Aufregung über Mützenich-Rede "Rückfall in die alte Russlandpolitik"
Im Bundestag hat SPD-Fraktionschef Mützenich das mögliche "Einfrieren" des Krieges in der Ukraine ins Gespräch gebracht. Die Grünen fühlen sich daraufhin an "alte Russlandpolitik" erinnert, der Ex-Botschafter der Ukraine holt zur Verbalattacke aus.
Politiker der Grüne, der FDP und der CDU haben SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich für dessen Äußerungen zu einem möglichen Einfrieren des Kriegs in der Ukraine kritisiert. Dessen Rede im Bundestag sei ein "Rückfall in die alte Russlandpolitik der Sozialdemokratie" gewesen, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang dem Sender Welt-TV.
"Es ist klar, dass ein Einfrieren dieses Konfliktes am Ende zu unfassbarem Leid der vielen Menschen in diesen besetzten Territorien führen würde", sagte Grünen-Chefin Lang. Grünen-Außenpolitiker Anton Hofreiter nannte Mützenichs Vorschlag im Sender Welt-TV eine Ermutigung Putins, "den Krieg noch weiter zu eskalieren". Das schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt.
Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte während Mützenichs Rede auf der Regierungsbank den Kopf geschüttelt. Sie hatte bereits im vergangenen Dezember vor einem "eingefrorenen Konflikt" gewarnt. Das würde Putins Gewaltherrschaft in der Ukraine zementieren, sagt nun ihr Sprecher Sebastian Fischer.
Nachdenken über ein Einfrieren des Krieges
Mützenich hatte am Donnerstag in der Bundestagsdebatte über den Antrag der CDU/CSU, der Ukraine "Taurus"-Marschflugkörper zu liefern, zunächst auf die umfangreiche deutsche Unterstützung mit Militärgütern, humanitärer Hilfe und bei der Aufnahme von Flüchtlingen hingewiesen. Zugleich sagte der SPD-Fraktionschef, es müsse damit umgegangen werden, dass viele Länder außerhalb Europas einen anderen Blick auf diesen Krieg hätten. Daher müsse die Frage gestellt werden, "wie wir diese Länder überzeugen können, uns in Europa stärker von dieser Kriegsfessel auch zu befreien".
Mützenich fuhr fort mit einer Frage, die nach seinen Worten manchmal im Bundestag als "Schandfleck" bezeichnet werde. Er sagte wörtlich: "Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?" Gehe es "nicht auch politisch um diese Fragen?"
Ukrainischer Ex-Botschafter beleidigt Mützenich
FDP-Chef Lindner warf Mützenich daraufhin vor, Wahlkampf zu betreiben. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte er: "Fragen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Existenz der Demokratie in der Ukraine dürfen nicht zum Gegenstand von Vorwahlkampf werden, wie es der Vorsitzende der SPD-Fraktion versucht hat."
Lindners Parteikollegin, Europa-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dringt auf eine rasche Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der SPD selbst. "Wenn Rolf Mützenich, der als Vorsitzender ja für die gesamte SPD-Fraktion spricht, ernsthaft ein Einfrieren des Ukraine-Kriegs fordert, rückt die Kanzlerpartei SPD offenkundig von der vereinbarten Zeitenwende ab", sagte Strack-Zimmermann dem Magazin "Stern".
Dem Deutschlandfunk sagte sie außerdem: "Ich bin sicher, dass die Ukraine genauso entsetzt war wie wir alle im Bundestag, als wir das gehört haben." Tatsächlich verleitete Mützenichs Rede den ehemaligen Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, zu einer verbalen Entgleisung. Auf X, ehemals Twitter, beschimpfte er ihn als "widerlichsten deutschen Politiker":
Mützenich weist Kritik von sich
Mützenich selbst wies derweil die Kritik an seinen Äußerungen zurück. Er habe sich in seiner Rede "klar für die Unterstützung der Ukraine, auch mit Waffen und Munition, ausgesprochen", sagte er der "Rheinischen Post". Darüber hinaus habe er, wie viele vor ihm, "angeregt, nicht nur über Militärhilfen, sondern auch über die Bedingungen für ein mögliches Kriegsende nachzudenken". Mützenich betonte zugleich, er rede keinesfalls einer Preisgabe der völkerrechtswidrig besetzten Gebiete im Osten der Ukraine und der Krim das Wort. Und: "Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen."
Rückendeckung erhielt Mützenich von SPD-Chefin Saskia Esken. Sie wolle sehr deutlich machen, dass Mützenich und andere in der SPD zu einer uneingeschränkten Unterstützung der Ukraine stünden, sagte Esken vor einer Klausurtagung des SPD-Parteivorstands in Berlin. "Und dass wir natürlich auch die Sehnsucht nach Frieden, die insbesondere Ukrainerinnen und Ukrainer hegen, teilen." Die SPD appelliere immer wieder auch an den russischen Präsidenten, zu Verhandlungen zurückzukehren und gemeinsam darüber zu sprechen, wie ein Frieden möglich sei.
Kiesewetter: Mützenichs Vorstoß war "Versuchsballon"
Auf die Frage nach einer Einschätzung der Mützenich-Rede von Seiten der Regierung, sagte deren Sprecher Steffen Hebestreit, Äußerungen aus dem parlamentarischen Raum nicht zu bewerten. Er betonte zugleich, Deutschland unterstütze die Ukraine "bei der Verteidigung gegen den russischen Aggressor mit allem, was wir verantworten können". Hebestreit fügte hinzu: "Das steht."
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter glaubt, dass die Äußerung Mützenichs mit dem Kanzleramt abgesprochen war. Der Vorstoß sei ein "Versuchsballon" gewesen, der die Positionierung der SPD insgesamt aufzeige, sagte Kiesewetter dem Sender Welt-TV. Die Idee des Einfrierens zeige, "dass die SPD nach wie vor eine Russlandromantik hat, die uns in Deutschland jetzt furchtbar einholt", so Kiesewetter.
Mit Informationen von Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio