Nord-Stream-Ermittlungen Bundesanwaltschaft bestätigt Schiffsdurchsuchung
Der Generalbundesanwalt hat ein Schiff durchsuchen lassen, das im Verdacht steht, an den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines beteiligt gewesen zu sein. Die Behörde bestätigte entsprechende ARD-Recherchen.
Die Bundesanwaltschaft hat sich zu Recherchen, nach denen ein Durchbruch bei den Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines erzielt wurde, geäußert.
Sie bestätigte wesentliche Ergebnisse der Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios, des ARD-Politikmagazins Kontraste, des SWR und der "Zeit". Der Generalbundesanwalt habe demnach Mitte Januar das Schiff einer deutschen Charterfirma identifiziert, das von einer polnischen Firma angemietet worden war. Die polnische Firma, die das Schiff anmietete, soll wiederum wohl zwei Ukrainern gehören.
Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, die am 26. September 2022 an den Pipelines explodiert waren, teilte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde auf Anfrage mit. Das Schiff sei durchsucht worden. Mitarbeiter der Charterfirma seien nicht verdächtig, etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben. Die Bundesanwaltschaft betonte, dass die Ermittlungen zu Täter und Motiv noch andauern, weitere Auskünfte gebe es deshalb derzeit nicht.
Der Verlauf der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee.
Geheimoperation auf See?
Drei der insgesamt vier Stränge der Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf dem Grund der Ostsee waren durch Explosionen zerstört worden. Laut den gemeinsamen Recherchen von ARD, SWR und der "Zeit" vom Dienstag führen die Spuren in dem Fall in Richtung Ukraine. Allerdings haben die Ermittler bislang keine Beweise dafür gefunden, wer die Zerstörung in Auftrag gab.
Die Geheimoperation auf See soll den Ermittlungen zufolge von einem Team aus sechs Personen durchgeführt worden sein. Es soll sich um fünf Männer und eine Frau gehandelt haben. Demnach bestand die Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, die den Sprengstoff zu den Tatorten transportiert und dort platziert haben sollen. Die Nationalität der Täter ist offenbar unklar. Die Attentäter nutzten professionell gefälschte Reisepässe, die unter anderem für die Anmietung des Bootes eingesetzt worden sein sollen.
Partikel von Sprengstoff in der Kabine
Das Kommando soll den Ermittlungen zufolge am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein. Die Ausrüstung für die Geheimoperation sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden, heißt es. Im weiteren Verlauf ist es den Ermittlern den Recherchen zufolge gelungen, das Boot am folgenden Tag erneut in Wiek auf Rügen und später an der dänischen Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm zu lokalisieren. Die Jacht sei dem Eigentümer im Anschluss in ungereinigtem Zustand zurückgegeben worden. Auf dem Tisch in der Kabine sollen die Ermittler offenbar Spuren von Sprengstoff nachgewiesen haben.
Laut der Recherche soll ein westlicher Geheimdienst bereits im Herbst, also kurz nach der Zerstörung, einen Hinweis an europäische Partnerdienste übermittelt haben, wonach ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei. Danach soll es weitere geheimdienstliche Hinweise gegeben haben, die darauf hindeuten, dass eine pro-ukrainische Gruppe verantwortlich sein könnte.
Unterdessen berichtete die "New York Times" unter Berufung auf nicht namentlich genannte US-Regierungsbeamte ebenfalls von US-Geheimdienstinformationen, die auf eine pro-ukrainische Gruppe deuten. Es gebe jedoch keine Hinweise auf eine Verwicklung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder seines engen Umfelds.
Auch eine "False Flag"-Operation wäre möglich
Für die deutschen Recherchen wurde mit Quellen in mehreren Ländern gesprochen. An den Ermittlungen zur Zerstörung der Pipelines waren Sicherheitsbehörden in Deutschland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und den USA beteiligt. In Deutschland leitet der Generalbundesanwalt die Ermittlungen, der sowohl das Bundeskriminalamt als auch die Bundespolizei beauftragt hat.
Auch wenn Spuren in die Ukraine führen, ist es internationalen Sicherheitskreisen zufolge nicht ausgeschlossen, dass es sich auch um eine "False Flag"-Operation handelt. Das bedeutet, es könnten auch bewusst Spuren gelegt worden sein, die auf die Ukraine als Verursacher hindeuten. Allerdings haben die Ermittler offenbar keine Hinweise gefunden, die ein solches Szenario bekräftigen.
Kiew: "Haben natürlich nichts mit den Anschlägen zu tun"
Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podolyak erklärte auf Anfrage, die Ukraine habe "natürlich nichts mit den Anschlägen auf Nord Stream 2 zu tun". Auf Twitter schrieb er zudem, Kiew habe auch "keine Informationen über 'pro-ukrainische Sabotagegruppen'".
Ähnlich äußerte sich auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow. Dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut wird, sei "eine Art Kompliment", sagte er am Rande eines informellen Treffens mit den Verteidigungsministern der EU-Staaten in Schweden. "Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld."
Russland sieht in Berichten Ablenkung
Russland wertete die Berichte hingegen als Ablenkungsmanöver. "Es ist einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen in offiziellen Regierungspositionen, die die Angriffe in der Ostsee angeordnet und koordiniert haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken", erklärte die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten auf der Nachrichtenplattform Telegram. Moskau macht für den Anschlag die Geheimdienste der USA und Großbritanniens verantwortlich.
Außerdem forderte der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow schnelle und transparente Untersuchungen der Explosionen. Erst vor einigen Tagen habe Russland entsprechende Mitteilungen Dänemarks und Schwedens erhalten. "Das ist nicht nur seltsam. Das riecht nach einem gigantischen Verbrechen."