Maaßen, Palmer und Co. Die Risiko-Kandidaten
Maaßen, Palmer, Wagenknecht und Co: Wie gehen die Parteien mit Provokateuren in den eigenen Reihen um? Und wie groß ist das Risiko in Zeiten des Wahlkampfs? Eine Bestandsaufnahme.
Parteien müssen kontroverse und oftmals auch unbequeme Meinungen in den eigenen Reihen akzeptieren und aushalten können. Die Hürden für einen Parteiausschluss sind daher zu Recht hoch. Die Schiedsgerichte sollen gerade nicht dafür genutzt werden, innerparteiliche Konflikte auszutragen. Solange sich Mitglieder und ihre Ansichten innerhalb der Grundsätze einer Partei bewegen, mögen sie vielleicht für manche ein Ärgernis sein - mehr aber nicht. Die Grenze ist schwammig und dehnbar. Wo endet das innerparteiliche Meinungsspektrum, wo beginnt parteischädigendes Verhalten?
Auch strategische Erwägungen spielen eine Rolle, ob und wie die Parteiführung reagiert. So dürften sich die Grünen um Annalena Baerbock und Robert Habeck genau überlegt haben, ob sie in der Auseinandersetzung mit Boris Palmer die Eskalation eines Parteiausschlussverfahrens riskieren - jetzt im Vorfeld der Bundestagswahl. Ähnlich die Situation Armin Laschets im Fall Maaßen. Eskalieren, distanzieren, ignorieren, integrieren - eine Blaupause für den Umgang mit Provokateuren in den eigenen Reihen gibt es nicht.
CDU: Maaßen oder Mitte
CDU-Chef und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet nennt ihn den "Kandidaten" oder den "Erwähnten", wo immer er kann, aber das derzeit große Problem der CDU hat einen Namen: Hans-Georg Maaßen. Der einstige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz kandidiert bei der Bundestagswahl in einem Wahlkreis in Südthüringen und provoziert regelmäßig mit Äußerungen vom rechten Parteirand. Er verhagelt Laschet so gehörig die geplante Wohlfühlshow, die der Unionswahlkampf eigentlich werden sollte.
Maaßen tritt regelmäßig in rechtslastigen Medien auf und verbreitet deren Inhalte in den sozialen Medien, verwendet mit "Globalisten" ein Codewort, das selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung als antisemitisch einordnet. Zuletzt stellte Maaßen die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage, spekulierte über Verbindungen zur linksextremen Szene - und ruderte auch hier nach harter Kritik auch aus den eigenen Reihen wieder zurück.
Unklar ist, ob Maaßen strategisch handelt, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, um Rechte einzubinden oder Überzeugungstäter ist. Einige, wie der Politologe Andreas Püttmann, sehen in ihm eine Art Scharnier zwischen "Rechtskonservatismus" und "radikalem Rechtspopulismus". Andere, wie etwa der ehemalige Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, halten Maaßen dagegen für den "Motor einer neuen CDU".
CDU-Chef Laschet spricht gerne ausführlich über klare Linien und glasklare Positionen, drückt sich aber vor einer klaren Auseinandersetzung mit Maaßen. Nichts käme ihm ungelegener als parteiinterner Streit mitten im Wahlkampf. Zumal Maaßen in der Südthüringer CDU weiter großen Rückhalt genießt. Maaßen sei "unwidersprochen Demokrat", so der Kreisverbands-Chef in Hildburghausen, Christopher Other.
Laschets verdruckster Umgang mit Maaßen ist nicht ohne Risiko: Er könnte die Union Wähler in der Mitte kosten. Er könnte auch Kräfte am rechten Rand ermutigen, die CDU in ihrem Sinne zu verändern. Und Laschet nährt Zweifel an der vielbeschworenen Brandmauer nach rechts.
Einen Parteiausschluss Maaßens fordern bislang nur ganz wenige in der CDU. Eine Volkspartei wie die CDU müsse unterschiedliche Persönlichkeiten "aushalten", meint CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble. Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) legte Maaßen den Parteiaustritt nahe.
Die Grünen: Palmers Provokationen
Bei den Grünen war der parteiinterne Streit und das Quertreiben lange Zeit so etwas wie Teil ihrer DNA. Boris Palmer geht inzwischen aber offenbar selbst den Grünen zu weit.
Seit Jahren sorgt der Tübinger Oberbürgermeister für provokante Aussagen. Im Herbst 2015, mitten in der Flüchtlingskrise, ging er in Opposition zur Willkommenskultur und liberalen Migrationspolitik der Grünen. Es sei nicht Platz für alle, warnte Palmer, um später in einem Buch nachzulegen. "Wir können nicht allen helfen".
