Ehrenamtliche in Kommunen Wenn das Bürgermeisteramt für Frust sorgt
Wenig Geld, dafür viel Bürokratie: Bei vielen ehrenamtlichen Bürgermeistern ist der Frust groß. Bei den Kommunalwahlen gibt es vielerorts nur wenig Kandidaten. Eine Demokratiekrise an der Basis?
Rettershain liegt an der Grenze von Hessen und Rheinland-Pfalz: 310 Einwohner, es gibt ein Dorfgemeinschaftshaus, einen Friseursalon - und sogar eine eigene Homepage. Unter "Aktuelles" sieht man, wann der Eiswagen auf den Dorfplatz kommt: alle zwei Wochen donnerstags um 17.50 Uhr.
Uwe Jannaschk ist hier der Ortsbürgermeister. Vor acht Jahren hat der 61-jährige IT-Berater die Aufgabe übernommen - parteilos, im Ehrenamt. Als Ortsbürgermeister kennt er sich aus mit dem Baumkataster, den Intervallen der Legionellenverordnung, den Tücken der Verkehrssicherung oder den Funktionsprüfungen auf dem Spielplatz.
Lust und Frust im Ehrenamt
Jannaschk ist nahezu eine "One-Man-Show". Er sitzt mit acht weiteren Ehrenamtlern im Gemeinderat, drei Minijobber helfen mit der Kegelbahn, beim Mähen oder im Dorfgemeinschaftshaus. Das war's an Infrastruktur, Personal oder Unterstützung. Jannaschk betont, er fühle sich seinem Dorf sehr verbunden und wolle sich für eine gute Entwicklung einsetzen.
Ortsbürgermeister Uwe Jannaschk fühlt sich seinem Dorf sehr verbunden.
Und doch werde seine Aufgabe immer schwieriger, der Zeitaufwand größer, die Anforderungen anspruchsvoller - und sein eigener Frustpegel immer höher. Die Wertschätzung dagegen werde kleiner. "Öffentliche Ehrenämter waren noch nie einfach", sagt Jannaschk, "aber die Geschwindigkeit, wie sich die Schraube dreht, macht mir schlichtweg Angst".
Mit seinen Sorgen ist er nicht allein: 10.788 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gibt es in Deutschland, knapp 60 Prozent im Ehrenamt. Das zeigt eine aktuelle Studie der Ruhr-Universität Bochum. Nur 19 Prozent sind Frauen. Die Forschenden haben ermittelt, dass die Bürgermeister im Schnitt 20 Stunden pro Woche für ihr Ehrenamt aufwenden. Auch ihre Probleme sind überall ähnlich.
Klamme Kassen
Problem Nummer eins: klamme Kassen. Im vergangenen Jahr verzeichneten die kommunalen Haushalte im Bundesdurchschnitt ein deutliches Minus. Das werfe vor Ort sofort die Frage auf, was ein Bürgermeister überhaupt noch gestalten könne: "Man will ja nicht nur den Mangel verwalten", sagt Alexander Handschuh vom Städte- und Gemeindebund.
Gestalten will auch Ortsbürgermeister Jannaschk. Allerdings: Seine 310-Seelen-Gemeinde hat kein Gewerbe und somit auch keine Gewerbesteuer. "Wir hängen also am Tropf der Schlüsselzuweisungen", erklärt Jannaschk. "Die Einnahmen aller Gemeinden in unserer Verbandsgemeinde werden gemittelt. Wer drunter liegt, bekommt Schlüsselzulagen. Das ist unsere Haupteinnahmequelle."
Zu viele Aufgaben und zu wenig Geld
Die Finanzwissenschaftlerin Gisela Färber von der Universität Speyer sieht darin eine Ursache des Problems: "Wenn die Verbandsgemeinde zu viele Aufgaben hat im Vergleich zu dem, was sie an Finanzierung hat - und bei denen saugt ja auch wieder der Landkreis per Kreisumlage das Geld ab - dann bleibt für die Ortsgemeinden nicht genug übrig. Diese Umlageverbände sind Gift für die Kleinen."
Nicht überraschend, dass den Städte- und Gemeindebund immer wieder Forderungen nach einem Aufgabenmoratorium erreichen: "Die Praktiker sagen: ‘Wir sind am Limit‘", sagt Alexander Handschuh.
Bürokratie wird mehr und komplexer
Problem Nummer zwei: eine viel zu hohe Regelungsdichte. Der Städte- und Gemeindebund nennt als Beispiel die Bauvorschriften - deren Anzahl habe sich in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht, auf mittlerweile mehr als 20.000. Die Bürgermeister seien vielfach "gefangen in einem Korsett von Verordnungen und Ausführungsbestimmungen. Es gibt ein immenses Maß an Komplexität", so Alexander Handschuh. "Jemand, der das in einer kleinen Struktur im Ehrenamt tut, ist sehr stark damit beschäftigt, all das zu beachten und keinen Fehler zu machen".
Verwaltungsrechtler Oliver Junk von der Hochschule Harz sieht ein weiteres Problem: Mischzuständigkeiten. "Wir reden von kommunaler Selbstverwaltung, dass also Kommunen ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln. Es ist eine enorme Schwierigkeit, dass die Kommunen sich bei all den Ebenen - Gemeinde, Verbandsgemeinde, Kreis, Bezirk, Land, Bund, Europa, mit allen zugehörigen Behörden und Zuständigkeiten von Behörden - mit ihrem viel zu kleinen Verwaltungskörper und mit viel zu wenig Know-how verloren fühlen.
