Abdelouafi Laftit, Innenminister von Marokko und Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Gespräche über Migration Warum Faeser nach Marokko reist

Stand: 30.10.2023 13:14 Uhr

Die Bundesregierung will mehr und schneller abschieben. Dabei ist sie auch auf die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern angewiesen. Was kann Innenministerin Faeser in Marokko erreichen?

Von Claudia Kornmeier, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist einer der Punkte, bei denen sich in der deutschen Migrationspolitik derzeit erstaunlich viele schnell einig sind. Migrationsabkommen: Sie könnten ein Instrument sein, mit dem sich Einwanderung nach Deutschland tatsächlich in den Griff kriegen lassen könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz will sie. Die Union fordert sie. Der Sonderbevollmächtigte arbeitet dran.

Bundesinnenministerin Faeser über ein mögliches Migrationsabkommen mit Marokko

tagesthemen, 30.10.2023 22:15 Uhr

Denn klar ist: Wenn die Bundesregierung den markigen Rufen nach mehr und schnelleren Abschiebungen Taten folgen lassen will, dann ist sie auch auf die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern angewiesen. Und so sind Scholz und Innenministerin Nancy Faeser diese Woche beide in Sachen Migration unterwegs.

 

Die Innenministerin reist nach Marokko. Begleitet wird sie von Joachim Stamp, dem Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Er ist seit Februar im Amt. Sein Job: Vereinbarungen mit den Herkunftsländern schließen, bei denen es nicht nur um die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber gehen soll, sondern etwa auch um Fachkräfte-Migration, Visa-Erleichterungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bislang konnte er selbst noch kein Abkommen abschließen, ist aber in Gesprächen mit mehreren Ländern.

Auch die Reise nach Marokko hat unter anderem den Zweck, "Möglichkeiten und Interessen für eine vertiefte Partnerschaft im Themenfeld Migration" zu erörtern, so das Bundesinnenministerium.

Bei dem Treffen in Rabat mit Faesers Amtskollegen Abdelouafi Laftit soll es allerdings auch um Sicherheitsfragen gehen, etwa die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Außerdem soll die polizeiliche Zusammenarbeit etwa auf Ermittlungen in "komplexen Schleuserverfahren" ausgeweitet werden. Bereits jetzt unterstützt die Bundespolizei die marokkanische Grenzpolizei.

Trend zu umfangreichen Abkommen

Die Migrationsforscherin Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) beobachtet, dass das Thema Migration zunehmend mit verschiedenen Politikbereichen kombiniert werde. Eine Rolle spielten bei den Verhandlungen immer auch Entwicklungsgelder und sogenannte technische Unterstützungsmaßnahmen wie Trainings für Grenzkontrollen, Jeeps oder diplomatische Aufmerksamkeit. Das seien die Hebel, die Deutschland in der Hand habe und auch nutze - neben Visa-Erleichterungen für Fachkräfte.

"Marokko ist einer der wichtigen Partner, weil es ein direktes Nachbarland zu Europa ist. Es kann die Migration durch seine Politik substanziell steuern. Etwa, indem es selbst Migranten aufnimmt“, sagt Rietig. Das Land sei auch ein dankbarerer Partner als zum Beispiel Tunesien. Es habe ein größeres Interesse daran, das Thema Migration nicht negativ zu besetzen: "Der Erfolg von Migrationsabkommen hängt davon ab, ob es in die politische Strategie des Herkunftslands passt und dort Priorität hat."

Effekt "eher gering"

Allerdings sagt Rietig auch: "Der Effekt von Migrationsabkommen auf die Menschen, die tatsächlich migrieren, ist oft eher gering und schwächer als politisch angekündigt." Hinzu kommt mit Blick auf Marokko: Vergleichsweise wenige Menschen aus dem Maghreb-Staat beantragen in Deutschland Asyl. 2023 waren es bis Ende September rund 1.400 Anträge. Aber Marokko ist auch Transit-Land - wenngleich viele der Migranten in Spanien bleiben oder nach Frankreich weiterziehen.

Die Schutzquote ist für Menschen aus Marokko vergleichsweise niedrig. Nur 4,7 Prozent der Asylanträge, über die dieses Jahr bis Ende September 2023 entschieden worden ist, waren erfolgreich.

Innenministerin Faeser strebt Migrationsabkommen mit Marokko an

Sebastian Kisters, ARD Madrid, zzt. Rabat, tagesthemen, 30.10.2023 22:15 Uhr

Auch vor diesem Hintergrund wabert in Deutschland seit Jahren die Diskussion, ob unter anderem Marokko als sicheres Herkunftsland ausgewiesen werden könnte und sollte. Die Grünen sind klar dagegen. Auch der Kanzler zeigte sich zuletzt skeptisch. Große Auswirkungen auf die Asylbewerberzahlen und die Dauer der Verfahren für Menschen aus Marokko hätte die Einstufung voraussichtlich nicht. CDU und CSU formulieren die Forderung trotzdem bei jeder Gelegenheit.

Niedrig war zudem auch die Zahl der Abschiebungen nach Marokko: 63 waren es im ersten Halbjahr 2023. 2022 waren es insgesamt 71. Dabei waren rund 3.700 Marokkaner Ende September ausreisepflichtig - davon hatten knapp 2.800 eine Duldung - 715 wegen fehlender Reisedokumente, 497 wegen ungeklärter Identität.

Linke kritisiert Migrationsabkommen

Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Linke) sieht die Migrationsabkommen kritisch: "Es geht ganz klar darum, dass man Menschen abwehren will, dass man abschotten möchte und das 'fortress europe' weiter hochrüsten möchte."

Die Stoßrichtung sei sehr klar. Marokko bekomme etwas zugestanden, wenn es dafür Aufgaben übernimmt: "Wenn jetzt in Deutschland die ganze Zeit darüber diskutiert wird, wie können wir Migration begrenzen. Und wenn die Antwort darauf ist, dass Nancy Faeser nach Marokko fährt und versucht, dort mit Abkommen zu regeln, dass Marokko Menschen zurückweist oder dafür sorgt, dass sie nicht weiterreisen, dann zeigt das, dass das die Antwort ist auf die Frage: Wer macht den dreckigen Job für Deutschland als Türsteher Europas?"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 30. Oktober 2023 um 12:00 Uhr.