Mal schimpfte Palmer über Schwarzfahrer unter Flüchtlingen, mal kritisierte er eine Bahn-Werbung mit Menschen mit Migrationshintergrund. Im Mai kam es schließlich zum bisher größten Eklat. Auslöser war ein Facebookeintrag über den früheren Nationalspieler Aogo. Baerbock bezeichnete die Äußerung als "rassistisch und abstoßend". Palmer rechtfertigte sich später damit, dass sein Eintrag ironisch gemeint gewesen sei, "eine satirische Bemerkung".
Die Bundespartei reagierte im beginnenden Wahlkampf umgehend. Baerbock kündigte ein Parteiausschlussverfahren an. Palmer habe sich auch auf ihre Bitte hin nicht entschuldigt, sagte sie. Schließlich stimmte der Grünen-Landesparteitag für die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens.
Unklar ist, ob das Verfahren den Bundestagswahlkampf wesentlich beeinflussen wird. Das Verfahren könnte erst nach der Wahl abgeschlossen sein. Ohnehin kämpft die Partei derzeit mit ganz anderen Schwierigkeiten. Im Saarland zum Beispiel. Und als vergangene Woche Mitglieder der Tübinger Alternativen und Grünen Liste einen Aufruf gegen den Parteiausschluss Palmers starteten, ging dies in der Berichterstattung unter. An dem Tag waren die Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock bekannt geworden.
Die Linkspartei: Das Ehepaar Wagenknecht/Lafontaine
Die Linkspartei steckt in einer Zwickmühle. Ihre umstrittenste Politikerin ist gleichzeitig ihre populärste: Sahra Wagenknecht. Schon bevor sie ihren Bestseller "Die Selbstgerechten" veröffentlichte, hatte die ehemalige Fraktionschefin immer wieder Teile der Partei gegen sich aufgebracht. Dann zog Wagenknecht auch noch in ihrem Buch gegen "Lifestyle"-Linke zu Felde, die sich nach ihrem Geschmack zu sehr um Antirassismus und gendergerechte Sprache kümmerten und zu wenig um die eigentlichen Interessen der Arbeiterklasse. Mehreren Parteimitgliedern wurde es zu bunt - sie strengten ein Parteiausschlussverfahren an.
Das wiederum brachte die gerade neu gewählte Parteispitze Susanne Hennig-Wellsow/Janine Wissler auf die Palme. Gerade im Wahlkampf können sie eine parteiinterne Dauerfehde überhaupt nicht gebrauchen. Sie wollen sich auch nicht dem Vorwurf aussetzen, Kritikerinnen per Ausschluss mundtot machen zu wollen: "Nicht richtig und nicht gerechtfertigt" sei das Verfahren gegen die gerade zur NRW-Spitzenkandidatin gekürten Wagenknecht, ließen sie wissen. Beigelegt ist der Streit um die richtige Parteilinie damit nicht.
Auch Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine brachte die eigene Partei gegen sich auf, als er im Streit mit dem saarländischen Spitzenkandidaten Thomas Lutze dazu aufrief, das Kreuz nicht bei der Linkspartei zu machen. Lafontaine wirft Lutze unter anderem Betrug vor. Bei all dem weiß man auch in der Linkspartei: Der Eindruck, man befasse sich mehr mit sich selbst als mit dem politischen Gegner, ist kurz vor einer Bundestagswahl ein Risiko.
Die SPD: In drei Anläufen gegen Sarrazin
Wie quälend lange ein Parteiausschlussverfahren dauern kann, hat der Fall Thilo Sarrazin anschaulich gezeigt. Die SPD stritt jahrelang mit dem ehemaligen Berliner Finanzsenator, der in seinen Büchern Pseudotheorien über eine angebliche Abschaffung Deutschlands durch Migration aufstellte und der nach Ansicht der SPD rassistische Thesen vertritt und gegen Minderheiten hetzt. Im Juli 2020 wurde er schließlich wegen parteischädigenden Verhaltens von den Sozialdemokraten ausgeschlossen - allerdings erst im dritten Anlauf. Beim ersten Versuch 2009 hatte Sarrazin nach einem Ausschluss auf Kreisebene bei der Berufung auf Landesebene Erfolg. Ein weiteres Parteiordnungsverfahren 2011 endete in einer Einigung zwischen Sarrazin und der Parteispitze.
Noch länger zurück liegt der Konflikt mit dem inzwischen verstorbenen Wolfgang Clement, einst Bundeswirtschaftsminister im Kabinett von Gerhard Schröder und Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Clement rief kurz vor der Landtagswahl 2008 in Hessen quasi dazu auf, die SPD von Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti nicht zu wählen. Hintergrund war ein Streit über die Energiepolitik. Clement saß zu der Zeit im Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power. Es war nicht die erste Wortmeldung dieser Art von Clement. Mehrere Sozialdemokraten forderten ihn zum Parteiaustritt auf, die Jusos verlangten seinen Rausschmiss. Im Streit um einen Parteiausschluss beließ es die Bundesschiedskommission bei einer Rüge. Clement wollte dies nicht akzeptieren und verließ im November 2008 nach 38 Jahren die SPD.
Die FDP: Kemmerichs Comeback?
