Sondervermögen Wo es bei den Bundeswehr-Milliarden hakt
Die Bundeswehr soll eine Milliarden-Finanzspritze bekommen. Doch das Projekt hakt, weil Regierung und Opposition sich nicht einig sind. Wo ist das Problem - und warum dauert das so lange?
Die Ausgangslage
Hubschrauber, die nicht fliegen, Kampfpanzer, die nicht einsatzbereit sind, Tornados, die nicht abheben können, Munition, die fehlt - die Bundeswehr ist nicht auf der Höhe der Zeit. Jahrelang wurde die Ausrüstung und Ausstattung der deutschen Streitkräfte vernachlässigt, trotz eines stetig steigenden Verteidigungshaushalts.
2014 betrug der Soll-Etat noch 32,4 Milliarden Euro. 2017 erhöhte er sich auf rund 37 Milliarden Euro, 2020 lag er bei rund 45 Milliarden Euro, 2021 stehen knapp 47 Milliarden Euro zur Verfügung. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine rückte die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr wieder verstärkt in den Fokus. Drei Tage nach Kriegsbeginn kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner inzwischen viel zitierten "Zeitenwende"-Rede im Bundestag ein 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr an. Das ist nun fast drei Monate her. Und seitdem wird gestritten. Zwischen den Ampel-Parteien und mit der Opposition.
Was hat Bundeskanzler Scholz konkret angekündigt?
Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro als Sondervermögen für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten. Das Geld werde mit dem Bundeshaushalt 2022 bereitgestellt, kündigte Scholz am 27. Februar in einer Sondersitzung des Bundestages zum Ukraine-Krieg an. Zugleich sagte er zu, Deutschland werde "von nun an - Jahr für Jahr - mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren".
"Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen", sagte Scholz. Das Ziel sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr. Das werde viel Geld Kosten, müsse aber erreichbar sein "für ein Land unserer Größe und Bedeutung in Europa".
Wie soll das finanziert werden?
100 Milliarden Euro liegen im Bundeshaushalt nicht einfach so herum. Die Summe soll aus neuen Schulden finanziert werden, aber nicht als Teil des regulären Haushalts. Das Zauberwort heißt: Sondervermögen. Es kann ohne Berücksichtigung der geltenden Schuldenbremse mit Krediten finanziert werden. Dazu ist eine Grundgesetzänderung nötig. Der Geldtopf wird "einmalig mit 100 Milliarden Euro ausgestattet", heißt es in dem Entwurf zur Grundgesetzänderung. Finanziert wird dies wiederum durch neue Schulden, aber mit einem besonderen Kniff - nämlich "unter Ausnahme von der Kreditbegrenzungsregelung" in Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Schuldenbremse gilt somit nicht für das Sondervermögen - vorausgesetzt, die Union verhilft der Ampel bei der dazu nötigen Grundgesetzänderung zur Zwei-Drittel-Mehrheit.
Die Union wird sich doch wohl kaum querstellen, oder?
Grundsätzlich befürwortet die größte Oppositionsfraktion die Milliardenpläne zur besseren Ausstattung der Bundeswehr. "Das wird an uns nicht scheitern", sagte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Aber ganz so einfach will die Union es der Ampel-Regierung nicht machen. Sie stellt Bedingungen. Die Union pocht vor allem auf eine gesetzliche Klarstellung, dass das Sondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr verwendet wird.
Die bisher geplante Formulierung "zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" lasse zu großen Spielraum. "Wir reden hier über Flugzeuge, wir reden über Panzer, wir reden über Schiffe und wir reden natürlich über die Sicherstellung der nuklearen Teilhabe Deutschlands", zählte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt auf. "Dabei geht es natürlich um Aufrüstung und nicht ausschließlich um Ausrüstung." Die Union verlangt laut Dobrindt, dass für das Sondervermögen eine Liste mit konkreten Beschaffungsvorhaben erstellt wird. Zudem fordert sie, dass das Zwei-Prozent-Ziel der NATO dauerhaft eingehalten wird. Die NATO-Staaten haben sich dazu verpflichtet, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Die Union möchte das grundgesetzlich verankern.
Wo ist das Problem?
Das fragt sich die Union auch - und zeigt mit dem Finger auf die drei Ampel-Parteien. "Es liegt nicht an uns, sondern es liegt an Einigkeit innerhalb der Koalition. Wenn die Koalition einig ist, können wir sehr schnell zu Ergebnissen kommen", betonte Merz. Doch es hakt weiter auf mehreren Ebenen. Eigentlich sollte der Bundestag vergangene Woche über das Sondervermögen abstimmen, doch mangels einer Einigung wurde dies kurzerhand vertagt. Und bald ist Sommerpause, insofern besteht ein gewisser Zeitdruck. In der Ampel-Koalition spricht man verärgert über "Maximalforderungen" der Union und weist daraufhin, dass CDU/CSU 16 Jahre lang das Verteidigungsministerium geführt hätten und damit Verantwortung für den desolaten Zustand der Bundeswehr tragen würden.
