Jens Rommel
interview

Generalbundesanwalt Rommel "Ich sehe keinen Raum für Entwarnung"

Stand: 20.01.2025 09:18 Uhr

Knapp ein Jahr ist Jens Rommel nun Generalbundesanwalt. Im Interview mit tagesschau.de spricht er über den Anschlag in Magdeburg, warum er gegen die Freilassung des "Tiergartenmörders" war und wie groß die Terror-Gefahr derzeit ist.

tagesschau.de: Gibt es gerade besondere Schwerpunkte in Ihrer Arbeit? Unser Eindruck ist, es "brennt" eigentlich in allen Bereichen, für die sie zuständig sind.

Jens Rommel: Wir haben in allen Bereichen viel zu tun. Das fing an mit der RAF, die kurz vor meinem Amtsantritt wieder in die Öffentlichkeit gerückt ist durch die Festnahme von Daniela Klette. Es gab linksterroristische Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen. Es gibt weiterhin rechtsextremistische Anschläge und Gruppierungen in Deutschland. Wir haben das ganze Spektrum. Islamistischer Terror, ausländischer Terror in Deutschland, aber eben auch weltweit. Dazu Spionage, insbesondere aus Russland und China.

tagesschau.de: Für einen Fall sind sie bislang nicht zuständig, den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg kurz vor Weihnachten. Warum ist das kein Fall für Sie?

Rommel: Den Messerangriff auf dem Marktplatz in Mannheim und einige Monate später auf das Stadtfest in Solingen hat die Bundesanwaltschaft an sich gezogen. In Solingen war der Täter an den sogenannten Islamischen Staat angebunden. Dann ist die Bundesanwaltschaft direkt zuständig. Nach unserem Grundgesetz ist Justiz Ländersache. Die Bundesanwaltschaft kann nur ausnahmsweise tätig werden.

Ein Mord muss "besondere Bedeutung" haben. Das hat die Tat in Magdeburg auf jeden Fall. Aber dieses Aufsehen bundesweit und auch die Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühl allein genügt nicht, sondern wir brauchen auch noch einen spezifischen Staatsschutz-Hintergrund. Also einen Angriff auf den Gesamtstaat oder auf unsere Verfassungsgrundsätze.

Dagegen spricht aus meiner Sicht in Magdeburg, dass der Beschuldigte zwar sehr viele Kontakte mit staatlichen Stellen hatte, es sind ja jetzt über 100 bekannt geworden. Aber eben auch mit ganz vielen anderen Stellen und Personen im Clinch lag. Daher dürfte die Tat eher den Charakter einer Amokfahrt aus persönlicher Frustration haben und weniger einer terroristischen Tat, die gegen die Bundesrepublik oder die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet ist.

Intensive Beratungen nach Tat von Magdeburg

tagesschau.de: Aber wenn er ans Bundeskanzleramt geschrieben oder staatliche Organisationen bedroht hat: Das sind doch klassische Gesichtspunkte auch politischer Straftaten.

Rommel: Ich habe direkt nach der Tat drei Tage lang bei uns im Lagezentrum mit den Kolleginnen und Kollegen beraten, was wir machen. Weil der Fall schwer zu beurteilen ist, auch von der psychischen Konstitution des Beschuldigten her. Die Bandbreite seiner politischen Äußerungen lässt sich ganz schwer einordnen. Die Bedrohungen gegen staatliche Einrichtungen hat er ja alle nicht umgesetzt. Und die Tat richtet sich jetzt gegen einen Weihnachtsmarkt, also keine staatliche Stelle. Und auch nicht gegen eine Demonstration oder eine Meinungsäußerung auf einem Marktplatz an einem Stand. Natürlich war sie gegen die Bürger gerichtet. Aber eine Amokfahrt ist das natürlich auch.

tagesschau.de: Spielt die psychische Verfassung des Täters auch bei Ihrer Beurteilung eine Rolle, ob Sie zuständig sind oder die Landesbehörden?

Rommel: Eine terroristische Motivation und Einschränkungen der Schuldfähigkeit schließen sich nicht gegenseitig aus. Ich finde es aber wichtig zu verstehen, was einen Täter motiviert hat, um zu begreifen, ob die Tat wirklich gegen unseren Staat oder unsere Art des Zusammenlebens gerichtet war oder sich blindlings gegen das nächstbeste Ziel gerichtet hat.

Drei Voraussetzungen für Übernahme durch den Generalbundesanwalt

tagesschau.de: Manche sehen die Tatsache, dass Sie das nicht übernommen haben, als eine Bagatellisierung der Tat.

Rommel: Mit der Frage "Was muss eigentlich noch passieren, bevor der Generalbundesanwalt tätig wird?" habe ich mich auseinandergesetzt. Aber es sind eben drei Voraussetzungen: die Morde, die besondere Bedeutung, die sicher vorliegt, und zusätzlich der Staatsschutz-Charakter. Und den kann man nicht dadurch überspielen, dass man die anderen beiden Voraussetzungen allein für ausreichend erachtet. Der Bund ist nicht schon dann zuständig, wenn die Tat besonders groß ist. Eine Amokfahrt wie in Trier oder andernorts haben die Staatsanwaltschaften der Länder auch gut bewältigt.

