Verkehrsminister Scheuer Der politische Überlebenskünstler
Bußgeldchaos oder das teure Debakel um die Pkw-Maut: Minister sind schon wegen weitaus geringeren Fehlern zurückgetreten. Andreas Scheuer ist immer noch im Amt. Warum eigentlich?
Wenn es um Verkehrsminister Andreas Scheuer geht, gibt es für Oliver Krischer kein Halten mehr. "Ich habe mich 2017 hier geirrt", ruft der Grünen-Verkehrsexperte Anfang Oktober ins Plenum des Bundestags. "Da habe ich gesagt, nach Ramsauer und Dobrindt kann es nicht schlimmer kommen. Nein, es kam schlimmer mit Herrn Scheuer." Und er appelliert an Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Markus Söder: "Entlassen Sie endlich diesen Minister."
Viel Feind viel Ehr - wenn der alte Spruch stimmt, dann ist Andreas Scheuer spätestens in diesem Jahr zum absoluten Ehrenmann aufgestiegen. Beißende Kritik und Rücktrittsforderungen sind mittlerweile Standard, wenn die Opposition über den CSU-Politiker spricht. Erst recht, seitdem klar ist, wie Scheuer versucht, sich die Maut-Affäre vom Hals zu schaffen.
"Maximal mögliche Transparenz"
"Wir stehen bei allen Fragen zur Pkw-Maut für maximal mögliche Transparenz" - das beteuert Scheuer zwar immer wieder. Doch Aufklärung von ihm und seinem Ministerium gibt es höchstens scheibchenweise.
Anfang Oktober kommt es zum Showdown im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Die Ausgangslage: Vielleicht sind für den Bund am Ende mehr als 500 Millionen Euro futsch, weil Scheuer die Maut-Verträge frühzeitig unterschrieben hat. Gab es ein Angebot der Maut-Betreiber, damit noch zu warten - bis der Europäische Gerichtshof entschieden hat? Hat Scheuer das Parlament belogen?
Fünf Stunden lang, von Mitternacht bis zum frühen Morgen, grillen die Abgeordneten den Verkehrsminister. Die Firmenvertreter sagen im Ausschuss: Ja, sie hätten angeboten, mit den Verträgen noch zu warten. Scheuer sagt hingegen: So ein Angebot gab es nicht - "meiner Erinnerung nach". Ausschließen will er ein solches Angebot aber nicht. Echte Erinnerungslücke, Taktik, Durchwursteln? Unklar.
SPD bleibt zurückhaltend
Ausschlaggebend ist für Scheuers Zukunft, wie seine Performance im Ausschuss auf andere wirkt - auf die eigene Partei und andere in der Regierung. Kirsten Lühmann, Verkehrsexpertin der SPD und gelernte Polizistin, setzt Scheuer im Ausschuss besonders hartnäckig unter Druck. Sie versucht, Unstimmigkeiten in seinen Aussagen sichtbar zu machen und Details zu rekonstruieren, wer in den Maut-Gesprächen zwischen Verkehrsministerium und den Betreibern, wann was zu wem gesagt hat.
Doch nach Scheuers Auftritt hält sie sich mit einer Bewertung zurück: "Es gibt keinen Beweis, dass Herr Scheuer das Parlament belogen hat, er ist aber auch nicht endgültig entlastet", sagt die SPD-Politikerin.
Als Wochen später auf Drängen der Opposition die Entscheidung ansteht, ob Scheuer und der Chef einer Maut-Betreiberfirma noch einmal gemeinsam im Ausschuss befragt werden sollen, lehnt auch die SPD das ab. Für die Sozialdemokraten scheint die Akte Scheuer geschlossen. Sie haben auch nur begrenzten Einfluss. Letztlich entscheidet jede Regierungspartei selbst, wen sie zum Minister macht - oder welchen Minister sie abberuft.
Auf Söder kommt es an
Entscheidend ist also seit jeher, ob Scheuers CSU weiter zu ihm steht. Seine Umfragewerte sind verheerend. Im ARD-DeutschlandTrend sind noch zwölf Prozent der Befragten mit ihm zufrieden. Doch der CSU und dem Ansehen von Parteichef Söder schadet Scheuer bislang nicht. Und Unruhe in der Bundesregierung, mitten in der Corona-Krise, ein Jahr vor der Bundestagswahl - warum sollte Söder daran Interesse haben? Womöglich würde ein Abberufen Scheuers noch als Schuldeingeständnis gedeutet, dass der CSU-Chef zu lange die schützende Hand über seinen Minister hielt.
Solange CSU-Chef Söder seine schützende Hand über Scheuer hält, bleibt er im Amt.
Und so stützt Söder seinen Minister - selbst als im Sommer bekannt wurde, dass Scheuers Ministerium einen folgenschweren Formfehler übersehen hatte bei der Neufassung der Bußgelder für Raser. Das Problem ist bis heute nicht endgültig gelöst. Führerscheine, die wegen der neuen, schärferen Regeln bereits entzogen waren, mussten die Bundesländer zurückgeben. Ämter und Autofahrer waren genervt. Wochenlang blieb unklar, welche Bußgelder nun wirklich gelten - jetzt sind es wieder die alten. Ein riesiges Durcheinander.
"Sehr, sehr ärgerlich" nennt Söder das Hickhack um die Straßenverkehrsordnung im ARD-Sommerinterview. Ein Fingerzeig, dass er den Verkehrsminister fallen lässt? Nein. Söder lässt Scheuer im Amt.
"Ja, er bleibt Minister"
Und auch die CSU-Abgeordneten im Bundestag stehen Scheuer bei, allen voran Verkehrsexperte Ulrich Lange. Nach dem Oktober-Showdown im Maut-Ausschuss macht Lange klar, dass sich der Verkehrsminister damit gerettet hat: "Wenn mich heute oder gestern Vormittag jemand gefragt hätte: Kommt Minister Scheuer und bleibt er Minister? Ja, er war da, er ist Minister und er bleibt Minister."
Ein politischer Überlebenskünstler, eine Katze mit sieben Leben - langsam gehen die Metaphern aus, um Scheuers Beharrungskräfte zu beschreiben. Und ungeachtet aller Kritik: Scheuers Selbstbewusstsein scheint nicht gelitten zu haben. Im Gegenteil. Er gibt sich als Vorreiter für den Klimaschutz, als Vordenker beim autonomen Fahren, als Antreiber beim Deutschlandtakt der Bahn.
Und auch wenn das neue Jahr reichlich unfreundlich für ihn werden dürfte. Auch wenn Corona Bus- und Bahnbetrieben heftig zusetzt, auch wenn die neue Autobahngesellschaft Probleme macht, auch wenn der Verkehrsbereich sein Klimaschutzziel wohl das nächste Mal verfehlen wird. Scheuer wird wohl bleiben - zumindest bis zur Wahl. Trotz allem.