Die Grünen hadern vor allem mit dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO. "Zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Militär auszugeben bedeutet, dass wir in einer Rezession weniger ausgeben würden. Dann erreichen wir zwar die Prozentzahl, haben aber noch keinen einzigen Hubschrauber gekauft", rechnet Außenministerin Annalena Baerbock vor. Deswegen solle nicht ein wenig aussagekräftiges Zwei-Prozent-Ziel ins Grundgesetz geschrieben, sondern das 100-Milliarden-Sondervermögen. "In manchen Jahren werden wir dadurch mehr als zwei Prozent ausgeben, in anderen vielleicht etwas weniger." Zugleich bekannte sie sich zur Zweckbindung des Geldes: "Die 100 Milliarden sind für die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit da, und zwar ausschließlich." Dazu gehöre, der Kauf von 35-Kampfjets, Hubschraubern, die auch fliegen, oder Munition im zweistelligen Milliardenbereich. "Dazu gehört aber auch, dass wir uns zum Beispiel gegen Cyberangriffe schützen."
Aus den Reihen der Grünen waren zuvor Vorschläge für Formulierungen gekommen, die es zumindest möglich machen würden, das Geld auch für Entwicklungshilfe oder andere friedensstiftende Projekte auszugeben.
Auch die FDP wandte sich gegen eine Aufweichung des geplanten 100-Milliarden-Pakets für die Bundeswehr. Zwar sei auch der Zivilschutz eine ganz zentrale staatliche Aufgabe, sagte Parteivize Johannes Vogel. "Ich glaube aber, beim Sondervermögen geht es zu Recht um die wirklich militärische Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Dies zu weit auszulegen, würde das Ziel aus den Augen verlieren, die Bundeswehr endlich wieder einsatzfähig zu machen", sagte Vogel, der auch Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion ist.
Notfalls ohne die Union?
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich brachte nun einen Alleingang der Ampel-Parteien ins Gespräch. Sollte die Union einer Grundgesetzänderung nicht zustimmen, gebe es auch andere Wege für das geplante 100 Milliarden Euro schwere Programm. "Wenn sich Deutschland in einer Notsituation befindet, erlaubt Artikel 115 eine Schuldenaufnahme mit einfacher Mehrheit", so Mützenich in der "FAZ". Artikel 115 schreibt eine Kreditobergrenze für den Bundeshaushalt fest. Zuletzt wurde wegen der Corona-Krise eine Ausnahme genehmigt.
Aus dem FDP-geführten Finanzministerium kam umgehend Widerspruch. "Es ist keine Option, für die Bundeswehr die Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit zu umgehen", sagte Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Er habe eigens ein Sondervermögen im Grundgesetz vorgeschlagen, damit der Charakter der Schuldenbremse selbst intakt bleibe. "Eine Aufweichung wäre verfassungsrechtlich fragwürdig und mit der FDP politisch nicht zu machen", betonte der Parteichef. Für die FDP gehört die Einhaltung der Schuldenbremse zur Partei-DNA. Sie tut sich ohnehin schon zunehmend schwer, mit dem ständig wachsenden Schuldenberg infolge von Pandemie und Krieg.
Die Union wertete Mützenichs Einlassung als unfreundlichen Akt. Fraktionsvize Mathias Middelberg sprach von einer "Drohkulisse", die er nicht ernst nehme.
Und nun?
Alle Seiten geben sich aktuell betont optimistisch. "Ich habe momentan das Gefühl, dass wirklich alle - CDU/CSU, SPD, Grüne und auch FDP - hier an einem Strang ziehen wollen und die Bundeswehr so ausstatten wollen, wie sie es dringend braucht", sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in der ARD. "Daher gehe ich noch davon aus, dass diese konstruktiven Gespräche auch zu einem Ergebnis führen vor der Sommerpause." Auch aus der Union kamen zuversichtliche Töne. Man sei auch bereit, das Ziel von zwei Prozent Verteidigungsausgaben flexibel zu handhaben, ohne es aufzugeben, so Middelberg in der ARD. Die Größenordnung von zwei Prozent müsse lediglich ungefähr und dauerhaft erreicht werden.
Bundeskanzler Scholz hatte in seiner Regierungserklärung am Donnerstag vergangener Woche an die staatspolitische Verantwortung von Regierung und Opposition appelliert. In Sachen Sondervermögen für die Bundeswehr sei man "in guten Gesprächen, auch mit Ihrer Partei, lieber Herr Merz, um das Sondervermögen fest im Grundgesetz zu verankern. Dafür bin ich sehr dankbar." Merz' Antwort: "Ja, wir sind in Gesprächen. Ob das gute Gespräche sind, sei einmal dahingestellt. Wir sind uns jedenfalls bisher nicht einig."