Debatte um "Tiergartenmörder"

tagesschau.de: Im vergangenen Jahr wurde im Rahmen eines Gefangenenaustauschs der sogenannte Tiergartenmörder freigelassen, der im Auftrag des russischen Staates in Deutschland einen Mann umgebracht hat. Sie wollten die Freilassung nicht, bekamen aber eine Weisung der Bundesregierung. Warum waren Sie dagegen?

Rommel: Den Gefangenenaustausch als solchen hat die Regierung allein mit internationalen Partnern organisiert. Es ging um eine erhebliche Zahl von Personen, die aus Russland und Weißrussland freigekommen sind, und etwa halb so viele Personen, die nach Russland überstellt werden mussten. Die Bundesanwaltschaft hatte zu entscheiden, ob wir den Täter für diesen Gefangenenaustausch freigeben, also auf die Vollstreckung des Restes seiner Freiheitsstrafe verzichten.

tagesschau.de: Des großen Restes…

Rommel: Er ist zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, mit besonderer Schwere der Schuld. Das Gericht hat festgestellt, dass es ein Mord im staatlichen russischen Auftrag war, an einem tschetschenischen Oppositionellen mitten in Berlin. Der Täter hatte erst knapp fünf Jahre verbüßt. Ich musste abwägen zwischen den möglichen außenpolitischen Nachteilen für die Bundesrepublik und dem Interesse daran, dass die Strafe in Deutschland vollstreckt wird. Für mich war die Schwere der Tat von besonderem Gewicht und die kurze Dauer der Verbüßung, sodass ich die Entscheidung anders getroffen hätte.

tagesschau.de: Laut Gesetz hat der Justizminister Ihnen gegenüber ein Weisungsrecht. Trotzdem war das eine außergewöhnliche Situation.

Rommel: Ja. Aber die Strafprozessordnung sieht die Möglichkeit ja vor, auf den Rest der Freiheitsstrafe zu verzichten, wenn jemand ins Ausland abgeschoben wird. Dass die Bundesregierung die außenpolitischen Belange und humanitäre Erwägungen anders gewichtet hat, konnte ich gut akzeptieren, weil das ebenfalls eine rechtmäßige Abwägung war, also eine rechtmäßige Weisung.

tagesschau.de: In wenigen Tagen beginnt am Kammergericht in Berlin ein Prozess, in dem Sie den Angeklagten vorwerfen, wichtige Mitglieder einer Kampfbrigade der Hamas zu sein. Es ist also wohl eine direkte Auswirkung des Konfliktes zwischen der Hamas und Israel in Deutschland, obwohl hier bislang nur ein Rückzugsraum zu sein schien. Was hat sich verändert?

Rommel: Die Hamas ist eine Terrororganisation im Nahen Osten, wir haben aber schon länger erlebt, dass in Europa Aktivitäten vonstattengehen. Rückzugsraum für Kämpfer, Finanzierung. Und wir mussten eben jetzt erleben, dass auch Waffen und andere Gerätschaften in Europa gelagert werden, nicht nur für den Einsatz wieder im Nahen Osten, sondern auch für Anschläge in Europa.

tagesschau.de: Sie haben bei den Ermittlungen Waffen gefunden, von denen Sie davon ausgehen, die Hamas habe sie für einen Angriff in der Erde verbuddelt. Sie vermuten aber, dass da noch mehr Waffen sein könnten, die nicht gefunden wurden. Welches Szenario hätte da auf Deutschland zukommen können?

Rommel: Ich möchte nicht spekulieren, dort, wo ich nicht beweisen kann, welche Pläne im Einzelnen verfolgt wurden. Wir haben aber natürlich andere Konstellationen, wo sich Personen bereit erklärt haben, beispielsweise einen Anschlag auf das schwedische Parlament in Stockholm zu begehen. Das gibt so einen Eindruck davon, wie ein Waffeneinsatz aussehen könnte.

tagesschau.de: Also ein Angriff. Wenn ich das jetzt übertrage auf den Bundestag, auf israelische Einrichtungen in Deutschland ...

Rommel: Ich möchte keine einzelne Einrichtung nennen, bei der ich das nicht belegen kann. Aber wenn Sie noch ein paar andere Ereignisse Revue passieren lassen: Wir haben in München einen Attentäter erlebt, der dann von der Polizei erschossen wurde, in der Nähe israelischer Einrichtungen. Wir hatten diese Konstellation mit Stockholm. Es sind eben oft dann symbolträchtige Einrichtungen.

tagesschau.de: Wie ist denn ganz allgemein die aktuelle terroristische Gefährdungslage?

Rommel: Die Lage ist unruhig. Da vergisst man ja inzwischen fast, dass Europameisterschaft und Olympische Spiele nicht überschattet waren durch islamistischen Terrorismus. Ich sehe keinen Raum für Entwarnung. Und wenn wir die Weltlage insgesamt anschauen, gibt es zwar ein kleines Aufatmen in Syrien, vielleicht sogar auch im Nahen Osten, aber die Lage insgesamt bleibt sehr bedrohlich.

Das Interview führten Holger Schmidt und Frank Bräutigam, SWR

Das gesamte Gespräch können Sie im Podcast der ARD-Rechtsredaktion, "Die Justizreporter*innen" hören.