Kindergrundsicherung Was soll die neue Debatte?
Im Kern hat sich an dem Gesetzesvorhaben nichts geändert - und trotzdem geht es aktuell wieder um die Kindergrundsicherung. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die FDP das Vorhaben weiter als Ganzes infrage stellt.
Droht das "größte sozialpolitische Reformprojekt der Ampel" zu scheitern? Zumindest wird wieder einmal darüber debattiert - nicht zum ersten Mal. Grund für den neuerlichen Streit ist die Frage, ob es für den von Familienministerin Lisa Paus geplanten Familienservice tatsächlich 5.000 zusätzliche Stellen braucht.
Die Zahl wurde von der Bundesagentur für Arbeit geschätzt und vom Familienministerium nicht infrage gestellt. Der Gesetzentwurf ist im September vom Kabinett auf den Weg gebracht worden und befindet sich jetzt in der parlamentarischen Beratung zwischen den Fraktionen.
Paus: "Bürokratieentlastung für die Bürger"
Das Ziel haben SPD, FDP und Grüne im Koalitionsvertrag deutlich formuliert: "Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen und setzen dabei insbesondere auch auf Digitalisierung und Entbürokratisierung." An diesem Plan hat sich auch nichts geändert. Nur wie er praktisch umgesetzt werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Laut Gesetzentwurf sollen mit der Kindergrundsicherung mehrere staatliche Leistungen vom Kindergeld bis zum Kinderzuschlag gebündelt werden. Als zentrale Stelle soll dafür der neue Familienservice zuständig sein. Die neuen Stellen seien für die Abwicklung der Kindergrundsicherung richtig und wichtig, bekräftigt die Familienministerin.
Der "Rheinischen Post" und dem "General-Anzeiger" sagte Paus vergangenen Samstag: "Das zusätzliche Personal bedeutet eine Bürokratieentlastung für die Bürger. Im Moment tragen sie die Bürokratielast, müssen von Pontius zu Pilatus rennen."
Von der Holschuld in die Bringschuld?
Mit den 5.000 Stellen wolle man von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen, so Paus weiter. Sätze, die sie so und ähnlich schon seit Beginn ihrer Amtszeit wiederholt. Für die Ministerin scheint genau das der Kern des Gesetzesvorhabens zu sein, denn dadurch werde es voraussichtlich mehr Anträge geben als bisher und mehr Kinder könnten mit der Kindergrundsicherung erreicht werden.
Für Paus und die Grünen hängt viel von dem Erfolg der Kindergrundsicherung ab. Paus selber nennt sie das "größte sozialpolitische Reformprojekt der Ampel". Seit zwei Jahren schafft sie es aber nicht, das Gesetzesvorhaben ohne Widerstände zu präsentieren.
Schon Ende vergangenen Jahres haben die Bundesländer ihre Sorgen kundgetan. Sie fürchten Doppelstrukturen mit den bisher zuständigen Jobcentern und dem neuen Familienservice. Es drohe mehr statt weniger Bürokratie, so der Hauptvorwurf bereits damals.
Die Kritik ist die gleiche
Geändert hat sich an der Kritik nichts. Sie ist diese Woche nur von anderer Seite her wieder lauter geworden. So kritisiert die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen: "Wir haben von Anfang an angekündigt, dass mit uns eine Kindergrundsicherung oder Komponenten daraus nur zustimmungsfähig sind, wenn sie Bürokratie abschaffen und entlasten und nicht neue aufbauen."
Der Staat müsse den Menschen zwar transparent machen, welche Ansprüche sie auf Hilfen haben, beantragen müsse sie dann aber jeder selbst. Die FDP-Politikerin will aber weiter in Verhandlungen gehen, auch mit dem Arbeits- und Sozialministerium.
Forderung nach schrittweiser Einführung
Der dritte Koalitionspartner im Bunde, die SPD, steht aktuell offenbar in der Mitte. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sönke Rix betont, die Kindergrundsicherung sei eine sehr große Sozialreform, die verschiedene öffentliche Stellen betreffe: Jobcenter, Bundesagentur für Arbeit, Familienkassen. Er hält eine neue Behörde für sinnvoll, die alle bisherigen Leistungen für Kinder bündelt.
Aber er sagt auch: "Wir sehen es allerdings auch so, dass wir das nicht alles sofort umsetzen können. Wir brauchen wahrscheinlich eine schrittweise Einführung, und darin sehen wir auch eine Kompromisslinie." Die SPD hoffe sehr, dass Grüne und FDP nach wie vor bereit seien, an Kompromissen weiterzuarbeiten.
Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maria Klein-Schmeink, zeigt sich offen dafür, die Kindergrundsicherung zumindest stufenweise einzuführen. Das scheint zum aktuellen Zeitpunkt der wahrscheinlichste Weg zu sein.
Schneider: "Sie braucht die Unterstützung des Kanzlers"
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sieht im koalitionsinternen Streit um die Kindergrundsicherung Kanzler Olaf Scholz am Zug. "Es braucht ein Machtwort des Kanzlers", sagte Schneider am Mittwoch im Deutschlandfunk. Bundesfamilienministerin Paus könne "die Interessen der armen Kinder nicht alleine durchsetzen".
Schneider betonte: "Sie braucht die Unterstützung anderer Partner in der Koalition und vor allem des Bundeskanzlers." Der hatte sich im Sommer vergangenen Jahres schon einmal in die Debatte um die Kindergrundsicherung eingebracht. In einem Brief an die Bundesfamilienministerin forderte der SPD-Politiker damals einen geeinten Referentenentwurf bis Ende August. Scholz bat Paus zudem, verschiedene Varianten und Alternativen zur Ausgestaltung der Kindergrundsicherung zu erarbeiten. Vorausgegangen war ein wochenlanger Streit zwischen Paus und Finanzminister Christian Linder um die Finanzierung der Kindergrundsicherung.
Paus wertet den Kompromiss nicht als Niederlage
Die unterschiedlichen Ansichten der Fraktionen wurde auch bei der Deutung des Kanzlerbriefs mehr als klar. Das Familienministerium wertete den Brief als positive Unterstützung des Kanzlers für das Vorhaben. Die FDP hingegen verstand den Brief als Aufforderung an die Ministerin, ihrer Arbeit nachzukommen. Geeinigt haben Lindner und Paus sich letztendlich auf die Summe von 2,4 Milliarden Euro - fast zehn Milliarden weniger, als Paus ursprünglich gefordert hatte.
Als eine Niederlage wertete Paus den finanziellen Kompromiss, der offenbar auf ihre Kosten geschlossen wurde, nicht. Dass jetzt erneut die FDP das Vorhaben auch als Ganzes infrage stellt, ist wohl aus der Sicht der Liberalen konsequent. Trotz des Kompromisses im Kabinett ist zu vermuten, dass die FDP bei ihrer ursprünglichen Forderung bleiben will, die Kindergrundsicherung als digitale Verwaltungsreform zu forcieren.
Wie die Familienministerin zur neuerlichen Debatte vor allem um die neuen Stellen für den Familienservice steht, ist nicht bekannt. Auf Anfragen des ARD-Hauptstadtstudios gibt es seit gestern Morgen keine Reaktion. Nur der Verweis auf die parlamentarischen Beratungen der Fraktionen. Die laufen wöchentlich, so die Parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium, Ekin Deligöz. Sie ist optimistisch, dass es zu einer Einigung kommt.