Wüst und Rhein im Grenzgebiet Wenn Wahlkämpfer wandern
Der eine hat schon gewonnen, der andere will demnächst eine Wahl gewinnen. Der eine strahlt auch im Regen, der andere sucht noch nach Glanz: Hendrik Wüst und Boris Rhein - zwei CDU-Ministerpräsidenten auf Wanderschaft.
Der Skywalk schwankt und schwingt, sobald man ihn betritt. Deutschlands längste Hängebrücke im hessischen Upland ist die neue Touristenattraktion: 665 Meter lang, 120 Tonnen schwer, führt sie von der Willinger Skisprungschanze zum Musenberg. "Ich würde da keinen Fuß draufsetzen", sagt schaudernd ein Wanderer, der einen Blick auf das Bauwerk über die 100 Meter tiefe Schlucht wirft.
Die beiden Männer, die die Brücke betreten, lassen sich vom Schwanken und Schwingen aber nicht beeindrucken.
Von Amts wegen nicht zögerlich
Henrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und sein Amtskollege aus Hessen, Boris Rhein, dürfen schon von Amts wegen nicht zögerlich erscheinen.
Scheinbar ungerührt marschieren die beiden CDU-Politiker los, vor den Augen Dutzender geladener Journalisten und ihrer Kameras. Schöne Bilder sollen an diesem Montag entstehen, deshalb hat der wahlkämpfende Rhein sich mit Wüst zum Wandern im Grenzland zwischen beiden Bundesländern verabredet.
In Hessen wird am 8. Oktober gewählt. Rhein will als Regierungschef bestätigt werden, nachdem er vor etwas mehr als einem Jahr die Amtsgeschäfte von Volker Bouffier in der laufenden Legislaturperiode übernommen hatte.
Wüst kann gewinnen, Rhein will gewinnen
NRW-Kollege Wüst hat schon bewiesen, dass er eine Wahl gewinnen kann. Derzeit ist er der Liebling für diejenigen in der CDU, die mit Parteichef Friedrich Merz hadern - und Wüst ist der nicht mehr ganz so heimliche Aspirant auf die Kanzlerkandidatur: jung, smart und anschlussfähig über die Kernwählerschaft hinaus. Das muss Rhein ihm erst einmal nachmachen. Und so dürfte auch die Hoffnung mitwandern, dass ein wenig vom Glanz seines Gefährten auf ihn abfärben möge.
Vergangenes Jahr hatte Rhein noch die Nähe des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gesucht. Mit dem CSU-Politiker traf er sich im bayerischen Alzenau, um die "Achse Bayern-Hessen" wiederzubeleben und sich gemeinsam gegen die Politik der Ampel zu positionieren. Nun ist also Wüst der Kollege, mit dem Rhein gesehen werden will.
Der Blick in den Abgrund, schwankender Boden unter den Füßen, Höhenangst - die Brücke liefert reichlich Vorlagen für Wortspiele, die Politikern nicht gefallen können. "Auf schwankenden Brücken sich zu bewegen", sagt Rhein, als er die Brücke verlässt. "Den Horizont weiten", sagt Wüst, bevor er kurz darauf in die Hocke geht, um zwei kleinen Mädchen zu erklären, dass man gar keine Angst haben muss, wenn man auf die Brücke geht.
Der Regen perlt an Wüst ab
Wüst ist erkennbar in seinem Element. Selbst im strömenden Regen schafft er es, gut auszusehen. Sneakers, Chino-Hose, Baseballkappe, frisch gebräunt gerade aus dem Urlaub zurück: Er wirkt wie der Posterboy einer modernen, zugewandten, jungen CDU. Der Regen scheint irgendwie an ihm abzuperlen. Anders als Rhein, der keine Kappe dabei hat und nach wenigen Kilometern ziemlich durchnässt ist.
Spricht man Wüst auf seine sehr guten, persönlichen Umfragewerte an, kann der ein Lächeln nicht verbergen. Trotzdem lässt sich ihm kein Wort, keine kleine Gemeinheit gegen seinen Parteivorsitzenden Merz entlocken. Nein, Merz' jüngste Äußerungen zu einer Zusammenarbeit mit der AfD stellt er als unmissverständlich dar. "Wer Friedrich Merz unterstellt, er würde da eine Annäherung betreiben wollen, der macht vielleicht einen billigen Geländegewinn, aber der kennt Friedrich Merz nicht." Es sei alles dazu gesagt. Und es sei auch alles dazu in der ausreichenden Klarheit gesagt. "Das Thema ist beendet", so Wüst.
Rhein nutzt erneut die Gelegenheit, seiner Abscheu gegen die AfD Ausdruck zu verleihen. "Abstrus" nennt er ihre Inhalte. Auf dem jüngsten Europaparteitag der AfD habe es "widerwärtige Aussagen" gegeben. Im Gegensatz zu ihrem Parteivorsitzenden sind die beiden Ministerpräsidenten glasklar und unmissverständlich in ihrer Ablehnung der AfD.
Dann greifen sie fast pflichtschuldig noch die Ampelregierung in Berlin an: Ihre Politik habe den Aufwind der AfD erst verursacht, besonders das Heizungsgesetz habe viele Menschen dazu gebracht, in Umfragen ihrem "Protest Ausdruck zu verleihen".
Kein böses Wort über Merz
Und so stehen sie da, nach einer Wanderung durch das hessisch-nordrhein-westfälische Grenzgebiet in strömendem Regen - der eine adrett und ziemlich makellos, der andere ziemlich nass und ein bisschen zerzaust und bieten ein gemeinsames Bild an: Zwei noch recht junge Ministerpräsidenten der CDU, die klar Position gegen eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen beziehen.
Beide setzen darauf, dass die Union dann Wahlen gewinnt, wenn sie die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger vernünftig adressiert. Und die sich kein böses Wort, noch nicht mal ein zweideutiges, über ihren derzeitigen Parteivorsitzenden entlocken lassen, weil sie wissen, dass die Unionswähler nichts so sehr verabscheuen wie Zank und Uneinigkeit.
Nein, die Kanzlerkandidatenfrage interessiere die Leute derzeit überhaupt nicht. Sie werde erst im nächsten Jahr nach der Europawahl entschieden. Und die Union sei gut beraten, die Landesvorsitzenden in die Entscheidung einzubeziehen.
Und so geht diese Wanderung zu Ende wie gewünscht. Nur mit dem Glanz des einen, der auf den anderen scheinen sollte, klappt es an diesem Tag nicht so ganz: Dafür ist einfach zu viel Regen und zu wenig Sonne, die glänzen lässt.