Christian Lindner, im Hintergrund Wolfgang Kubicki und Christian Dürr
analyse

Mitgliederbefragung der FDP Fremdeln mit der Ampel

Stand: 02.01.2024 20:05 Uhr

Eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder ist für den Verbleib in der Ampelkoalition. Die Parteiführung sieht sich bestärkt. Der Unmut in der Partei ist aber nicht zu übersehen. Was bedeutet das für die Regierungsarbeit?

Eine Analyse von Frank Jahn, ARD Berlin

 "Als klaren Auftrag" wertet FDP-Chef Christian Lindner im Onlinedienst X das Votum der Mitgliederbefragung für den Verbleib in der Ampel. 52,24 Prozent der Teilnehmer der Befragung lehnen einen Ausstieg aus der Koalition ab. Lindner hat vermutlich aufgeatmet, als er das Abstimmungsergebnis am ersten Tag des neuen Jahres sah. Ein Votum für das Verlassen der Ampel wäre zwar nicht bindend für die Parteiführung gewesen, hätte aber sicher anhaltend für Debatten in der Partei gesorgt.

Stattdessen kann die FDP-Führung auf Unterstützung für ihren Kurs verweisen. Mehrheit ist Mehrheit. Das erkennen auch Initiatoren des Entscheids an wie der Ampelgegner Matthias Nölke. Er erklärt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, dieses demokratische Ergebnis gelte es zu respektieren. Doch ganz so klar ist der Auftrag zum Weiter So dann vielleicht doch nicht.

Zwei Botschaften

Gerade mal 1.170 Stimmen Vorsprung verbucht das Lager derer, die gegen die Trennung von SPD und Grünen sind. Das war knapp. Initiator Nölke will das Ergebnis denn auch nicht als Niederlage sehen. Eine große Minderheit habe klar gemacht, dass die FDP bessere Arbeit in der Bundesregierung leisten müsse. Die FDP-Führung kann darüber nicht einfach hinweg gehen. Sie will das Basisvotum offenkundig auch nicht ignorieren. Lindner selbst sieht die Abstimmung dann auch als Aufforderung an die FDP im Kabinett, "im Regierungshandeln weiter liberales Profil zu zeigen".

Für die Ampel hat die FDP nach der Befragung der Mitglieder also zwei Botschaften. Die Koalition mit SPD und Grünen geht weiter. Und aus dem Zweckbündnis wird auch in Zukunft keine große Liebe.

Parteivize Wolfgang Kubicki kündigt im Deutschlandfunk am Dienstagmorgen entsprechend an, dass die FDP in der Koalition besser und "durchsetzungsstärker" werden müsse. Der prominente Parteirebell Frank Schäffler, der für den Verbleib in der Ampel eintrat, nennt das Ergebnis der Befragung einen "Warnschuss", und die FDP müsse sich der "Vergrünung" der Politik widersetzen.

Lindner sieht sich bestärkt

Tatsächlich dokumentieren die 47,76 Prozent für ein Ende der Ampel eine große Unzufriedenheit unter den FDP-Mitgliedern, die an der Befragung teilgenommen haben. Aber - und darauf verweist auch die Parteispitze - weniger als ein Fünftel der insgesamt gut 72.000 Parteimitglieder stimmten für das Ampel-Aus. Die Abneigung gegen das rot-grün-gelbe Regierungsbündnis ist keine Überraschung für die Parteiführung. Das Unbehagen der FDP-Anhänger ist schon aus vorherigen Umfragen hinlänglich bekannt.

Die liberalen Unterstützerinnen und Unterstützer "fremdeln mit der Ampelkoalition", hat auch Lindner in der Vergangenheit bereits erklärt. Durch das aktuelle Mitgliedervotum dürfte sich der Parteichef und Finanzminister kaum in Bedrängnis sehen. Eher nimmt er es wohl als Bestärkung darin, weiter Druck in der Ampel zu machen. Er kann gegenüber SPD und Grünen auf seine Basis verweisen, wenn die Bündnispartner der FDP zu viel abverlangen sollten. Die Liberalen dürften weiterhin konsequent ihre roten Linien verteidigen. Bei Tempolimit, dem Nein zu Steuererhöhungen und dem Festhalten an der Schuldenbremse waren sie bei allem Unmut unter ihren Anhängern bisher recht erfolgreich.

Es geht um das politische Überleben

Das hat bei Befürwortern der Ampel in der Mitgliederbefragung vermutlich auch einen Ausschlag gegeben. Neben der von vielen geäußerten Überzeugung, dass man sich nicht aus der Verantwortung stiehlt, wenn es unbequem wird. Und dann ist da wohl auch die Einsicht, dass die FDP in Umfragen gefährlich nah an der Fünf-Prozent-Hürde ist und sie bei Neuwahlen vielleicht nicht in den Bundestag einziehen könnte.

Für die FDP geht es auch um den Machterhalt und das eigene politische Überleben. Parteivize Kubicki hatte einen interessanten Versprecher im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Die Freien Demokraten sind sehr egoistische Menschen. Nein, das ist der falsche Ausdruck. Sehr individuelle Menschen. Die aber gemeinsam streiten und gemeinsam schlagen."

Die FDP, so Kubicki, werde die Europawahl und mindestens zwei der drei Wahlen in Deutschlands Osten gut bestreiten. Und sie werde die Bundestagswahl gewinnen. Die FDP wolle gestalten, betont die Parteiführung nach der Abstimmung und sieht Rückenwind fürs Regieren. Bevor die FDP am Wochenende mit ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart politisch ins Jahr startet, gewährt die Mitgliederbefragung einen Blick in die liberale Seele. Die Abneigung gegen die Ampel ist nicht zu übersehen. Aber nach Meinung der Mehrheit würde der Verzicht auf die Macht die Partei wohl zu viel kosten.

Uwe Jahn, ARD Berlin, tagesschau, 02.01.2024 20:43 Uhr