AKW Neckarwestheim "Uns ging es immer gut"
Im württembergischen Neckarwestheim weckt der Ausstieg aus der Atomenergie gemischte Gefühle. Mehr als 50 Jahre lang brachte der Meiler der Gemeinde einen regelrechten Geldsegen. Und nun?
Von einem Hügel aus, mitten auf dem Feld kann Herbert Würth ihn sehen: Den Hybridkühlturm vom Atomkraftwerk Neckarwestheim II. Weißer Dampf steigt auf - doch am Samstag wird der Betrieb hier für immer eingestellt. Dafür hat Würth mehr als 37 Jahre lang gekämpft, hat Treffen organisiert, demonstriert und einmal sogar Gleise blockiert.
Jetzt hat der Atomkraftgegner sein Ziel erreicht. "Ich habe schon das Gefühl, wir haben einen super großen Erfolg geschafft", sagt der 67-Jährige. Für ihn war der Unfall im Atomkraftwerk von Tschernobyl im Jahr 1986 eine Zäsur - mit Initialzündung. Besonders die Sorge um die Zukunft seiner beiden Kinder, die damals noch klein waren, trieb Würth um "und deshalb war für mich dann die Entscheidung klar: Ich kümmere mich um das Thema Anti-AKW-Arbeit".
In Neckarwestheim selbst hält sich die Freude über die Abschaltung von Reaktorblock II dagegen in Grenzen. 4200 Menschen leben in der kleinen Gemeinde - neben, vom und mit dem Atomkraftwerk (AKW). Stefanie Störtenbecker betreibt im Ort ein Zentrum für Gesundheit und ist Physiotherapeutin. Das Leben am AKW ist für sie normal, schon ihr Vater hat dort als Schichtleiter gearbeitet. Sorgen hatte sie nie, sagt sie, "wir fühlen uns sicher hier und leben auch gerne in Neckarwestheim".
In Neckarwestheim macht sich Wehmut breit
"Das Ende von Neckarwestheim II ist für die Gemeinde ein historischer Einschnitt nach fast 50 Jahren als Kernenergiestandort", erzählt Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos). Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern sei jetzt eine gewisse Wehmut zu spüren, "die Anlage war immer mit einer wirtschaftlichen Stärke versehen. Uns ging es immer gut."
Über 50 Jahre lang hat der Meiler der Gemeinde Neckarwestheim einen regelrechten Geldsegen gebracht: Jährlich sind bis zu acht Millionen Euro Gewerbesteuer von Energie Baden-Württemberg (EnBW) in die Gemeindekasse geflossen. Auch die Rücklagen waren üppig. So konnten ein teures Kulturzentrum, ein Golfplatz oder Betreuungseinrichtungen für Kinder gebaut werden, die Infrastruktur wurde erweitert und auch Vereine im Ort haben profitiert.
"Jetzt müssen wir genau schauen, priorisieren, auch Dinge wirklich auf die lange Bank schieben, mal eine Sanierung weiter hinauszögern", erklärt Winkler. Denn auch wenn man darauf vorbereitet war, der Wegfall der Einnahmen durch das Kernkraftwerk werde für die Gemeinde eine Herausforderung. Förderprogramme oder Kulturangebote mussten schon gestrichen werden, Gebühren und Steuerabgaben wurden stellenweise erhöht. Bei einer Sache ist sich Bürgermeister Jochen Winkler jedoch sicher: "Nach dem Ende der Kernenergie gehen in Neckarwestheim nicht die Lichter aus."
Was passiert mit dem Atommüll?
Der Rückbau von Block II soll in diesem Sommer beginnen und laut EnBW bis zu 15 Jahre dauern. Doch was passiert in dieser Zeit und auch danach mit dem entstandenen Atommüll? Fragen wie diese treiben die Menschen in der Gemeinde Neckarwestheim ebenfalls um. Denn bis zum Jahr 2046 habe Neckarwestheim noch eine Genehmigung als Zwischenlager, so Winkler. Was dann mit dem Müll passiere, sei unklar.
Und genau das ist der Grund, warum Anti-AKW-Aktivist Würth mit dem Kampf gegen die Atomkraft noch lange nicht am Ende ist. Denn nur weil man den Meiler ausschalte, sei es mit der Radioaktivität in Neckarwestheim nicht vorbei. "Wir werden hier im Reaktorkern noch die Brennstäbe für vier bis fünf Jahre haben bevor die dann überhaupt in die Castoren umgelagert werden können. Und dann kommen die in die beiden Tunnelröhren in denen 125 Castoren für voraussichtlich noch 100 Jahre stehen werden."
Immerhin: Es komme kein neuer Atommüll mehr hinzu, darüber ist Würth erleichtert - und wird auch das bei einem Abschaltfest am Samstag in Neckarwestheim feiern. Und dann will er sich dafür einsetzen, dass die Energiewende schnell vorangetrieben wird.