Union nach Wahlsieg Angriff auf den Kanzler
Die Union nutzt ihren Wahlerfolg für scharfe Kritik am Kanzler. So könne es nicht weitergehen, sagte Parteichef Merz. Generalsekretär Linnemann forderte Olaf Scholz auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Die SPD will keine Sündenböcke suchen.
Lächelnde Gesichter bei der Union trotz eines nur leicht besseren Ergebnisses als bei der vergangenen Wahl 2019. Von einem "guten Tag für die Union" sprach Parteichef Friedrich Merz. Das Ergebnis sei ein "Desaster für die Ampelparteien". So könne es nicht weitergehen, sagte Merz unter dem Jubel der Anhänger.
Vor allem für den Bundeskanzler sei es eine schwere Wahlniederlage, sagte Merz. "Dieses Ergebnis muss der Bundesregierung zu denken geben. Es braucht einen Politikwechsel in Deutschland." Für die Ampel sei es die letzte Warnung. "Sie schaden unserem Land mit der Politik, die sie machen."
"Die Kanzlerpartei hat 14 Prozent, wir haben mehr als doppelt so viel", sagte Generalsekretär Carsten Linnemann. Bundeskanzler Olaf Scholz könne so nicht weitermachen. "Eigentlich müsste er die Vertrauensfrage stellen im Bundestag", sagte Linnemann. "Das ist desaströs, was wir da erleben. Entweder die Ampel macht einen Kurswechsel oder sie muss den Weg freimachen für Neuwahlen", sagte er im ZDF. Er forderte Kanzler Olaf Scholz auf, die Vertrauensfrage zu stellen.
Mit der Vertrauensfrage kann sich der Bundeskanzler vergewissern, ob er noch die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hat. Findet der Antrag keine Zustimmung der Mehrheit, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag auflösen und es gibt Neuwahlen.
In München freute sich Manfred Weber, Spitzenkandidat der CSU bei der Europawahl, über das starke Ergebnis für seine Partei. Auch sein Parteichef Markus Söder wertete das Ergebnis als klares Votum gegen die Bundesregierung. "Die Ampel ist de facto von den Bürgerinnen und Bürgern abgewählt worden", sagte Söder. SPD, Grüne und FDP hätten zusammen fast ein Viertel ihrer Wähler verloren. "Die Halbwertszeit der Ampel ist maximal noch ein Jahr", glaubt er. Dann müsse der "Spuk" vorbei sein.
AfD: Noch einmal stärker, trotz der Skandale
Jubel bei der AfD. Parteichef Tino Chrupalla sprach von einem "historischen" Resultat. Heute gebe es einen Grund zur Freude. Chrupalla sagte im ZDF, nun könne man gestärkt gegen "die falsche Politik von Ursula von der Leyen" vorgehen.
Zufrieden zeigte sich auch AfD-Co Chefin Alice Weidel. Als Grund für das gute Ergebnis nannte sie eine europakritische Haltung in der Bevölkerung. Weidel sprach zwar von einem "holprigen Start in den Wahlkampf". Danach habe ihre Partei aber einen guten Endspurt hingelegt. Vorwürfe gegen ihre beiden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron würden sich "in Luft auflösen". Ob die beiden ihre Mandate annehmen werden, ließ sie offen. Darüber werde am Montag entschieden. Beide waren wegen möglicher Verbindungen zu pro-russischen Netzwerken in die Schlagzeilen geraten, im Fall Krah geht es zudem um mögliche China-Verbindungen.
Mit dem BSW hatte die AfD bei der Europawahl eine neue Konkurrenz bekommen. Viele Menschen hatten erwartet, dass sich das in einem schwächeren Ergebnis für die AfD zeigt. Doch danach sieht es nicht aus.
Die Parteivorsitzenden Weidel und Chrupalla bejubeln das Ergebnis für die AfD bei der Europawahl.