Vergaberecht, Umweltrecht, hochkomplexe Themen in Tiefbau, Hochbau, Klimaschutz, Schulregelungen, Kita-Regelungen - dafür brauche ich einen leistungsfähigen Verwaltungskörper", so der Verwaltungsfachmann. Diese Herausforderungen für Ehrenamtler werden besonders deutlich, wenn Bundesgesetze vor Ort auf Wirklichkeit treffen. Ein Beispiel: die Kindertagesbetreuung.
Die Kosten des KiTa-Qualitätsgesetzes
Bessere Betreuung für die Kleinsten - ein gesellschaftliches Ziel mit breiter Zustimmung. Im Januar 2023 trat das "KiTa-Qualitätsgesetz" des Bundes in Kraft. Vor Ort in Rettershain warnt Ortsbürgermeister Jannaschk vor gravierenden Folgen.
Die Kita, die sich insgesamt fünf kleine Orte als Zweckverband teilen, muss nun für Ganztagsplätze mit Verpflegung ausgebaut werden: Vergrößerung der Küche, Räume für Lagerung und Kühlung von Lebensmitteln, ein Umkleideraum für die - künftig zu findende - Küchenkraft, zusätzliche Toiletten, ein Ruheraum. Aktuell läuft die Planungsphase, bis 2028 muss alles fertig sein. Geschätzte Kosten: 650.000 Euro.
"Dann ist die Gemeinde durch ihren Anteil finanziell mit dem Rücken an der Wand", so Jannaschk, "und wir müssen uns überlegen, ob wir noch einen Seniorenausflug oder eine Weihnachtsfeier machen können". Der Bund unterstützt die Länder beim Kita-Ausbau mit rund vier Milliarden Euro in den Jahren 2023 und 2024. Doch am Ende schlagen die Kosten vor Ort auf.
Finanzwissenschaftlerin Färber kritisiert: "Das Kita-Gesetz zeigt einmal mehr, wie der Bund gesetzliche Vorgaben macht. Es gibt dann vielleicht ein Anschubprogramm, mit viel Bürokratie kann man Fördermittel bekommen, aber mit den langfristigen Folgekosten werden die Kommunen alleingelassen bzw. die Länder sollen dann einspringen."
Auch Verwaltungswissenschaftler Junk mahnt, es brauche Strukturveränderungen, um die prekäre Kassenlage der Kommunen langfristig zu verbessern.: "Die Kommunen sind zu sehr abhängig von Fördermitteln. Damit wird kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. Da steckt ein ganz großer Fehler in unserem System."
Fehler im System - Lösungen in Sicht?
Was fehlt, ist eine grundsätzlich auskömmliche kommunale Finanzausstattung. Die Kommunen sind unterfinanziert, flächendeckend, deutschlandweit.
Finanzwissenschaftlerin Färber bringt eine bundesrechtliche Regelung ins Spiel: "Wir haben ein Konnexitätsprinzip: Wenn ein Land den Kommunen neue oder teurere Aufgaben aufbürdet, muss es auch die Kosten dafür übernehmen. Aber ganz viele dieser Kosten kommen vom Bund, wie man am Beispiel Kita-Gesetz sieht. Der Bund könnte das Geld auch direkt nach unten geben, indem er den Kommunen den Umsatzsteueranteil erhöht. Das will der Bund aber nicht, denn er will das Geld ja in ein paar Jahren selbst wieder verplanen."
Irgendwann, so Färbers Prognose, werde es eine Klage geben: "Dann reißt der Faden, dann wird in Karlsruhe geklagt, dass es auch eine Bundeskonnexität geben muss. Weil die Länder sagen: Wenn Bundesrecht diese Ausgaben verlangt, dann zahlen wir nicht."
"Demokratieabbau an der Basis"
Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht, und so steigen Belastung und Unzufriedenheit der Ehrenamtlichen. Bei den anstehenden Kommunalwahlen gibt es vielerorts keine Kandidaten. "Diese Verdrossenheit bei den Ehrenamtlern ist ein Stück Demokratieabbau an der Basis", mahnt Ortsbürgermeister Jannaschk in Rettershain.
Auch Verwaltungswissenschaftler Junk sieht Anzeichen einer Demokratiekrise: "Es wird ja nicht umsonst von der Kommune als Keimzelle der Demokratie gesprochen. Man zerstört diese Keimzelle, wenn man so viel Frust auslöst. Die Ehrenamtler wenden sich irgendwann ab und sagen: 'Ich will das nicht mehr'".
Weitermachen Ehrensache
Hinwerfen will Uwe Jannaschk nicht. Er tritt am 9. Juni noch mal für sein Heimatdorf an. Er weiß: Wenn ein Ort keinen Bürgermeister hat, droht die Zwangsverwaltung. "Da sehe ich die ganz große Gefahr. Wenn wir verwaltet werden von irgendwo und der Bezug zum Ort nicht mehr da ist. Das wäre das schlechteste Szenario, das einer Gemeinde passieren kann."
Zu tun gibt es noch genug. Als Nächstes muss er Handwerker für das Dorfgemeinschaftshaus organisieren: Bei zwei Toiletten sind die Spülungen kaputt. Uwe Jannaschk wird sich darum kümmern.