stehe die Brandmauer. Die These, Flüchtlinge nähmen Deutschen die Zahnarzttermine weg, zwangen den Ministerpräsidenten zur gewundenen Distanzierung: "Das ist nicht mein Stil und nicht mein Sound."
Faeser in der Defensive
Den Amtsinhaber so in die Bredouille zu bringen, gelang Faeser bis zuletzt nicht. In ihrer Doppelrolle als Bundesinnenministerin und Kandidatin geriet die 53 Jahre alte SPD-Politikerin vielmehr selbst immer stärker in die Defensive. Mit Forderungen nach mehr Bildungsgerechtigkeit und einer Initiative gegen Fachkräftemangel drang sie kaum durch.
"Rückenwind sieht sicher anders aus", beklagte sie anfangs noch die durch die Bundespolitik getrübte Stimmung. Kritik an der von ihrem Ministerium zu verantworteten Asylpolitik oder ihrer umstrittenen Versetzung von Cyber-Sicherheitschef Arne Schönbohm wehrte sie als in Berlin geführte Wahlkampf-Manöver ab.
SPD leistete sich peinliche Patzer
Aber gerade in Hessen weckten eigene Fehler Zweifel an der Kampagnenfähigkeit des Faeser-Teams. Eine peinliche Panne betraf das Wahlprogramm: Nicht-EU-Ausländer sollten demnach schon nach sechs Monaten das Kommunalwahlrecht bekommen. Es musste korrigiert werden: Gemeint war nach sechs Jahren.
Zum strategischen Eigentor führte dann ein Video, mit dem die SPD doch noch gegen Rhein punkten wollte: Der Clip stellte eine Zusammenarbeit von CDU und AfD als möglich dar. Kleinlaut ließ Faeser das Video löschen: "Das ist nicht mein Stil."
Nicht nur der Ministerpräsident war aufgebracht. Auch sein zweiter Herausforderer Al-Wazir empörte sich über ein "kleines schmutziges Stück Propaganda". So harte Worte waren von dem Grünen-Realo selten zu hören.
Der 52-Jährige gehört zu den Architekten der ersten schwarz-grünen Landesregierung vor zehn Jahren. Seitdem regiert er zusammen mit der CDU, nun trat er erstmals als Ministerpräsidentenkandidat an. Sein Ziel ist es, zweiter grüner Regierungschef Deutschlands zu werden.
Auch die Grünen spüren den Gegenwind aus Berlin
Ob auf alternativen Straßenfesten oder beim Firmenbesuch in Begleitung von Winfried Kretschmann, dem grünen Vorzeige-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg: Al-Wazir gab sich vernunftgesteuert, kompromissbereit und antipopulistisch.
Dem "Verbotspartei"-Vorwurf gegen die Grünen begegnete er mit sozial-ökologischer Behutsamkeit. Das führte auf Plakaten schon einmal zum rätselhaften Paradox: "Etwas verändern, damit es bleibt, wie es ist." Klarer war Al-Wazirs Selbstbeschreibung: "Die Leute wissen, dass ich mit Augenmaß und Schritt für Schritt vorgehe."
Mit diesem Kurs waren die hessischen Grünen vor wenigen Jahren in Umfragen fast auf Augenhöhe mit der Union, Al-Wazir war der populärste Politiker im Land. Doch gegen das Stimmungstief seit dem peinlichen Gezerre der Bundesregierung um das Heizungsgesetz kommt auch er nicht an.
Mit demonstrativer Verlässlichkeit mobilisierte Al-Wazir zuletzt Grünen-Wähler schon für den Fall, dass die Fortsetzung der Juniorrolle neben der CDU die einzige Machtoption wird: "Ich bin auch am Montag nach der Wahl noch da."
FDP und Linke kämpfen um Wiedereinzug
Im Schatten des Dreikampfs von CDU, Grünen und SPD fiel es den kleineren Parteien im Landtag schwer, Aufmerksamkeit zu erhalten. Zumal die Spitzenkandidaten wenig bekannt sind.
FDP und Linke kämpften bei Umfragewerten um fünf Prozent um ihre Existenz. Bei den Liberalen zündete das Motto "Feuer und Flamme für Hessen" nicht wirklich. Trotz des ramponierten Ampel-Images kam Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner häufig zur Wahlkampfunterstützung nach Hessen.
Die unter den Dauer-Zerwürfnissen der Bundespartei leidende hessische Linke holte sich ebenfalls Bundesprominenz zur Unterstützung, in ihrem Fall waren das Partei-Ikone Gregor Gysi und die in der Landespartei geschätzte und verwurzelte Parteichefin Janine Wissler zurück. Neben der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit rückte die Partei mit der Botschaft "Rote Karte gegen Rassismus" vor allem den Kampf gegen Rechtsextremismus in den Mittelpunkt.
AfD muss wenig tun
Am leichtesten tat sich die AfD, die auf ein deutlich verbessertes Ergebnis in Reichweite von SPD und Grünen hoffen darf. Man verlasse sich weiterhin auf die Bundesregierung, hieß es dieser Tage süffisant aus der Landtagsfraktion. Auftritte von Parteiprominenz waren selten. Mehr versprach sich die Hessen-AfD auf Werbung in den sozialen Netzwerken und der unentwegten Warnung vor einer angeblichen "Masseneinwanderung".