Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck Zwei Stimmen, ein Ziel
Der eine erklärt die Welt in einfacher Sprache, der andere überlegt sich jedes Wort - und schweigt zur falschen Zeit: Die Kommunikation von Scholz und Habeck könnte unterschiedlicher nicht sein. In Kanada müssen sie mit einer Stimme sprechen.
Flughafen Montreal. Ein Bundeswehr-Airbus mit der deutschen Regierungsspitze an Bord rollt langsam zu seiner Parkposition. Kanzler und Vizekanzler reisen in derselben Maschine. Was aus US-amerikanischer Sicht undenkbar wäre - dort muss die Macht des Landes aus Sicherheitsgründen auf mehrere Flugzeuge verteilt werden - ist in der deutschen Verfassung nicht eindeutig definiert. Also fliegt man mit nur einer Maschine, was in Zeiten energiepolitischer Probleme vielleicht auch ein Zeichen ist.
Die Tür geht auf, heraus kommt Olaf Scholz. Allein. Er schreitet die Treppenstufen hinunter aufs Rollfeld und wird von den Vertretern der kanadischen Regierung begrüßt. Und Robert Habeck? Er erscheint erst später, steht kurz etwas verloren herum, weil die Augen der Delegation auf den Kanzler gerichtet sind. Aber Habeck ist es, der das erste Interview aus Montreal gibt - am Montag im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Dem Gesicht des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers sieht man den Jetlag an, die möglicherweise kurze Nacht. Aber Habeck liefert ab.
Die Weltlage
Interviews sind seine Paradedisziplin, das Erklären der Weltlage in einfachen Worten. Habeck spricht von fehlender Infrastruktur, um Deutschland unabhängig von russischem Gas zu machen. Aber man löse das Problem jetzt - durch den Bau von Terminals für Flüssiggas. Trotzdem redet Habeck nichts schön: Deutschland habe einen "sehr kritischen Winter vor der Nase".
Habeck redet frei, er will überzeugen, spricht in Interviews oft wie in einem privaten Plausch. Er antwortet auf die ihm gestellten Fragen und schweift nur selten aus. Habeck gibt auch häufiger zu, dass er etwas nicht weiß. Das ist selten für einen Politiker. Und er kämpft in deutschen Talkshows auch schon mal mit den Tränen, wenn ihn ein Thema berührt.
Empathisch und pragmatisch
Habeck ist empathisch, nachdenklich und pragmatisch zugleich. Seine Art erklärt, warum er zu den beliebtesten Politikern Deutschlands gehört. Zusammen mit Außenministerin Annalena Baerbock ist Habeck das Zugpferd der Bundesregierung und der Grünen. Dank seiner guten Umfragewerte ist die ganze Partei im Aufwind: Im ARD-DeutschlandTrend liegt sie wieder vor der SPD.
Viele Sozialdemokraten sehen diese Entwicklung mit Sorge. Ist Habeck der bessere Scholz? Oder sogar ein Anti-Scholz? Ist es vielleicht eine Frage des Alters? Könnte sein. Scholz scheint einer anderen Generation von Politikern anzugehören, für die es undenkbar ist, öffentlich Emotionen zu zeigen.
Stoische Ruhe
Auf Journalistenfragen direkt zu antworten, ist für den 64-Jährigen auch eher die Ausnahme. Er spricht lieber darüber, was ihm gerade in den Sinn kommt. Es ist eine stoische Ruhe, aus der sich Scholz nur ungerne bringen lässt. Der Kanzler gibt keine Fehler zu und zeigt keine Schwächen. Stattdessen ist sein Selbstbewusstsein so ausgeprägt wie bei kaum einem anderen deutschen Spitzenpolitiker.
Am Wochenende zeigt sich das beim Tag der Offenen Tür der Bundesregierung. Scholz nennt das Neun-Euro-Ticket prompt "eine der besten Ideen, die wir hatten". Etliche Pendler, die sich seit drei Monaten in übervolle Busse und Bahnen quetschen müssen, würden das wohl eher nicht unterschrieben.
In Interviews oder auf Pressekonferenzen bügelt Scholz Journalisten auch gerne mal mit einem "nö" ab. Dazu sein verschmitztes Grinsen - das kann arrogant wirken. Scholz fühlt sich oft klüger als die anderen, manche nennen ihn daher einen Besserwisser.
Fehler vermeiden
Kommunikationswissenschaftler Olaf Hoffjann von der Universität Bamberg hat dafür eine Erklärung. Der Kanzler versuche, um jeden Preis Fehler zu vermeiden. Scholz wolle nicht durch unbedachte Äußerungen weitere Krisen heraufbeschwören. Doch Schweigen ist auch nicht immer die beste Methode. Das zeigt sich vergangene Woche, als Palästinenserpräsident Abbas zu Gast im Kanzleramt ist und dort für alle hörbar Worte spricht, die den Holocaust relativieren.
Scholz greift nicht ein, lässt die Worte Abbas' zunächst unkommentiert. Experte Hoffjann stellt sich die Frage, ob Scholz "die Kommunikation einfach nicht wichtig genug ist oder ob es nicht besser kann."
Habeck dagegen kommuniziere überzeugender, so Hoffjann, was Scholz wiederum das Regieren nicht gerade leichter mache. Habeck kann leicht politische Versäumnisse der vergangenen Jahre ansprechen, die Abhängigkeit von Russland in Energiefragen. Seine Kritik richtet sich an die Regierung von Angela Merkel, in der Scholz zuletzt Vizekanzler war. Scholz muss sich beim Blick zurück daher oft an die eigene Nase fassen.
Auch wenn sie Politiker von höchst unterschiedlichem Schlag darstellen: Inhaltlich sind Scholz und Habeck zumindest in den Grundzügen einer Meinung. Sie haben dieselben Ziele auf dieser Kanada-Reise: Deutschland in der Energiepolitik unabhängiger von Russland zu machen, die Zusammenarbeit mit Kanada zu stärken - zumindest mittelfristig. Es geht um die berühmte Zeitenwende, die Kanzler Scholz Ende Februar ausgerufen hatte. Die Zeitenwende in der politischen Kommunikation allerdings, scheint sein Vize für sich entschieden zu haben.