Die Gastronomie und die Corona-Krise Auf der Flucht nach vorn
Kaum eine Branche treffen die neuen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie so hart wie die Gastronomie. Im tagesschau.de-Interview schildert ein Inhaber, warum diese Krise für ihn aber auch eine Chance bedeutet.
tagesschau.de: Wie sehr treffen Sie die Maßnahmen gegen die Pandemie-Bekämpfung? Können sie existenzgefährdend sein?
Billy Wagner: Das hatte sich bereits abgezeichnet und war daher keine große Überraschung. Das ist jetzt die Situation, mit der wir klarkommen müssen. Das Gute ist, dass wir jetzt nicht so völlig aus dem Blauen heraus getroffen werden, sondern wir uns schon beim ersten Quasi-Lockdown auf die veränderte Situation eingestellt haben.
Billy Wagner ist Inhaber des Berliner Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig. Er ist in Mittweida bei Karl-Marx-Stadt geboren und wuchs in Erlangen auf, wo schon seine Eltern eine Gaststätte betrieben. Wagner hat sein Angebot auf einen Lieferservice und einen Online-Shop ausgeweitet.
(Foto: Marko Seifert)
tagesschau.de: Welche Maßnahmen haben Sie konkret getroffen?
Wagner: Wir haben uns von dem Gedanken leiten lassen, dass immer gegessen wird – nur jetzt eben anders. Dass die Leute nicht zu uns kommen, sondern wir zu den Leuten gehen. Also das ganze Thema Distribution. Wir haben in den sieben Monaten einen Online-Shop aufgebaut, obwohl das in unserem Segment nicht üblich ist.
Das wir weiter machen, war auch für unsere Produzenten wichtig. Es geht ja nicht nur um unser kleines feines Restaurant, sondern auch um die Produzenten und Lieferanten, bei denen wir unsere Lebensmittel einkaufen. Bei uns ist es auch so, dass es keine großen Höfe sind, sondern eher sehr kleine.
tagesschau.de: Wie hoch waren die Investitionen für diese Umstellung?
Wagner: Wir sind zum Glück so aufgestellt, dass wir nicht von einem auf den nächsten Tag zusammenbrechen. Da gibt es sicherlich andere, denen es schlechter geht. Aber wir haben die Flucht nach vorne angetreten. Sonst hat man gar keine Chance. Von mir wird erwartet, dass ich ein guter Partner bin für die zehn Menschen, die in Vollzeit bei uns arbeiten, und für die zwei in Teilzeit.
Das ist ein wahnsinniger Druck, den man da hat. Auch der neue Online-Shop braucht Man- beziehungsweise Womanpower. Dazu kommt die Technik, die grafische Umsetzung, Texte, die geschrieben werden müssen. Das ist wie ein neues Business, das sich zunächst noch nicht auszahlt. Aber irgendwann vielleicht. Damit konnten wir ein zweites Standbein kreieren.
tagesschau.de: …die Krise als Chance?
Wagner: Jedes Restaurant, egal wo es ist, hat die Chance, irgendwas zu tun. Das finde ich ganz wichtig. Die Bars konnten sich auch nicht vorstellen, dass die schon um Vier aufmachen. Ich höre von Freunden, dass sich das Konsumverhalten in der Pandemie auch verändert hat. Mittwochs wird schon mal zum Frühstück Sekt bestellt.
Es gibt Clubs in Berlin, die machen jetzt am Wochenende schon tagsüber Programm, obwohl man dachte: „Wer geht denn mittags um zwei schon draußen raven?“. Es gibt viele Menschen, die sich darüber freuen und die auch dabei die Abstände eingehalten haben. Das sind tolle Erfolgserlebnisse.
tagesschau.de: Aber auch die müssen jetzt komplett schließen. Halten Sie das für gerecht?
Wagner: Was man weiß, ist ja, dass sich vor allem in Restaurants nicht so viele Leute angesteckt haben, sondern eher im privaten Raum. Um die 30 Prozent der Infektionen werden darauf zurückgeführt. Klar, ist das alles eine schwere Entscheidung. Aber vielleicht hätte man die Leute dort eher abholen müssen, statt diese Verbotsstruktur aufzubauen.
tagesschau.de: Werden Sie gerichtlich dagegen vorgehen?
Wagner: Es fühlt sich gerade nicht richtig an. Es geht da tatsächlich um was Größeres als um meine kleines Geschäft. Wenn das jemand anders sieht, ist das völlig okay.
tagesschau.de: Die Regierung sieht vor, dass Sie 75 % des Umsatzes aus dem Vorjahr erstattet bekommen. Hilft Ihnen das bei dieser Entscheidung?
Wagner: Wir müssen erstmal schauen, was das konkret heißt. Noch ist das unklar. Aber schlecht wäre es, wenn es dann eher dazu verleitet, nichts zu machen, das Geschäftsmodell nicht anzupassen. Jedenfalls da, wo das überhaupt möglich ist. In der Veranstaltungsbranche, bei Künstlern geht es schlicht ja nicht anders. Wie will man sich da über Wasser halten? Ihnen bleibt nichts anderes übrig.
tagesschau.de: Haben Sie bisher von den staatlichen Maßnahmen, oder wie es der Bundesfinanzminister nannte, der Bazooka, profitiert?
Wagner: Jedenfalls war unser Umsatz im September vergleichbar mit dem des Vorjahrs. Wir spüren deutlich die Steuererleichterungen. Bei einem Menü, das so um die 100 Euro kostet, gingen sonst knapp 20 Euro an den Staat. Heute sind es nur fünf Prozent. Bei den Getränken ist die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent gesenkt worden. Das hat betriebswirtschaftliche Auswirkungen. Aber natürlich nur, wenn du Geschäfte machst. Machst du kein Geschäft, merkst du nichts.
Das Gespräch führte Iris Marx, tagesschau.de.