Bundesinnenministerium

Pläne der Ampelkoalition Migrationsabkommen als Wundermittel?

Stand: 10.05.2023 11:01 Uhr

Die Versorgung von Migranten bringt die Kommunen finanziell an ihre Grenzen. Die Bundesregierung will erreichen, dass weniger Menschen ohne Bleiberecht nach Deutschland kommen - und zwar mit neuen Migrationsabkommen.

Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Joachim Stamp ist in seinem neuen Amt bisher nicht der Mann der großen Schlagzeilen. Seit Februar nennt sich der FDP-Politiker Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Und seitdem ist es recht ruhig um ihn.

Stamp möchte offenbar nicht mit Wasserstandsmeldungen in die Medien, eher mit Erfolgen. Also mit fest vereinbarten Fahrplänen, wie die illegale Migration reduziert werden kann. Denn genau das ist ein Ziel der Bundesregierung, das sie in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat.

Ein Ziel, das schwierig zu erreichen ist, gibt Stamp im regierungseigenen Podcast "Aus Regierungskreisen" zu. "Es bringt nichts, zu glauben, man habe jetzt einen Sonderbevollmächtigten, der mit dem Finger schnippt und in ein paar Monaten sind die Probleme in Luft aufgelöst."

Joachim Stamp

Seit dem 1. Februar ist Joachim Stamp Sonderbevollmächtiger der Bundesregierung für Migrationsabkommen, angesiedelt im Bundesministerium des Innern und für Heimat. Vorher war er unter anderem Vizeministerpräsident sowie Integrationsminister in NRW.

"Kluge Abkommen" müssen her

Stamp spricht von "klugen Abkommen", die jetzt ausgehandelt werden müssten, die auch "in der Praxis halten". Denn das ist bei Vereinbarungen, die Deutschland in der Vergangenheit mit mehr als 30 Staaten geschlossen hat, oft nicht der Fall.

Sie nennen sich Rückführungsabkommen, einige bestehen seit den 1990er Jahren. Auf der Liste stehen Länder wie Albanien, Algerien, Marokko und Rumänien. Trotzdem weigern sich einige der Staaten, Landsleute zurückzunehmen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben. Stamp erklärt das so: Die Länder hätten keinen Nutzen von diesen Verabredungen. Anreize müssten her, damit sie mitspielten. Ein Geben und Nehmen.

Gerald Knaus, Migrationsforscher, zu den Problemen der europäischen Flüchtlingspolitik

tagesthemen, 09.05.2023 22:40 Uhr

"Größte Herausforderung für deutsche Diplomatie"

Der Migrationsforscher und Politikberater Gerald Knaus beschäftigt sich seit Jahren mit solchen Abkommen. Er nennt sie in den tagesthemen die "größte Herausforderung für die deutsche Diplomatie". Und schlägt vor, dass die Bundesregierung den Partnerstaaten Visa-Erleichterungen anbieten könne oder Stipendien für Studierende an deutschen Unis.

Solche Zusagen würden nach Knaus‘ Einschätzung dazu führen, dass die Politik in den Herkunftsländern der Migranten ein Interesse hätte, ihre Versprechen auch einzuhalten. Also, dass sie Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland zurücknehmen. Als Beispiel nennt Knaus einige Balkan-Staaten, mit denen dieses System funktioniere.

An solchen wasserdichten Abkommen, die nicht nur auf Rückführungen setzen, arbeitet nun der Sonderbevollmächtigte Stamp. Verhandlungen laufen zum Beispiel mit Usbekistan, eine Absichtserklärung ist schon unterzeichnet. Mit weiteren Ländern sei Stamp in vertraulichen Gesprächen, heißt es aus dem Bundesinnenministerium.

Denkbar wären weitere Migrationsabkommen beispielsweise mit Staaten in Afrika. Stamp nennt kein konkretes Land auf dem Kontinent, berichtet im Regierungs-Podcast aber von Tausenden Afrikanern, die in Deutschland leben und hier Sozialleistungen beziehen. Mit diesem Geld wiederum unterstützen sie ihre Familien in der Heimat.

Deutsche Sozialleistungen als Geldtransfer

Ähnliches beobachtet der FDP-Politiker bei Migranten aus Osteuropa: Menschen aus Georgien oder der Republik Moldau kommen nach Deutschland, stellen hier Asylanträge, die in 99 Prozent der Fälle abgelehnt werden. Sie können gegen diesen Entscheid klagen. Das dauert oft Jahre, weil die Verwaltungsgerichte überlastet sind. In dieser Zeit bekommen die Menschen in Deutschland Sozialleistungen. "Und das ist bei den niedrigen Löhnen in den Ländern für manche attraktiv", sagt Stamp.

Er will Georgien und Moldau daher als sichere Herkunftsländer einstufen. Deutschland dürfte so als Ziel für Migranten von dort uninteressanter werden. Denn sie müssten die Klage gegen den abgelehnten Asylantrag dann in ihrem Heimatland einreichen. Was nach Stamps Worten den Anreiz nehmen würde, nach Deutschland zu gehen, wenn es keine Aussicht auf ein langes Verfahren in Deutschland mehr gibt - und damit auch nicht auf Sozialleistungen.

"Abkommen sind nicht das Wundermittel"

"Migrationsabkommen sind nicht das Wundermittel, wie die Ampel seit Monaten behauptet", sagt dagegen der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm. Er wollte wissen, wie sich die Zahl der Rückführungen nach Indien entwickelt hat, seitdem Deutschland Ende vergangenen Jahres ein Abkommen mit der Regierung in Neu-Delhi schloss.

Die Antwort der Bundesregierung: Innerhalb von vier Monaten hat Indien 13 Landsleute zurückgenommen. Im gesamten Vorjahr waren es 52. Das bringt Throm zu diesem Kommentar: "Kaum schließt die Bundesregierung ein Migrationsabkommen mit Indien, gehen die Rückführungszahlen in dieses Land zurück." Der CDU-Politiker fordert die Ampelregierung auf, mehr Druck auf unkooperative Staaten auszuüben, mit denen schon Vereinbarungen existieren.

Der Sonderbevollmächtigte Stamp bleibt auf neue Abkommen fokussiert: Georgien und Moldau sind nach seinen Worten zu Migrationspartnerschaften bereit. Würden sie besiegelt, könnte die illegale Migration nach Deutschland um etwa zehn Prozent sinken, rechnet der Sonderbevollmächtigte vor. Denn diesen Anteil haben im vergangenen Jahr abgelehnte Asylanträge aus Georgien und Moldau ausgemacht.

Oliver Neuroth, ARD Berlin, tagesschau, 10.05.2023 07:01 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 10. Mai 2023 um 10:41 Uhr.