Die FDP hat vielleicht keine Maaßens, Palmers oder Sarrazins in ihren Reihen, aber ein paar Protagonisten für verlässlich steile Thesen gibt es aber auch bei den Liberalen. Bundesvize Wolfgang Kubicki gehört dazu, auch wenn seine Äußerungen vergleichsweise harmlos sind. Sorgenvoller sind die Blicke nach Thüringen: Thomas Kemmerich, der Kurzzeit-Ministerpräsident, im Februar 2020 auch mit Stimmen der AfD gewählt, brachte der FDP ein Glaubwürdigkeitsproblem in Sachen Abgrenzung nach rechts ein. Kemmerich glaubt bis heute, alles richtig gemacht zu haben. Mit einem Auftritt bei einer "Querdenken"-Veranstaltung 2020 in Gera sorgte er parteiintern erneut für Empörung.
Zwar konnte die Bundespartei Kemmerich nach dem Tabubruch von Erfurt einigermaßen zügig ins Abseits drängen, los ist sie ihn aber nicht. Gerade wurde er als Landesvorsitzender bestätigt - und er macht kein Geheimnis daraus, dass er gerne wieder als Spitzenkandidat antreten würde.
Und dann ist da der Fall Gerhard Papke. Die FDP würde ihn am liebsten totschweigen. Papke war mal Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, 2017 zog er sich aus der Landespolitik zurück, weil die Lindner-FDP für sein Empfinden zu weit nach links gerückt war. Zuvor hatte Papke vergeblich für einen nationalliberaleren Kurs geworben. Von sich reden macht er dennoch, nutzt seine Twitter-Reichweite, um gegen den "linken Mainstream" zu wettern und die autoritäre Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu verteidigen. Seit 2019 ist Papke Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft und wirkt oft wie der oberste Orbán-Lobbyist des Landes.
Einige in der Partei legten Papke den Parteiaustritt nahe. Führende FDP-Politiker heben dagegen lieber die Randständigkeit des Daseins, des "Basismitglieds" Papke hervor und scheuen die direkte Auseinandersetzung mit diesem Lautsprecher, der zwar nicht in offizieller Funktion für die FDP spricht, aber natürlich trotzdem mit ihr verbunden wird.
Die AfD: Zwei Lager
Das Problem ist immer der Andere - so ließe sich die Gefühlslage innerhalb der AfD zusammenfassen. Die Partei besteht bekanntlich aus zwei heillos zerstrittenen Lagern, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit verbal aufeinander losgehen. Regelmäßig wirft der sich um Galionsfigur Björn Höcke scharende völkisch-nationalistische "Flügel" Parteichef Jörg Meuthen vor, der AfD zu schaden und sie spalten zu wollen. Meuthen wiederum sieht Höcke als das eigentliche Problem an. Weil dessen Anhänger mit immer neuen Verbal-Entgleisungen, mit der Relativierung der Nazi-Zeit und dem Werben um sogenannte Querdenker und Corona-Leugner die AfD aus Meuthens Sicht für viele unwählbar machen.
Jüngstes Beispiel: Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt kritisierte Parteichef Meuthen den Rechtskurs der dortigen AfD, der ein besseres Abschneiden verhindert habe. Sein Co-Parteichef Tino Chrupalla tat dies sogleich als "Einzelmeinung eines Parteimitglieds" ab. Des einen Freund ist bei der AfD also des anderen "Problemfall".
Auch beim Parteiausschluss von Andreas Kalbitz war die Partei zwiegespalten: AfD-Chef Meuthen trieb den Rauswurf voran. Der Vorwurf: Kalbitz habe seine frühere Mitgliedschaft in der Neonazi-Schmiede "Heimattreue Deutsche Jugend" verschwiegen. Höcke und Co. hielten den Ausschluss für einen Fehler. Kalbitz selbst kämpft weiter vor Gericht dagegen.
Bereits erfolgreich geklagt gegen ihren Parteiausschluss hatte die ehemalige AfD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Doris Sayn-Wittgenstein, der man wegen Werbung für einen rechtsextremen Verein zunächst die Tür gewiesen hatte. Nun ist die Fürstin wieder Mitglied.
Auch zwei weitere Ausschlussverfahren machten Schlagzeilen: Wegen antisemitischer Äußerungen flogen der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann und der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon aus der Partei. Gedeon hatte von einer "zionistischen Weltverschwörung" schwadroniert und spekuliert, beim Coronavirus könne es sich um einen Biowaffenangriff aus den USA handeln.
Was die beiden Parteilager angeht, so wirkt als Kitt derzeit nur ein Katastrophen-Szenario: Dass nämlich bei einer Spaltung vermutlich beide Flügel politisch in der Bedeutungslosigkeit verschwänden. Spätestens kurz nach der Bundestagswahl dürfte der Machtkampf aber wieder eskalieren. Auf einem Parteitag im November soll über das künftige Spitzenpersonal entschieden werden.