Öffnung des Ehegattensplittings "Offenbarungseid für die Regierung"
Das Ehegattensplitting muss auch für gleichgeschlechtliche Paare gelten. Das hat nicht die Bundesregierung entschieden, sondern das Verfassungsgericht. Die Regierung hat damit einmal mehr die Chance zur Gestaltung verpasst, sagt die Juristin Maria Wersig im Gespräch mit tagesschau.de: "Ein Armutszeugnis".
tagesschau.de: Die steuerliche Angleichung von Ehe und gleichgeschlechtlicher Partnerschaft ist seit Monaten in der Diskussion. Weshalb hat die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewartet und nicht selbst als Gesetzgeber Initiative ergriffen?
Maria Wersig: Das war eine bewusste Entscheidung der Bundesregierung. Im vergangenen Sommer sagte die Bundeskanzlerin, es sei "klug", die Entscheidung des Verfassungsgerichtes abzuwarten. Ich bezweifele, dass das klug war, denn es war abzusehen, dass das Bundesverfassungsgericht so entscheiden würde, wie es das heute getan hat. Die Regierung muss so den Schritt zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare mit Ehepaaren nicht politisch gehen, sondern kann sagen: Das Verfassungsgericht hat uns gezwungen.
Dr. Maria Wersig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Ordnungspädagogik der Universität Hildesheim. Zuvor arbeitete sie unter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und als Referentin im Bundestag. Wersig studierte Rechtswissenschaft und Gender Kompetenz. Sie promovierte zu Hindernissen bei der Reform des Ehegattensplittings.
"Ein Armutszeugnis"
tagesschau.de: Hat die Bundesregierung hier eine Chance verpasst, zu gestalten?
Wersig: Der Gesetzgeber hat die Befugnis, zu gestalten. Es ist ein Armutszeugnis, zu sagen: Wir warten ab, bis ein Gericht uns dazu zwingt - gerade weil schon so viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes zur Angleichung der eingetragenen Partnerschaft an die Ehe gefallen sind.
Das gab es zwar schon häufiger, dass das Bundesverfassungsgericht bei großen gesellschaftlichen Fragen politisch gestaltet hat, beispielsweise beim Transsexuellengesetz. Das macht es aber nicht besser, dass die Bundesregierung hier kneift. Das ist ein Offenbarungseid der Bundesregierung.
tagesschau.de: Mittlerweile sind die Gegner der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Deutschland deutlich in der Minderheit. Ist das bei der Klientel der Union tatsächlich anders?
Wersig: Das ist nicht mehr so klar. Auf dem Parteitag der CDU im Dezember gab es dazu eine sehr lebendige und vielfältige Debatte, an deren Ende sich die Gegner der Ausweitung des Ehegattensplittings nur knapp durchsetzten.
Sicher gibt es bei der Wählerklientel der Union einen konservativen Kernbestand. Ich bezweifele aber, dass es der CDU geschadet hätte, wenn sie da mutiger gewesen wäre.
"Ehegattensplitting ist nicht mehr zeitgemäß"
tagesschau.de: Sie haben zum Ehegattensplitting promoviert. Sind Sie zufrieden mit der Entscheidung des Gerichtes heute?
Wersig: Ich befürchte ein bisschen, dass die Entscheidung des Gerichtes auch dazu beitragen wird, das Ehegattensplitting für die nächsten Jahre zu verfestigen, anstatt neue Reformen anzustoßen.
Das Ehegattensplitting ist ein Relikt aus den 50er-Jahren, was unseren heutigen Familienbildern überhaupt nicht mehr entspricht. Es ist nicht mehr zeitgemäß - und übrigens im internationalen Vergleich ein absoluter Sonderweg. Ein gerechtes Steuerrecht müsste jetzt alle Familien- und Partnerschaftsformen in den Blick nehmen, und nicht lediglich eine weitere Gruppe ins Ehegattensplitting hineinholen. Auch wenn es natürlich ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften ist.
"Alle Gleichstellungen wurden vor Gerichten erkämpft"
tagesschau.de: Den wesentlichen Verbesserungen der Rechte von Lebenspartnerschaften, zum Beispiel bei der Erbsschaftssteuer oder beim Adoptionsrecht, gingen immer Gerichtsentscheidungen voraus. Gab es da überhaupt rechtliche Angleichungen auf Initiative einer Bundesregierung?
Wersig: Nein, alle Gleichstellungen mussten vor Gerichten erkämpft werden. Das ist natürlich keine befriedigende Situation, weil es erforderte, dass die Betroffenen mehr als zehn Jahre für ihre Rechte kämpfen mussten.
tagesschau.de: Die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare wurde 2001 bewusst nicht als Ehe eingeführt. Warum?
Wersig: Das hatte damals vor allem politische Gründe. Kurz zuvor hatte die rot-grüne Koalition die Mehrheit im Bundesrat verloren, und es war klar, dass sie eine Ehe für alle nicht würde durchsetzen können. Dazu kamen verfassungsrechtliche Bedenken. Damals gab es noch die Vorstellung, dass Ehen immer besser stehen müssen als andere Partnerschaften, das sogenannte Abstandsgebot. Erst 2001 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass es das in dieser Form nicht gibt.
"Rechte wurden nach und nach eingeklagt"
tagesschau.de: Diese Partnerschaften hatten aber von Anfang an die gleichen Pflichten wie Ehepaare.
Wersig: Bei allen Gerichtsentscheidungen zu eingetragenen Partnerschaften hat sich das Verfassungsgericht gefragt: Was ist die Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung? Und es ist immer wieder an den Punkt gekommen, zu sagen: Es gibt keinen vernünftigen Grund. Das wäre aber nicht möglich gewesen, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mit allen Pflichten einer Ehe eingeführt worden wäre, beispielsweise im Unterhaltsrecht. Denn nur so konnten die Rechte nach und nach eingeklagt werden.
tagesschau.de: Welche Punkte sind denn juristisch noch offen bis die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Ehe angeglichen ist?
Wersig: Der große Kampf wird die gemeinschaftliche Adoption sein, die eingetragenen Lebenspartnerschaften noch nicht offen steht. Das ist aus meiner Sicht die letzte große Entscheidung.
"Der Trend geht zur 'Ehe für alle'"
tagesschau.de: Spricht dann noch juristisch etwas dagegen, die Ehe für alle zu öffnen?
Wersig: Der Trend geht dahin, gerade, wenn beide Partnerschaften juristisch gleich sind - warum kann man sie dann nicht gleich nennen? Ich gehe davon aus, dass wir das in nicht allzu ferner Zukunft erleben werden, dass es nur noch eine Ehe für alle gibt.
tagesschau.de: In Frankreich gibt es seit kurzem eine solche Ehe für alle, eine Minderheit hat sehr laut dagegen protestiert. Sind solche Proteste in Deutschland auch denkbar?
Wersig: Das kann ich mir bei unserem momentanen gesellschaftlichen Klima nicht vorstellen. Hier gibt es eine breite Zustimmung zur Ehe für alle. Das ist zwar auch in Frankreich der Fall, aber hier finden traditionell eher Großdemos wegen sozialpolitischer oder wirtschaftlicher Themen statt. Und anders als in Frankreich sehe ich bei uns keine ernst zu nehmenden politischen Akteure, die gegen die Ehe für alle in Stellung gehen.
Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de