Interview zur Oppositionspartei SPD Identitätssuche in ungewohnter Stille
Was macht eigentlich die SPD? Von der Partei hört man momentan wenig - und das ist für sie gut so, sagt der Politikwissenschaftler Korte im Interview mit tagesschau.de. Die SPD sei eben ernsthaft auf der Suche nach sich selbst, ihr Spitzenpersonal in den neuen Rollen noch unsicher. Und auch wenn sie wohl nie zu alter Stärke zurückfinden werde - ihre strategische Lage im Parteiensystem bleibe exzellent.
tagesschau.de: Man hört momentan viel von der FDP, von der Union, von den Grünen und von der Linkspartei - nur nicht so recht von der SPD. Ist das für die Partei ein gutes Zeichen?
Karl-Rudolf Korte: Das ist es. Es zeigt, dass die Partei nach der Wahlniederlage versucht, sich selbst zu finden. In so einer Identitätssuchaktion ist es unpassend, sich nach außen lautstark zu artikulieren - und so zu tun, als wüsste man, was sozialdemokratische Oppositionsarbeit ist.
Außerdem liegt das wohl an einer arbeitsteiligen Absprache zwischen dem neuen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und dem neuen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Beide suchen ihre Rollen noch - und bevor sie sich gegenseitig widersprechen und damit torpedieren, bewahren sie lieber organisierte Stille.
Karl-Rudolf Korte ist seit 2002 Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen und leitet dort die Forschungsgruppe "Regieren" sowie die "NRW School of Governance". Er gilt als Experte für Parteistrategien, Wahlkämpfe und Wählerverhalten.
tagesschau.de: Gabriel ist nach dem Bundestagsdebakel quasi als letzte Hoffnung Parteichef geworden. Wie macht er sich?
Korte: Er geht sehr behutsam und nicht demagogisch vor. Er wirkt auch nachdenklicher als vorher. Die Stille hat mich überrascht, er war sonst um keine Pressemitteilung verlegen. Ob er aber wirklich nachdenklicher geworden ist oder aus taktischen Gründen schweigt, kann ich nicht beurteilen.
tagesschau.de: Bei Frank-Walter Steinmeier waren viele - gelinde gesagt - überrascht, dass er als Fraktionschef in die Opposition ziehen wollte…
Korte: …und seine Amtsführung wirkt jetzt auch noch nicht richtig vollendet oder rund. So eine Funktion wie Fraktionsvorsitzender muss man aber auch erst lernen. Aus meiner Sicht gibt es in der Bundesrepublik kein schwierigeres Amt: Man hat keine Patronage-Macht, man hat kein Repräsentationsamt, niemand rollt für einen den roten Teppich aus. Stattdessen muss man all diese Wahlkreiskönige auf eine Linie bringen, das ist nicht so einfach.
"Still ist Nahles allemal"
tagesschau.de: Die dritte im Bunde ist die neue Generalsekretärin Andrea Nahles. Haben Sie in den vergangenen Wochen viel von ihr mitbekommen?
Korte: Nahles ist in der letzten Zeit zwar durch einige inhaltliche Beiträge aufgefallen, und als sie ihr Buch "Frau, gläubig, links" vorgestellt hat. Aber auch bei ihr dominiert nach außen die Stille als beredtes Schweigen - ob aus Demut vor dem neuen Amt oder aus Orientierungslosigkeit, kann ich nicht beurteilen.
Aber: Nahles hat jetzt ein sehr wichtiges Integrationsamt - das vor allem ins Parteiinnere gerichtet ist. Die Außenrepräsentation liegt deutlich bei Gabriel und Steinmeier. Ihr Amt bedeutet stattdessen Parteiorganisation im eigentlichen Sinne: eine mühsame Aufbau-Kleinarbeit, um Mitglieder zu versöhnen und zu begeistern. Das ist etwas ganz anderes als die öffentliche Arena - und auch das muss man erst lernen. Bisher war Nahles weder durch Stille noch intensive Parteiarbeit aufgefallen - und sie hat die Öffentlichkeit nicht gerade gescheut. Es bleibt abzuwarten, welche Akzente sie konkret setzt, um die Fanmeilen für die SPD zu erweitern.
SPD-Generalsekretärin Nahles hat wichtige Integrationsaufgabe.
tagesschau.de: Aber in letzter Zeit hat es kaum noch wahrnehmbare innerparteiliche Querelen gegeben.
