Krankenhausreform Bringt die Reform Entlastung für kleine Kliniken?
Die Krankenhausreform soll mehr Spezialisierung bringen, aber auch das Überleben kleiner Kliniken erleichtern. Im 80-Betten-Krankenhaus Neuenbürg sieht man die Beschlüsse mit gemischten Gefühlen.
Von der Klinik hat man einen Blick auf die waldigen Anhöhen des Schwarzwalds, umgeben ist sie von einem beschaulichen 8000-Einwohner-Ort. Das Krankenhaus Neuenbürg hat gerade einmal 80 Betten und ist damit eines der Häuser, das mit besonderer Aufmerksamkeit die Krankenhaus-Reform verfolgt.
In der Notaufnahme wird gerade ein Patient aus dem sechs Kilometer entfernten Nachbarort Straubenhardt versorgt. Sven Sickinger hat eine Platzwunde am Kopf. Chirurgin Judith Falter näht die Wunde, der ärztliche Direktor Stefan Sell ist dazugekommen, um zu erklären, wo für eine kleine Klinik wie die in Neuenbürg die finanziellen Herausforderungen liegen. "Wir haben ähnliche Grundkosten wie ein großes Krankenhaus, aber viel weniger Patienten", sagt er.
2,1 Millionen Euro Defizit
Das Verhältnis zwischen den Grundkosten und den Einnahmen über die Behandlung von Patienten sei deutlich ungünstiger. Für 2023 planen sie hier mit einem Defizit von 2,1 Millionen Euro. Die Schließung drohe nicht, aber man könne nicht jahrelang so weitermachen.
Die Patienten aus der Umgebung schätzen ihr Krankenhaus um die Ecke. Zum Beispiel, weil sie hier schnell eine Notfallversorgung bekommen. "Dadurch musste ich jetzt nicht nach Karlsruhe oder Pforzheim", rechnet Patient Sickinger vor. "So bin ich in fünf bis zehn Minuten da und es ist sehr schnell gemacht."
Wird sich das Hamsterrad noch schneller drehen?
Gerade kleine Kliniken wie die von Stefan Sell sollen von der Krankenhausreform profitieren. Bisher verdienen Krankenhäuser vor allem über die sogenannten Fallpauschalen Geld. Und das bedeutet: Je mehr Patienten sie möglichst schnell behandeln, desto besser für die Bilanz. Vom Arbeiten im Hamsterrad sprechen Mediziner deshalb oft. Künftig soll nur noch ein Teil der Einnahmen aus den Fallpauschalen kommen. Jede Klinik soll auch eine garantierte Grundfinanzierung erhalten - für technische Geräte und Personal, das sie vorhalten muss, um bestimmte Leistungen anbieten zu können.
"Das ist gut, weil das leistungsunabhängig ist, weil ich dann Liquidität habe im Unternehmen", sagt Jörg Martin, der den Klinikverbund "Regionale Kliniken Holding" (RKH) führt, zu dem das Krankenhaus Neuenbürg gehört. Er begrüßt die Reform, sie sei lange überfällig. "Wenn 70 Prozent der Krankenhäuser ein Defizit machen, dann kann das nicht allein an den Krankenhäusern liegen", ist er überzeugt. Grundsätzlich sei es gut, dass die Fallpauschalen künftig eine geringere Rolle spielen sollen.
Die Frage sei allerdings, wie es im Detail laufen werde. Denn die Fallpauschalen sollen abgesenkt werden. "Wir bekommen also pro Patientenbehandlung weniger. Das Hamsterrad könnte sich am Ende sogar noch schneller drehen", warnt Jörg Martin.
Länger Warten auf OPs?
In Neuenbürg laufen sie im Hamsterrad mit, so gut es geht. Was die Krankenhausreform will, hat Klinikchef Sell längst gemacht: Sein Haus konzentriert sich auf ein Spezialgebiet, auf die Orthopädie und Rheumatologie. Das zieht auch Patienten aus der ferneren Umgebung an, die Operationen laufen mit größerer Routine und kostengünstiger.
"Natürlich bringt Spezialisierung und Routine auch höhere Qualität", merkt Verbundschef Martin an. Er unterstütze die Pläne deshalb. Und auch die Idee, künftig noch transparenter zu machen, wie gut Krankenhäuser bestimmte Krankheiten behandeln. "Wir selbst stellen diese Information schon lange ins Netz, inklusive der Todesfälle im Zusammenhang mit Behandlungen."
Mehr Spezialisierung bedeute aber gleichzeitig: weitere Wege bei planbaren Operationen. "Auch längere Wartezeiten sind durchaus möglich", prophezeit Jörg Martin. Und er sieht ein weiteres Problem: Die Facharzt-Weiterbildung werde zunehmend schwieriger. "Als Chirurg zum Beispiel muss ich Erfahrungen sammeln. Nicht nur bei der Darm-OP, ich muss auch mal einen Blinddarm machen oder einen Leistenbruch", sagt Jörg Martin. "Und in Zukunft wird man das alles kaum noch in einem Haus finden."
Im RKH-Verbund werde man das durch Stationen in den verschiedenen Kliniken möglicherweise noch organisieren können. Andere Krankenhäuser müssten bei der Ausbildung künftig stärker untereinander kooperieren als bisher.
Kein Interesse an gesunden Menschen
Manches, was sie in Neuenbürg anbieten, bringt schlicht kein Geld ein. Klinikchef Sell hat ein Trainingsprogramm zum Muskelaufbau entwickelt. Patienten machen es vor einer Operation, es unterstützt die Heilung nach dem Eingriff. Doch für das Programm bekommt die Klinik kein Geld über die Fallpauschale. "Wir bekommen für die Operation denselben Betrag. Egal, ob wir das Training anbieten oder nicht", beschreibt Sell das Problem.
Wolle man das grundsätzlich lösen, bräuchte es einen kompletten Systemwechsel, ist Verbundschef Martin überzeugt. Momentan verdiene man Geld, wenn man kranke Menschen behandle. Der Finanzierungsmechanismus bewirke kein Interesse an gesunden Menschen.
"Wie wäre es denn, wenn es umgekehrt wäre? Wenn ich mehr Geld verdiene, wenn Menschen gesund bleiben, als wenn sie krank werden?", schlägt Martin vor. Denkbar sei ein festes Budget, das sich an der Bevölkerungszahl im Einzugsgebiet einer Klinik festmacht.
Fürs Erste aber ist Martin froh, dass es überhaupt eine Einigung zwischen Bund und Ländern gegeben hat. "Wir brauchten dringend eine Entscheidung, um planen zu können."