SPD: Enttäuschung bei der Kanzlerpartei
Lange Gesichter im Willy-Brandt-Haus: Trotz eines schwachen Ergebnisses 2019 geht es noch weiter runter. "Das ist ein bitteres Wahlergebnis", sagte Generalsekretär Kevin Kühnert. Er sprach von einer "harten Niederlage". Man müsse nun auf Fehlersuche gehen. Ob es personelle Konsequenzen geben wird, ließ er offen: "Es werden keine Sündenböcke gesucht in der SPD."
Eine Diskussion um Kanzler Olaf Scholz lehnte Kühnert ab. Seine Partei stehe nun vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits Einigungen in der Ampelkoalition herbeiführen, andererseits auch als Partei das Profil schärfen. Dies sei eine "politische und kommunikative Herausforderung". Er versprach den Anhängerinnen und Anhängern: "Wir kommen zurück."
SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einer "bitteren Niederlage". "Es gibt nichts schönzureden", sagte er in einer ersten Reaktion. Man werde nun aufarbeiten, wie es zu diesem Ergebnis habe kommen können. "Dass Dinge anders werden müssen, ist glaube ich glasklar."
Derzeit verhandeln SPD, Grüne und FDP über den Haushalt 2025. Dabei herrscht Uneinigkeit über die weitere politische Ausrichtung: Während die FDP an der Schuldenbremse festhalten will und den Ministerien Sparvorgaben gemacht hat, sprechen sich die beiden anderen Parteien gegen einen harten Sparkurs aus. Das Bundeskabinett plant, den Haushaltsentwurf am 3. Juli vorzulegen.
Grüne sehen Auftrag an die Ampel
Bei den Grünen äußerte sich die Parteivorsitzende Ricarda Lang kritisch zum Wahlausgang: Mit dem Ergebnis könne ihre Partei nicht zufrieden sein. "Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten", sagte Lang.
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour bewertete das Wahlergebnis als Auftrag an die Ampel. Die Koalition müsse die gute Politik, die sie mache, nach vorne stellen. "Und wir müssen liefern", betonte er und nannte dabei explizit den Bundeshaushalt 2025.
Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter riet seiner Partei zu Konsequenzen: Einen eigenen Kanzlerkandidaten bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr aufzustellen, mache nur Sinn, wenn eine realistische Chance auf einen Wahlsieg besteht", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Nach dem heutigen Ergebnis muss man sich genau überlegen, ob das der Fall ist."
BSW sieht sich als "Europameister der Herzen"
Vor allem in Ostdeutschland holte die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) viele Stimmen. Erfreut zeigte sich die Namensgeberin über das Resultat. "Das ist grandios", sagte Sahra Wagenknecht im ARD-Wahlstudio. Sie kritisierte die "unkontrollierte Migration" in Deutschland, die etwa den Wohnungsmarkt überfordere. "Es sind vor allem die Ärmeren, die darunter leiden", sagte sie. "Rechts ist das nicht", fügte Wagenknecht hinzu.
Aus dem Stand ein solches Ergebnis zu erzielen, mache sie stolz. Sie warb erneut für Verhandlungen mit Russland, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Jubel gab es auch bei BSW-Spitzenkandidat Fabio De Masi. "Wir sind heute Abend so etwas wie der Europameister der Herzen", sagte De Masi in der ARD. Das Ergebnis sei noch höher zu bewerten, da das Interesse an der Europawahl bei den BSW-Wählern eher unterdurchschnittlich gewesen sei.
"Gute Nachricht" für die FDP
Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ist zufrieden mit dem Ergebnis für ihre Partei. Es sei eine gute Nachricht, dass es stabile fünf Prozent geworden seien.
Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte - mit einem offenkundigen Bezug zur Lage in der Ampelkoalition - die Rahmenbedingungen seien nicht leicht gewesen. Über das Ergebnis sagte er: "Ich bin erleichtert."