Notfallreform im Kabinett Rettung für die Notaufnahmen?
Die Notaufnahmen in den Krankenhäusern sind überlastet. Lauterbach will heute das Gesetz zur Notfallreform auf den Weg bringen. Das soll Wartezeiten für Patientinnen und Patienten verkürzen.
Ein Patient kommt mit Bauchschmerzen ins Hamburger Marienkrankenhaus: Ist es ein Notfall, etwa ein geplatzter Blinddarm oder ein banaler Magen-Darm-Infekt? Diese Frage klären medizinische Fachangestellte zunächst am Empfangstresen. Eine Ersteinschätzungssoftware hilft dabei. Im Zweifel kommt ein Notfallmediziner dazu.
Dann entscheidet sich, ob der Patient in die Notaufnahme kommt. Oder ob es ausreicht, dass Allgemeinmediziner ihn in einer angegliederten Praxis behandeln. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das weniger Wartezeit. Für das medizinische Personal in der Notaufnahme ist es eine Entlastung, weil nur die wirklichen Notfälle dort landen.
Notfall oder regulärer Termin?
Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist das Marienkrankenhaus ein Vorbild für seine Notfallreform. Eine Art Blaupause für das, was bald in ganz Deutschland umgesetzt werden soll.
Die Grundidee ist, dass es in einigen Krankenhäusern einen zentralen Tresen geben soll. Dort wird entschieden, ob ein Patient tatsächlich ein Fall für die Notaufnahme ist, zur Notfallpraxis geschickt wird oder sogar auf einen regulären Termin warten kann. Die Notfallpraxis des ärztlichen Bereitschaftsdienstes soll schnell auf dem Krankenhausgelände zu erreichen sein.
Nicht alle müssen in die Notaufnahme
Längst nicht alle Patienten, die bisher in den Notaufnahmen landen, gehören dort auch wirklich hin. Die Erfahrung macht auch Michael Wünning im Hamburger Marienkrankenhaus. Der Mediziner leitet das Notfallzentrum. Wünning schätzt, dass ungefähr ein Drittel bis die Hälfte der Patienten gar nicht in der Notaufnahme mit hochqualifiziertem Personal versorgt werden müsste.
Der Arzt hat aber Verständnis dafür, dass viele trotzdem in die Notaufnahme kommen. Das hat aus seiner Sicht verschiedene Gründe - zum Beispiel, dass einige keinen Hausarzt mehr haben oder keinen Termin beim Facharzt bekommen.
"Der Patient, der zu uns kommt, möchte vor allem die Angst genommen bekommen", sagt Wünning. "Und dann ist es doch schon mal gut, wenn sie an diesen Tresen kommen. Sie werden professionell eingeschätzt. Man sagt: Ja, sie sind akut erkrankt, aber sie brauchen nicht jetzt sofort in dieser Minute Hilfe." Solche Patienten müssen dann nicht stundenlang in der Notaufnahme sitzen, sondern bekommen einen Termin in einer Arztpraxis vermittelt.
Weniger Überlastung
Gesundheitsminister Lauterbach will die Patientinnen und Patienten besser steuern - und zwar auch schon bevor sie im Krankenhaus landen. Notfälle sollen deshalb auch am Telefon besser sortiert werden. Dafür wird die Notrufnummer 112 mit der Nummer des kassenärztlichen Notdienstes 116 117 vernetzt. Wer dort anruft, bevor er ins Krankenhaus fährt, wird bevorzugt behandelt. Zumindest im Vergleich zu Menschen, die gleich dringende Probleme und nicht vorher angerufen haben.
Egal, welche der beiden Nummern man wählt: Am Telefon soll nach einheitlichen Standards entschieden werden, wo Hilfesuchende am besten aufgehoben sind. Bei echten Notfällen wird über die 112 weiter schnell geholfen und zum Beispiel ein Rettungswagen losgeschickt. Bei nicht so dringenden Fällen soll die Wartezeit am Telefon in den allermeisten Fällen maximal zehn Minuten betragen.
Auch Behandlungen per Telefon oder Video sollen häufiger zum Einsatz kommen. Die Kassenärzte sollen eine solche telemedizinische Versorgung 24 Stunden an sieben Tagen die Woche gewährleisten. Das konkret umzusetzen, dürfte eine große technische und organisatorische Herausforderung werden.
Dahmen: Gesetz wird Notfallzentren verbessern
Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, ist selbst Notfallmediziner. Er glaubt: "Die Notfallreform ist das Gesetz, das am schnellsten, das am unmittelbarsten Hilfe für die Menschen im Land verspricht und auch Veränderungen zur besseren Versorgung mit sich bringen wird."
Man werde die Notfallzentren so ausgestalten, dass die Menschen sich rund um die Uhr darauf verlassen können, dass ihnen - egal, wie dringlich ihr medizinisches Problem ist - dort entsprechend geholfen werde.
Viele offene Fragen
Daran zweifelt Nicola Buhlinger-Göpfarth. Die Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands hält eine Notfallreform für überfällig. Die Medizinerin findet es gut, dass Patientinnen und Patienten besser gesteuert werden sollen, etwa durch eine telefonische Ersteinschätzung.
Aber sie hätte sich mehr verbindliche Vorgaben gewünscht. Zum Beispiel, dass Patienten nach dem telefonischen Vorgespräch einen Code erhalten. Erst dieser würde sie dann überhaupt dazu berechtigen, in die Notaufnahme zu gehen.
Auf viele Fragen gebe der Reformentwurf keine Antworten, meint Buhlinger-Göpfarth. Nicht jede Notaufnahme wird in Zukunft einen gemeinsamen Tresen mit angeschlossener Notfallpraxis haben. Wie viele es sein werden und wo genau die gemeinsamen Zentren entstehen, ist noch nicht klar.
Das liegt auch in der Hand der Länder. "Was passiert denn mit Patienten, die sich nicht daran halten, was die Reform vorsieht?", fragt Buhlinger-Göpfarth.
Problem Personalmangel
Die größte Herausforderung sei aber das fehlende Personal, etwa um die Notfallpraxen an den Kliniken zu besetzen. Hausärztinnen und Hausärzte würden zu den normalen Sprechzeiten in ihren Praxen gebraucht und könnten nicht parallel für den Notdienst zur Verfügung stehen. "Wir können schlicht nicht erkennen, woher das Personal für den 24/7 Notdienst kommen soll."
Auch Michael Wünning vom Hamburger Marienkrankenhaus sieht ein großes Problem darin, genug Personal für die Notfallmedizin zu finden. "Der Erfolg hängt hauptsächlich am Personal und es ist gerade schwer, Personal für Notfallmedizin zu begeistern. Gerade in der Pflege ist es schwierig", sagt der Leiter des Notfallzentrums.
Die Arbeitsbelastung ist hoch, man arbeitet in Schichtdiensten. Eine Umfrage der Gesellschaft für Notfall- und Akutmedizin in fast 400 Notfallkliniken ergab kürzlich: In mehr als 90 Prozent der Notfallabteilungen fehlt Personal, knapp 60 Prozent waren am Tag der Umfrage überfüllt.
Damit die Reform gelingt, kommt es also vor allem auf zwei Dinge an: genug Personal in den Leitstellen, Notaufnahmen und Notdienstpraxen sowie Patientinnen und Patienten, die sich besser steuern lassen - also nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Notaufnahme kommen.