Korte: Das ist ein Gesundschrumpfen auf niedrigem Niveau. Da hilft es auch, dass mit Lafontaine einer der Hauptgegner nicht mehr da ist - das stärkt sicherlich auch die inneren Kräfte der SPD, sich selbst wiederzufinden.
Ob es aber eine substanzielle Versöhnung über alle Flügel der Partei hinweg gibt, wird sich an der Frage der Linken entscheiden: Wie hält es die SPD künftig mit der Konstellation, dass es links von ihr weiterhin eine Partei gibt, welche die Hegemonie über soziale Gerechtigkeit beansprucht? An der Antwort auf diese Schlüsselfragen wird man erkennen, ob die SPD in der Opposition einig auftritt - oder eben nicht und stattdessen die Interessen der Flügel dominieren.
Schwarz-rot-gelbe Regierung?
tagesschau.de: Die SPD war elf Jahre an der Macht – hat sie in der Opposition inhaltliche Kurswechsel vollzogen?
Korte: Nein. Das kann ich nicht erkennen. Ich habe eher den Eindruck, dass Schwarz-Rot-Gelb regiert. Für die SPD gibt es im Moment nicht viele Angriffsflächen, weil sie in der Großen Koalition vieles mitverantwortet hat - und die Union die Kontinuität der Politik der Großen Koalition feiert – zumindest in den zentralen innen- und außenpolitischen Fragen.
Die SPD steckt in einem Dilemma. Die Verschuldung hat sie mitzuverantworten. Da ist es schwer zu sagen, dass muss grundsätzlich anders gemacht werden. Sie kann sicherlich mit strategischen Entwürfen perspektivische Auswege aufzeichnen. Geißeln könnte sie es, wenn sich die FDP mit ihren Steuerreformplänen durchsetzt – aber auch das ist bislang rein hypothetisch. Die aktuelle Steuerreform zu Jahresanfang wiederum hat noch in weiten Teilen die Große Koalition mit beschlossen.
Politikwissenschaftler Korte: "Die SPD ist multikoalitionsfähig".
Soziale Gerechtigkeit muss natürlich Großthema der SPD sein - was auch sonst? Dazu gehört auch, dass mit der Schuldenlast gerecht umgegangen werden muss. Aber da sehe ich im Moment keine Kontroversen mit der Bundesregierung. Wenn konkrete Steuersparmodelle der schwarz-gelben Regierung vorliegen - vielleicht sogar als Gesetzesentwurf - dann kann die SPD zum Angriff blasen.
"Strategische Lage im Parteiensystem weiter gut"
tagesschau.de: In den vergangenen Tagen wurde wieder mehr über Schwarz-Grün diskutiert. Hat sich die strategische Situation der SPD verschlechtert?
Korte: Nein, die ist im Prinzip weiter sehr gut. Die SPD ist multikoalitionsfähig - sie kann mit allen Bündnisse eingehen. Seit Lafontaine sich bundespolitisch verabschiedet hat, gilt das auch für die Linkspartei auf Bundesebene. Diesen strategischen Vorteil hat keine andere Partei.
Aber Gabriel hat bei seiner Bewerbungsrede als Parteivorsitzender den schönen Satz gesagt: "Wer einen Laden hat, muss auch lächeln können - sonst kommt ja keiner." Und genau das ist die momentane Situation: Wenn die SPD sich selbst attraktiv findet, wird sie auch einen Partner finden. Aber man hat noch nicht den Eindruck, dass die Partei sich selbst richtig attraktiv findet.
tagesschau.de: Wann kann die SPD wieder in den Spiegel sehen – in fünf Jahren? Oder in zehn Jahren?
Korte: Die Zeiten für solche langsamen Entwicklungen sind vorbei. Vieles passiert inzwischen im Minutentakt - und Parteiensysteme sind auch nicht mehr so gemeißelt, wie sie es einmal waren. Wir werden mit diesen Koalitionslotterien, mit dem geringen Einfluss der Wähler auf Regierungsbildungen, mit asymmetrischen Fünf-Parteien-Systemen und abgeschwächten Lagern noch eine ganze Weile leben. Aber dadurch sind viele Mehrheiten auch situativ möglich.
tagesschau.de: Und wann kommt die SPD in den Umfragen wieder über 30 Prozent?
Korte: Ich sehe nur noch Volkspartei-Ruinen und mittelgroße Parteien. Dass Parteien automatisch über 30 oder 40 Prozent kommen, das wird zur Ausnahme. Da ist ein breites Mittelfeld - und die SPD ist mittendrin. Das sind insgesamt fast schon europäische Verhältnisse.
Das Interview führte Fabian Grabowsky, tagesschau.de